Geschrieben am 15. Mai 2013 von für Bücher, Litmag

Mohr Books: Mode, Kunst, Punk & Kylie Minogue

Kleider Titel_traegt_keine_Sau.inddKunst und Kleidung

– In ihren Büchern offenbart die Kunsthistorikerin Sandra Danicke stets einen etwas anderen Blick auf die Kunst, z. B. präsentiert sie in einem Band Darstellungen rauchender „brandgefährlicher“ Frauen oder konstatiert augenzwinkernd „Kunst versteht keine Sau“. Danickes neueste Veröffentlichung „Das trägt doch kein Schwein“ befasst sich mit Kleidern in der Kunst, Kunstkleidern – getragen oder untragbar, als Scherz oder bittere Anklage gemeint. (Be-)Kleidung ist etwas Universelles, der Mensch benötigt sie als Schutz – seine Haut allein ist unzulänglich.

Doch schon zu allen Zeiten waren Stoff- und Lederhüllen viel mehr als das, dienen als Statussymbole und kreativer Ausdruck. Und stellen soziale und Geschlechtergrenzen her: Yoko Ono setzt sich in ihrer Performance „Cut Piece“ (Erstaufführung 1964) einer höchst unangenehmen Situation aus, indem sie sich von einem/r Besucher/in mit einer Schere die Kleider vom Leib schneiden lässt – beobachtet vom Publikum, bis der letzte Faden fällt.

Christo und Jeanne-Claude prangern mit ihrem „Wedding Dress“ (eine weibliche Figur zieht einen riesigen, silberfarbenen Sack hinter sich her, ist geradezu an das unförmige Gebilde gefesselt) von 1967 die Ehe als belastenden Ballast vor allem für Frauen an; die kanadische Künstlerin Jana Sterbak verpasst ihrem Modell bereits 1987, also lange vor Lady Gaga, das erste Fleischkleid und nennt das Ganze in Erinnerung an niederländische Stilleben des 17. Jahrhunderts „Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorectic“.

Nicht immer geht es derart ernst zu in „Das trägt doch kein Schwein“, Erwin Wurms Kampagnenfotos für den Wäschehersteller Palmers sind verwirrend und komisch, der Multimedia-Künstler John Bock baut groteske Beulenkostüme, die als Verhohnepiepelung der Haute Couture gelesen werden können. Andere Werke sind weniger plakativ und dabei nicht minder wirkungsvoll, Christian Boltanski hängt Hunderte von Kleidungsstücken unkommentiert in einen Raum – was zunächst aussieht wie eine riesige Umkleidekabine, bekommt bald einen gruseligen Beigeschmack: Wem gehör(t)en diese Kleider und wo sind ihre BesitzerInnen jetzt? Was ist mit ihnen geschehen?

Sandra Danicke: Das trägt doch kein Schwein. Kleider in der Kunst. Gebunden. Stuttgart: Belser Verlag 2013. 64 Seiten. 16,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Meret Oppenheim_Warum ich meine Schuhe liebeDie Muse der Surrealisten

Dass sich mit Kleidern und Schmuck Geschichten erzählen und sogar ganze Kunstströmungen begründen lassen, zeigt sich besonders deutlich in den skurrilen Objekten der deutsch-schweizerischen Surrealistin Meret Oppenheim (1913–1985), deren „Pelzhandschuhe“ auch in Danickes Buch zu finden sind. Oppenheims berühmtestes Werk, „Déjeuner en fourrure“ (Frühstück im Pelz/Pelztasse) entstand 1933, einige Jahre zuvor begann sie, Schmuck- und Modeskizzen anzufertigen, meist mit sehr detaillierten Angaben zu Materialien und Farbgestaltung.

Ihre Entwürfe waren witzig, kühn und wagemutig, auch vom heutigen Standpunkt aus: Mitte der 1930er Jahre zeichnete sie Halsschmuck aus Knochen und malte Skelette auf Lederhandschuhe. Ohrschmuck wurde bis in den Gehörgang gesteckt, und aus den bereits erwähnten Pelzhandschuhen schauten lackierte Fingernägel heraus. Meret Oppenheim trug ihre extraordinären Designs auch selbst: Fotos der Künstlerin im Papierkleid aus Schredder-Streifen oder einem Cape aus Affenfell finden sich neben zahlreichen Originalzeichnungen in dem hübschen Insel-Band „Warum ich meine Schuhe liebe“, der durch Gedichte, Tagebuchaufzeichnungen und ein Nachwort von Christiane Meyer-Thoss komplettiert wird.

Ihre radikal-paradoxen Experimente mit Material und Form machen Meret Oppenheim zu einer Vorläuferin und Patin des Punk, zumindest in puncto Mode. Dass Punk nicht nur die Popmusik revolutionierte und gesellschaftliche Normen über den Haufen werfen wollte, sondern die äußere Erscheinung mindestens genauso wichtig war (und ist), ist keine neue Erkenntnis und wurde bereits in vielen Publikationen erörtert. Im New Yorker Metropolitan Museum of Art eröffnete unlängst die Ausstellung „Punk: From Chaos to Couture“, die zeigen will, welche Entwicklung Punk-Mode seit den 1970er Jahren durchlaufen hat – kurz gesagt: vom Gossenlook zum Glamourstyle.

