DU SOLLST DEINE FEINDE NICHT HASSEN
– Mafia-Filme sind cool. Top-cool ist immer noch DER PATE. Und der hatte Folgen. Friedemann Sprenger hat ein GODFATHER-Fanbuch für die gebildeten Schichten gefunden.
Filmliebhaber mögen den sekundären Diskurs, das unterscheidet sie von Krimi-Freunden. Deshalb gibt es eine relativ blühende, qualitativ ziemlich elaborierte Film-Publizistik an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kritik. Da stören dann auch ein paar ziemlich unzeitgeistige Themen nicht. Wie zum Beispiel ein schönes Buch über die Godfather-Trilogie von Coppola und ihr Echo in den korrespondierenden Filmen von Sergio Leone, Brian de Palma, Martin Scorsese und Abel Ferrara. Und – neu, über das Weiterleben des Kino-Mythos als Videospiel.
Film und Kritik
Filmkritik ist dann wirklich gut, wenn sie sich mit Film sui generis beschäftigt, so wie Norbert Grob in seiner intelligenten Analyse der Kameraarbeit von Gordon Willis, der für die Bildästhetik des „Paten“ zuständig war. Grob semantisiert geschickt die verschiedenen Konfigurationen der Kameraarbeit – die Fahrtwege, die Kadrierung, die Hell/Dunkel-Ästhetik etc., und so entsteht eine belastbare zweite Sinnstiftungsebene, die man beim wiederholten Anschauen der Werke nachvollziehen kann. Belegte und plausibilisierte Argumentation, sozusagen. Ein Vorzug ebenso des Artikels von Bettina Karrer, die sich mit unter dem Titel „Vom Fluch, ein Gangster zu sein“ mit der „Poetologie der Figuren“ beschäftigt. Auch der Aufmacher „An American Tragedy. THE GODFATHER als filmisches Epos des 20. Jahrhunderts“, den die drei Herausgeber kollektiv verfasst haben, bietet für Erstseher und Lernenwollende eine sehr brauchbare Einführung ins Thema und sehr sinnvolle Orientierungen. Der Essay sagt klug, warum Coppolas Werk so eminent wichtig ist und immer wieder neu anschaubar, immer neu interpretierbar ist – und warum es lebensweltlich so ungemein nützlich („Du sollst Deine Feinde nicht hassen ….“) erscheint. Naja, letzteres muss man sich selbst deduzieren …
Film und Realität
Weniger gelungen hingegen sind die Kontextualisierungen. „Die Mafia und THE GODFATHER. Fakt und Fiktionen“ von Daniel Alles arbeitet mit seltsamen Referenzwerken wie Dagobert Lindlaus schon 1988 eher ulkigem Werk „Der Mob“; und Marc Eickhoffs „Bilder einer Nation. THE GODFATHER als Spiegel amerikanischer Geschichte“ dupliziert teilweise Daniel Alles und ist zudem seinerseits wahrlich nicht auf der Höhe des Diskurses über Organisierte Kriminalität, La Mafia und politics. Sogar Seeßlens putziger „Asphalt Dschungel“ von 1980 wird herangezogen, nebst anderen Schoten aus den 1970er und 1980/1990er Jahren. An solchen Stellen rächt sich die aufs Cineastische fixierte Monokompetenz der Beiträger.
http://www.youtube.com/watch?v=ji7WSCvEPpU
Film und Diskurse, viele …
Gerade weil Populäre Kultur nur transmedial funktioniert, gerade weil Kontexte in verschiedenen Vermittlungsschritten die verschiedenen Referenzrahmen vorgeben, ist es schade, dass die einzelnen Disziplinen sich abschotten und ihre Einzeldiskurse alleine vor sich hin führen. Deswegen geraten dann nicht nur die Bezüge zu einzelnen Realitäten etwas schief, sondern auch kultur-interne Diskurse wie über die verschiedenen Semantiken von „Genre“ und logischerweise von „Genre“-Überschreitung bleiben im unreflektierten Wortgebrauch hängen. In diesen Problemzusammenhang gehört dann immer noch das Fortweben des Lacacan und des Derridada, die wohl naturgesetzlich als Ausweise intellektuellen Niveaus herhalten müssen, wie im Aufsatz von Ivo Ritzer: „Crime and Punishment. THE GODFATHER und seine Folgen: Mafiafilme von Abel Ferrara und Martin Scorsese“. So richtig der Kern dieser Aussage sein mag: „Während Abel Ferrara ein neomythisches Passionsspiel um Schuld und Sühne entwirft, begreift Martin Scorsese den Hinweis auf sozioökonomische Relationen als Akt der Aufklärung. Ist Ferrara der amoralische Katholik, so ist Scorsese der katholische Moralist. Hier das einigende Ritual, dort die diskursive Montage. Dazwischen bricht die generische Erzählung vom Gangster und wird als freies Zeichensystem neu geboren“ – so verschroben ist die Formulierung. Beeindruckungsrhetorik mit unfreiwilligem Kicher-Faktor.
Aber okay, vielleicht steht eine bestimmte Klientel immer noch auf solch dunkles Raunen, vielleicht ist es gar der kommunikative Kitt zwischen eh schon Gleichgesinnten. Die Anschließbarkeit anderer Diskurse wird so eher nicht befördert, aber vielleicht ist ja auch das so gewollt. Alle Schuster bleiben bei ihren Leisten.
Fazit: Ein schönes GODFATHER-Fanbuch für den Freund avancierter Filmreflexion, mit ein paar lustigen Ausreißern auf der Realitätsebene.
Friedemann Sprenger
Norbert Grob/Bernd Kiefer/Ivo Ritzer, ed: Mythos DER PATE. Francis Ford Coppolas GODFATHER-Trilogie und der Gangsterfilm. Berlin: Bertz + Fischer 2011 (=Deep Focus 10). 207 Seiten. 19,90 Euro.
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