(Musik-) Bücher
– Neue It´s the time of the season… um mal wieder was zu lesen, zum Beispiel. Weihnachten und die Zeit „zwischen den Jahren“ bieten sich perfekt dazu an, und rein zufällig hätte Christina Mohr hier was für Sie. Nämlich Bücher rund um Musik, Bands, DJs, Mode und Kunst von Jonnie Schulz, Jürgen Teipel und Farkas, Seidl, Zwirner.
Senfkanone und Döner-Bass
Wer mit den Begriffen Senfkanone, Döner-Bass, Frank The Raving Sausage und „Entfaltung“ etwas anfangen kann, gehört ziemlich sicher zu den wenigen Auserwählten, die einem Konzert der Butch Meier Band beiwohnen durften. Für alle anderen hier die ganz kurze Bandgeschichte: Im Jahr 2000 schlossen sich vier vom Punk angeödete Visionäre zur einzigen Country- und Western-Band von St. Pauli, Tennessee zusammen. Jonnie Schulz (Schlagzeug), Digger Barnes (Bass), Ted Memphis (Gitarre) und Butch Meier (Gesang & Kampfsport) forderten ihre linke Herkunftsszene mit Schnauzbärten und countrifizierten Coverversionen von Modern Talking, Billy Idol oder Circle Jerks aufs Äußerste heraus. Stand Country und Western nicht für alles Verachtenswerte wie Mackertum, Amerika-Patriotismus und den Verzehr von Tieren? Die Butch Meier Band begibt sich auf eine ungefähr acht Jahre* andauernde Missionstour, lange bevor Nachahmercombos wie The Boss Hoss und Texas Lightning mit geklautem Meier-Konzept den dicken Reibach machen.
Jonnie Schulz‘ Erinnerungen lesen sich nicht nur wahnsinnig komisch, sie bieten auch tiefe Einblicke in die alternative Szene der frühen 2000er Jahre. Probleme mit der Meier-Performance und -Performanz bestanden nicht nur bandintern (zumindest anfangs), sondern vor allem in linken Zentren wie der Berliner „Kadterschmiede“, einer nicht nur qua Namen überambitionierten selbstverwalteten Clubinititative. Das Veranstalter-Komitee besagter Kadterschmiede hing den buchtitelgebenden Zettel an der Kasse auf, um unerwünschte Country- resp. Squaredance-Spießer fernzuhalten: „Kein Zutritt für Hinterwäldler“ – wen ließe dieser Aufruf nicht unberührt?
Schulz‘ Kommentar zu dieser Episode im Bandgeschehen wäre allein schon die Lektüre wert, doch sollte man sich keinesfalls Rest des Buches entgehen lassen. Butch-Meier-Fans dürfen in schönster, senfbesudelter Nostalgie schwelgen; Nachgeborene haben immerhin noch die Chance, einen der letzten Butch-Meier-Kalender aus dem Jahr 2002 zu erwerben und mittels ungefähr dreieinhalb Videos auf youtube Versäumtes nachzuholen.
2008 gab die Butch Meier Band ein letztes Konzert, löste sich aber nie offiziell auf. Anlässlich Jonnie Schulz‘ Lesereise gab es diesen denkwürdigen Überraschungsauftritt in Originalbesetzung im Hamburger Hafenklang:
Jonnie Schulz: Kein Zutritt für Hinterwäldler. Die Geschichte der Butch Meier Band. Ventil/Audiolith 2013. 295 Seiten. 17,90 Euro. Zur Webseite von Jonnie Schulz und Butch Meier.
Techno-Gespräche
Um eine ganz andere musikalische (Sub-)Kultur dreht sich Jürgen Teipels neuer Interviewband „Mehr als laut“. Nach dem großen Erfolg von „Verschwende deine Jugend“, Teipels Gesprächscollage deutscher Punk-ProtagonistInnen war der Journalist und Autor von genau dieser Szene gelangweilt und wollte sich vorerst nicht mehr mit den Anfängen und Auswüchsen von NDW und Punk beschäftigen. Freunde legten ihm Techno als neues Forschungsgebiet nahe. Teipel, der die Frühphase von Techno allerhöchstens aus der Ferne wahrgenommen hatte, begann, Gespräche zu führen – mit derselben Intensität und grundsätzlichem Interesse für Subjekt und Leute wie schon bei „Verschwende deine Jugend“.
