Geschrieben am 28. Januar 2015 von für Bücher, Litmag

Michel Houellebecq: Unterwerfung

Houellebecq_unterwerfungSchöne neue Welt

–Um Michel Houellebecqs neuen Roman „Unterwerfung“, der die Islamisierung Frankreichs thematisiert, überschlugen sich die Ereignisse auf eine wohl noch nie dagewesen Art und Weise: Am Tage der Auslieferung der Originalausgabe machte „Charlie Hebdo“ mit einer Karikatur des Autors auf und lieferte im Innenteil eine begeisterte Kritik. Der Rezensent starb am gleichen Tage wie weitere zehn seiner Redaktionskollegen im Kugelhagel islamistischer Attentäter. Die Debatte um Michel Houellebeqcs Roman fokussierte sich in der Folge schnell auf die moralisch-politische Frage, ob er islamfeindlich sei – doch diese Frage erweist sich beim genauerem Blick nicht als die entscheidende. Von Karsten Herrmann

Schon auf den ersten Seiten des Romans finden wir uns in Houllebecqs Welt des Weltekels wieder, der ebenso erfrischenden wie eindimensionalen Fundamentalkritik am Zustand „der westlichen, vor unseren Augen unter gehenden Welt“. Angetrieben vom „unermüdlichen Proteus“ des Geldes dreht sie sich um den kapitalistischen Wettbewerb, um Konsumismus, Glamour und austauschbare Ikonen.

Zentraler Protagonist des im Jahre 2022 spielenden Romans ist der Literaturwissenschaftler und Hochschullehrer Francois, ein Spezialist für Joris K. Huysmans. Dieser legte im ausgehenden 19. Jahrhundert mit „Gegen den Strich“ ein zentrales Zeugnis für die Dekadenz des Fin de siécle vor und fand später zum katholischen Glauben.

Der 44 jährige Francois ist jedoch (noch) ein Nihilist par excellence und sein Leben „ähnelte in seiner Eintönigkeit und vorhersehbaren Farblosigkeit“ dem seines Gewährsmannes Huysmans. Wie vom Provokateur Houellebecq und seinen Figuren gewohnt, ist Francois dabei ein Freund von entseeltem Sex mit Prostituierten und ein Stammbesucher von „YouPorn“.

Mit zunächst eher gelangweiltem, dann aber zunehmend gewecktem Interesse beobachtet Francois die politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit, durch die das ewig gleiche „Mitte-Links“ / „Mitte-Rechts“-Schema ins Wanken zu kommen scheint. Auf der seinen Seite macht nämlich die „Front National“ Furore und auf der anderen Seite die moderaten Muslim-Brüder unter der Führung von Mohammed Ben Abbes. Es bildet sich eine breite „republikanische Front“ gegen die Rechtsextremen und Abbes übernimmt schließlich nach bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in einer Koalition mit Sozialisten und Bürgerlichen die Macht im Land. Abbes erscheint in diesem Roman als ein überaus geschickter Politiker mit einer historischen Vision: Ein neues römisches Reich, ein um die arabischen Länder erweitertes Europa. Wirtschaftlich schlägt er einen „Dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus ein und rückt die Familie als Keimzelle der Gesellschaft in das Zentrum seiner Politik.

Francois, der zunächst – wie natürlich auch alle Frauen – seine Lehrtätigkeit an der Universität bei vollen Pensionsbezügen aufgeben muss, fängt ganz langsam an mit dem Islam und seinem Wertesystem zu liebäugeln. Er erkennt Merkmale eines „neuen Humanismus“ und als unverbesserlicher Chauvinist kann er natürlich auch der neuen Rolle der Frau und der Polygamie so Einiges abgewinnen…

In formal und sprachlich schlichter, aber überaus wirkungsvoller Weise bietet „Unterwerfung“ eine freche und ironisch gebrochene Vision unserer zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung. Mit ethnographischem Blick seziert Houellebecq die aus seiner Sicht völlig entwertete und dekadente westliche Kultur und malt genüsslich aus, wie der wertebasierte Islam hier aufblüht. Hier findet also weniger der von Huntington beschworene „Kampf der Kulturen“ statt, sondern hier wird das Vakuum der einen Kultur durch eine andere ausgefüllt.

Houllebecq ist in diesem Szenario so auch weit davon entfernt, islamfeindlich zu sein. Vielmehr zeigt er sich einmal mehr als scharfzüngiger und provokativer Kritiker des westlichen Kultur und seiner existenziellen Orientierungslosigkeit. Die Halt und Entlastung bringende „Unterwerfung“ unter eine Religion scheint da als – wenn auch sarkastisch angehauchte – mögliche Alternative auf.

Karsten Herrmann

Michel Houellebecq: Unterwerfung (Soumission, 2015). Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek. Dumont, 2015. 274 Seiten. 22,99 Euro.

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