Geschrieben am 12. September 2004 von für Bücher, Litmag

Nadja Sennewald: RunRabbitRun

Dark Angel im Millionenspiel

Wieder mal steht Berlin im Mittelpunkt eines jungen deutschen Romans. Doch das Berlin in Nadja Sennewalds zweitem Roman (nach „schöner_wohnen.doc“) hat nicht viel zu tun mit der Party-Hauptstadt so mancher Jungliteraten.

Sennewald führt uns in das Berlin einer vielleicht gar nicht so fernen Zukunft. Die Stadt ist unterteilt in Sektoren, die von privaten Wachdiensten kontrolliert werden – aus Geldmangel hat die Stadt alle wichtigen Plätze privatisiert. Die Helden des Romans sind jugendliche Underdogs, die sich mit kleinen Jobs durchs Leben schlagen und plötzlich die Chance ihres Lebens wittern, auf einen Schlag zu Geld zu kommen und dabei „dem System“ eins auswischen können. Als Ich-Erzählerin Kookie auf einer Botenfahrt einen jungen Mann umfährt und den Verletzten zu sich nach Hause nimmt, ahnt sie noch nicht, dass es sich um den „Hasen“ handelt, den Lockvogel eines populären Internet-Spiels. Ihre Freundin h.b. jedoch riecht als erfahrene Computer-Anarchistin den Braten recht schnell. Wenn man nun den Hasen mittels Datenmanipulation vor seinen Häschern verstecken könnte, könnte man sich mit diesem sein millionenschweres Preisgeld teilen. Doch auch der Konzern, der die Gameshow produziert, spielt nicht mit offenen Karten, und schon stecken Kookie, h.b. und ihre Freunde in weitaus größeren Schwierigkeiten, als sie für möglich gehalten hätten.

Flotter Zitatenmix

Nadja Sennewalds zweiter Roman ist eine rasante Jagd durch reale und virtuelle Welten. Natürlich klingt Robert Sheckleys „Millionenspiel“ an, das nicht nur Stephen King zu einer Nachahmung („Running Man“) inspiriert hat. Außerdem erinnert das heraufbeschworene Bild Berlins mit seinen Bauruinen und Checkpoints arg an das Seattle aus James Camerons TV-Serie „Dark Angel“ – und die Arbeitsbedingungen für Fahrradkuriere sowie die später im Roman angesprochenen Menschenversuche bieten weitere Parallelen. Eine kleine Prise Cyberpunk ist auch mit dabei.
Dieser Zitatenmix liest sich recht flott, doch ein wenig mehr Raffinesse hätte man sich wünschen dürfen. Die Kritik an Internetkontrolle und Copyrightregelungen kommt mit erhobenem Zeigefinger daher. Zu vorhersehbar ist fast jeder Haken, den die Geschichte schlägt, die vom Hasen zu lösenden Rätsel sind erschreckend simpel – wobei das schon wieder unserer aktuellen Fernseh-Kultur überzeugend nahe kommt…

Frank Schorneck

Zitat:

h.b. rennt konfus in der Küche rum und fuchtelt mit der Kaffeedose. Ich sitze auf unserem klobigen Küchensofa, neben mir der Nervtyp von gestern. Ich wusste es, es war ein Fehler, den mit nach Hause zu nehmen. Nicht nur, dass der Typ mein Bike geschrottet hat, nein, es gibt noch mehr Probleme. h.b. löffelt fahrig Kaffeepulver in die Espressomaschine. „Kookie, wenn wir mit dem Hasen zusammenarbeiten, dann kriegen wir zehn Millionen Euro! Stell dir das vor, zehn Millionen! Und ich kann über den Hasen RunRabbitRun besser ausforschen. Das ist die Gelegenheit, an die Gameshow-Technics ranzukommen und ein paar Rechner zu hacken, das wäre der Durchbruch für unsere GameshowNo-Gruppe und ein echter Schlag in die Fresse der transnationalen Netzsyndikate!“ h.b. krümelt die Hälfte des Kaffeepulvers daneben. Sie guckt nicht auf den Löffel, sondern zu mir und setzt ihren überzeugendsten Blick auf.

Nadja Sennewald: RunRabbitRun. Piper Original-Taschenbuch 2004. 254 Seiten. 12,00 Euro.