Auch wenn die Originaltöne von Richie Hawtin, Miss Kittin, DJ Hell, Inga Humpe, Mark Reeder, Kristian Beyer, Lawrence, Michael Mayer, Andi Teichmann, Hans Nieswandt, Acid Maria oder Dirk Mantei durchaus unterhaltsam sind, schleicht sich beim Lesen das Gefühl ein, dass man all die Geschichten von durchfeierten Nächten, legendären Clubs, der Love Parade, verpassten Fliegern, „druffen“ Fans und endlosen After-after-after-parties schon mehrfach gelesen hat.
Vor anderthalb Jahren beispielsweise, als ebenfalls bei Suhrkamp Felix Denks und Sven von Thülens große Techno-Analyse „Der Klang der Familie“ erschien, die dankenswerterweise den oftmals enervierenden O-Plauderton der InterviewpartnerInnen in lesbare Worte goss. Teipel lässt alles so, wie es ihm ins Ohr oder Aufnahmegerät floss, sehr viel „er-so-ich-so-dann-sie-so-yeah!“-Talk, nach einer Weile ist das ziemlich enervierend, und komischerweise fällt das in diesem Buch stärker auf als bei „Verschwende…“. Konnten sich die Punks doch besser artikulieren?
Interessant ist „Mehr als laut“ dennoch, weil Teipel den weiblichen DJs viel Redezeit einräumt und so mit dem Vorurteil aufräumt, dass Techno in Deutschland eine vorwiegend männliche Angelegenheit sei. Kittin, Acid Maria oder Stella Stellaire reden nicht nur flüssiger und eloquenter, sie fügen den Druffi-Stories wichtige Akzente hinzu und modifizieren so den bisherigen Status Quo.
Jürgen Teipel: Mehr als laut. DJs erzählen. Suhrkamp 2013. 238 Seiten. 14,99 Euro.
Nachtleben in Berlin
„Ein Taxi fährt zu Romy Haag / Flasche Sekt 150 Mark“, sangen Ideal vor über dreißig Jahren in „Berlin“, ihrem Liebeslied für die damals noch geteilte Stadt. Travestie- und Cabaret-Ikone Haag ziert auch das Cover von „Nachtleben Berlin“, der einzigartigen und beispiellosen Würdigung Berliner Ausgehszenerien der letzten vierzig Jahre. Vergleichbar höchstens mit „Mjunic Disco“, das 2008 bei Blumenbar erschien und die Münchner Discoszene porträtierte.
Berlin ist in allem aber doch mehrere Nummern größer (nicht unbedingt „besser“, aber darum geht’s nicht), die Vielfalt an Subkulturen ist kaum zu überbieten, jedenfalls nicht in diesem unserem Lande. Deshalb und aus vielen weiteren Gründen ist „Nachtleben Berlin“ ein wichtiges, ja unverzichtbares Dokument. Hunderte von großformatigen Fotos zeugen von diesem reichhaltigen, kleinteiligen Kosmos; Essays von MitwisserInnen und -täterInnen wie Wolfgang Müller, Christiane Rösinger, Christoph Gurk, Jens Balzer und natürlich Romy Haag geben Einblicke in längst geschlossene Bars, Clubs, Szene- und Absturzläden; man liest Insiderstories aus legendären Discos wie dem Dschungel oder dem SO36; reist aus der Hippiezeit bis ins wummernde Herz des Techno, besucht Wohnzimmerkonzerte und Off-Off-Off-Fashionshows.
Einmal mehr wird klar, welch riesige Anziehungskraft Berlin – geteilt oder „ganz“ – auf KünstlerInnen aus der ganzen Welt ausübt(e), Leute wie Nick Cave, David Bowie, Iggy Pop seien hier nur als die Bekanntesten genannt.
Das Berliner Nachtleben inspiriert ModemacherInnen, KünstlerInnen, Verrückte und Normalos wie eh und je – ein Buch kann nur ein stummes Abbild davon geben, aber man könnte sich kein Eindrucksvolleres als „Nachtleben Berlin“ wünschen.
Farkas, Seidl, Zwirner (Hg.): Nachtleben Berlin 1974 bis heute. Metrolit 2013. 300 Seiten. 36,00 Euro.