Überschäumende Fabulierlust
– Nach seinem schräg-lustigen Debüt „Flieg, Hitler, flieg“ inszeniert der junge Engländer Ned Beauman in seinem zweiten Roman mit dem endlosen Titel „Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort“ die Literatur als ebenso hintersinniges wie überschäumendes Spektakel. Von Karsten Herrmann
Beaumans Protagonist Egon Loeser ist als selbst ernannter „Neuer Expressionist“ Bühnenbauer zur Zeit der Weimarer Republik. Der begnadete Rhetoriker und Antimoralist bewegt sich auf den Spuren Lavincinis, der im Venedig der Spätrenaissance eine Teleportationsmaschine auf die Bühne brachte und dabei das ganze Theater zerstörte. Und obwohl Loeser Teil der experimentellen, drogen- und alkoholaffinen sowie promiskuitiven Theater- und Avantgardeszene Berlins ist, befindet er sich in einer nachhaltigen sexuellen Frustration und „es war nicht auszuschließen, dass sie alles bestimmte, was er sagte und tat“.
Zum Objekt der stärksten erotischen Obsession wird in dieser Situation für ihn seine ehemalige Nachhilfeschülerin Adele Hitler. Diese ist allerdings weder verwandt noch verschwägert mit ihrem diabolischen Namensvetter, dessen immer deutlicher zutage tretender brauner Spuk und schließliche Machtergreifung von Erich Loeser geflissentlich ignoriert werden.
Allein seine Obsession führt ihn in das Paris und schließlich in das Los Angeles der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wo er in haarsträubende Abenteuer- und Spionagegeschichten hineingezogen wird. Und auch hier spielt die Teleportation wieder eine ganz entscheidende Rolle.
Spiel zwischen Kunst- und Liebesroman
Ned Beaumans Roman bewegt sich spielerisch zwischen Kunst- und Liebesroman, Science-Fiction und Trash und überbrückt dabei Zeiten und Räume. Der 1985 geborene Autor, der auch Experte für Comics und Graphic Novels ist, besticht durch seinen unerschöpflichen Ideenreichtum und eine geradezu überschäumende Fabulierlust. Mit Intelligenz und Hintersinn konstruiert er am laufenden Band tollkühne und witzsprühende Verbindungen des eigentlich Unvereinbaren und so verzeiht man ihm auch gerne manche episodische Beliebigkeit.
Mit seiner „Äquivalenz-Theorie“ zieht Beauman allerdings auch eine spöttische historische Linie durch die Zeiten und hält uns einen Spiegel vor: „Verglich man das Venedig der Spätrenaissance, in dem Lavinci aufwuchs, mit dem Berlin der Weimarer Republik mit der Stadt, die im Jahre 2013 gerade groß in Mode sein würde […], so stieß man immer auf dieselben hohlen Menschen, die auf dieselben hohlen Partys gingen und dieselben hohlen Sprüche über dieselben hohlen Bemühungen losließen, und an den äußersten nackten Rändern gab es höchstens ein paar künstlerische Zuckungen, für die es sich lohnte. Nie änderte sich etwas. Das war Äquivalenz.“
Karsten Herrmann
Ned Beauman: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort (The Teleportation Accident, 2013). Aus dem Englischen von Robin Detje. Köln: Dumont 2013. 416 Seiten. 19,99 Euro.