Geschrieben am 7. Juli 2008 von für Bücher, Litmag

Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels

Kamelien oder die kluge Concierge

Was verbindet eine Zwölfjährige und eine über fünfzigjährige Concierge, außer dass sie die gleiche Pariser Luft atmen? So viel, dass Muriel Barbery darüber einen zauberhaften Roman geschrieben hat, der 2007 in Frankreich literarischer Besteller war. Von Senta Wagner

Weiß doch jeder, was eine Concierge ist. In Paris, hauptsächlich in den Stadtvillen, wimmelt es davon. Wir würden von Hausmeisterservice sprechen und damit die Person meinen, die in einem Wohngebäude grob gesagt für Ordnung sorgt. Renée ist so jemand. Sie ist 54 Jahre alt und mehr als ihr halbes Leben lang tätig als Concierge in einer Luxusresidenz. Dort wohnt Paloma mit ihrer Familie. Sie ist zwölf Jahre alt, reich, unglaublich intelligent und hat einen Japan-Fimmel.
Und die beiden dürfen wie verrückt erzählen in dem zweiten Roman der Französin Muriel Barbery, von sich, dem Leben im Haus und ihrer Suche nach der Schönheit in der Welt. Das braucht Platz: der 300 Seiten dicke Roman ist in fünf Großkapitel (inkl. Einleitung) und viele, viele Unterkapitelchen unterteilt. Die Renée-Kapitel werden durchkreuzt von Palomas Aufzeichnungen. Sie schreibt ein Tagebuch voll mit ihren blitzgescheiten Gedanken und ein „Tagebuch der Bewegung der Welt“, wo es um Körperliches und Dingliches geht. Ihre Gedanken presst sie vorab brillant in Form eines Haiku oder Tanka. Renée startet in der Einleitung „Marx“ mit ein paar lockeren Gedanken zu Marx. Später erörtert sie die Phänomenologie von Husserl, die sie als „Hochstapelei“ entlarvt. Husserl verstehen wiederum setzt ein Basiswissen Kant voraus. Klischee Nr. 1, eine Concierge ist niemals gebildet, diese hier gleich eine Verräterin am „Archetyp ihres Berufstands“.

Stimmt nur halb. Der Leser kennt die Gedankenprosa von Renée, erfährt, wie und warum ein Arme-Leute-Kind sich zu einer proletarischen Autodidaktin mauserte. Gegenüber den Hausbewohnern führt die Frau ein klandestines Leben und erfüllt sorgsam jedes weitere Klischee: lässt von morgens bis abends den Fernseher laufen, hat eine dicke Katze, ist kratzbürstig und einfältig, obendrein potthässlich.

Paloma sucht in ihren Tagebüchern nach Gründen, für die es sich lohnt weiterzuleben, denn an ihrem nahenden dreizehnten Geburtstag will sie sich umbringen. Scharfsinnig hat sie die Absurdität der Existenz erkannt, für die die Erwachsenen sich vergeblich abstrampeln. Darauf will sie es auf keinen Fall ankommen lassen.

Störung des Kammerspiels

Mit dem Einzug des Japaners Kakuro Ozu in eine leer gewordene Wohnung gerät das Leben von Renée unmerklich ins Beben. Er entdeckt die verborgenen Leidenschaften der Concierge, ihre Liebe zur Literatur, zu Kunst und Film, überhaupt zur Sprache – Renée wird wach geküsst. Literarische Verweise finden sich übrigens zuhauf. Ihre erste Abendeinladung bei Kakuro gleicht einer hinreißenden und brüllend komischen Reise durch zwischenmenschliche Reiche in japanischem Dekor. Zauber ist immer wichtig für gute Literatur, Schlichtheit und Eleganz im Ausdruck zwei ihrer Voraussetzungen. Barbery ist darin jetzt schon eine Meisterin. Es kommt zu weiteren Treffen. Auch Paloma und Renée verbringen immer häufiger Zeit miteinander, was ihre Berichte – eine feine Idee des Buches – fast zur gedanklichen Deckung bringt.

Lust auf Märchen

Es werden große Fragen gestellt, danach beispielsweise, ob das Leben einen Sinn hat – und charmant und klug und vor allem voller Witz beantwortet. Der satirische Blick von Renée und Paloma auf ihr Milieu und dabei die große Einvernehmlichkeit von Unter- und Oberschicht tragen ihren Teil zu einer gelungenen Lektüre bei. Schließlich erkennt Renée selbst sich als „Prophetin der zeitgenössischen Eliten“ – diese kleine, schlaue Concierge.
Und es wird gezeigt, dass man von der Schönheit der Welt souverän und ungekünstelt schreiben kann. Durch das Leben von Renée und Paloma ging ein Schimmer davon. Kann gut sein, dass Paloma sich gar nicht mehr umbringen will am Ende des Romans. Und schließlich ein bisschen Lust auf Märchen haben wir doch alle.

Senta Wagner

Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels (L’Elégance du hérisson, 2006). Roman. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. dtv premium 2008. 363 Seiten. 14,90 Euro.