Zur Vernissage erschienen Stars der Punk-Ära wie Debbie Harry, aber auch Vogue-Chefin Anna Vintour, Beyoncé, Madonna und Anne Hathaway – was vor 35 Jahren unvereinbare Gegensätze gewesen wären, ist heutzutage Mainstream: Insignien des Punk-Styles wie Nieten, bunt gefärbte Haare, schwarze Lack- und Lederklamotten erzürnen Großmütter und brave Hausfrauen längst nicht mehr, sondern werden von diesen selbst getragen. Die Met-Ausstellung sorgte bisher nicht nur für Beifall, auch Kritik wurde laut: Der Schwerpunkt läge zu stark auf Modehäusern wie Calvin Klein oder Yves Saint-Laurent, die nichts mit dem Punk-Spirit gemein hätten, sondern lediglich stilistische Elemente in ihre Kreationen übernähmen; zu wenig sei über musikalische, historische, soziologische Hintergründe des britischen und amerikanischen Punk zu erfahren.

Gerechterweise muss erwähnt werden, dass Malcolm McLaren, Punk-Impresario, Boutiquebesitzer und Vater der Sex Pistols, nicht zuletzt „eine Menge Hosen verkaufen“ wollte und es nicht schätzte, wenn „the bunch of herberts“ (McLaren über die Sex Pistols) sich im Alleingang einkleidete – Vivienne Westwoods Gatte behielt gern über alles die Kontrolle, auch über Sid Vicious’ Hosen. Ohne McLaren, Westwood oder Zandra Rhodes und ihre dekonstruktivistisch-provokanten Kleidungsentwürfe hätten Musik, Texte und Haltung des Punk womöglich nicht die globale Wirkmacht entwickelt, die noch heute existiert.

Punk_Chaos_to_CoutureDas großformatige, reich bebilderte Begleitbuch zur Ausstellung ist jedenfalls über fast alle Zweifel erhaben, unter anderem wegen Jon Savages wie gewohnt brillantem Einleitungsessay, in dem er in rasanter Kurzfassung die Stilgeschichte des britischen und amerikanischen Punk erzählt.

Messerscharf und lapidar klärt Savage darüber auf, wieso die Ramones Jeans mit aufgerissenem Stoff über den Knien trugen (ein Verweis auf u. a. Dee Dees Nebenjob als male prostitute on 53rd/3rd: „what are you doing on your knees?“); und dass der ikonische Punkstyle schlechthin – löchrige T-Shirts mit Sicherheitsnadeln und mit Filzstift bekritzelt, siehe John Lydon/Johnny Rotten – aus Not und Armut entstanden; der Schockeffekt für brave Bürger kam sozusagen nebenbei. Die vorwiegend in schwarz-weiß abgedruckten Fotos lassen Designer wie John Galliano und Dolce & Gabbana und Models wie Kate Moss weniger als geniale Kreative, sondern mehr als zu spät gekommene Kopisten einer revolutionären Epoche der Popkultur erscheinen.

Meret Oppenheim: Warum ich meine Schuhe liebe. Herausgegeben von Christiane Meyer-Thoss. Mit Zeichnungen der Künstlerin. Gebunden. Berlin 2013: Insel Bücherei 1374. 97 Seiten. 13,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Meret Oppenheim.
Andrew Bolton, with Richard Hell, John Lydon, and Jon Savage: Punk: Chaos to Couture. Yale Books/Metropolitan Museum of Art. Gebunden. 239 Seiten. 1,95 Euro.

William Baker_Kylie FashionGenauso wie beim Punk

Definitiv kein Punk ist Kylie Minogue – und sie wollte es auch nie sein. Die 1968 geborene Australierin begann ihre Karriere als niedliche Nachbarin von Jason Donovan in einer TV-Serie und sang wenig später keimfreie Pophits, die ihr anfangs vom britischen Producerteam Stock/Aitken/Waterman auf den Teenieleib komponiert wurden.

Minogues makelloser, zierlicher Körper wurde von ihrem ersten Hit „I Should Be So Lucky“ (1988) an von namhaften Designern geliebt und eingekleidet: Thierry Mugler, Peter Morrissey, Gareth Pugh, Manolo Blahnik, Christian Lacroix, Jean Paul Gaultier, Dolce & Gabbana schufen Kreationen nur für sie; FotografInnen wie Ellen von Unwerth, Katerina Jebb oder William Baker lichteten Kylie für alle nur denkbaren Magazine von Vogue bis i-D ab; Werbekampagnen für H&M und Videos mit goldenen Hotpants und durchsichtigen Kapuzenoveralls machten Kylie Minogue berühmter als ihre Songs allein.

Kylie Minogue mag keine so „starke Marke“ sein wie Madonna oder Lady Gaga, ihr sonniges und allürenfreies Wesen jedoch führte im Lauf der Jahrzehnte (!) dazu, dass die Sängerin zu „Everybody’s Darling“ wurde: Sie ist Gay-Ikone, Mädchen von Nebenan, sexy Pin-up und seit ihrer tapfer überwundenen Brustkrebs-Erkrankung ein zwar verletzlicher, aber schlussendlich unkaputtbarer Star for all seasons.

Dass ihr die künstlerische Reputation oft abgesprochen wurde und sie nur durch Nick Caves Fürsprache und den gemeinsamen Hit „Where the Wild Roses Grow“ (1995) ein wenig credibility erlangte – geschenkt. Unterstützt vom Fotograf, Stylist, Kreativdirektor und langjährigem Weggefährten William Baker tritt La Minogue die Flucht nach vorn an: Der voluminöse Prachtband „Kylie Fashion“ versammelt Hunderte fantastischer Fotos von Kylie in fantastischen Kreationen, die zeigen, dass zum Popstartum nicht nur das musikalische Schaffen gehört. Also eigentlich genauso wie beim Punk.

Kylie Minogue & William Baker: Kylie Fashion. Mit einem Vorwort von Jean Paul Gaultier. Gebunden mit Schutzumschlag. Hamburg: Edel Books 2013. 224 Seiten. 400 Bilder. 36,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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