Geschrieben am 21. Januar 2015 von für Bücher, Litmag

Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand

Köhlmeier_978-3-446-24603-4_MR1.inddDer Clown und der Staatsmann

– Michael Köhlmeier, der zuletzt mit dem grandiosen „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ aufhorchen ließ, erzählt in seinem neuen Roman von der wundersamen Freundschaft zwischen Charlie Chaplin und Winston Churchill. Von zwei Giganten der Weltgeschichte also, die politisch und weltanschaulich eigentlich so gut wie gar nichts zu verbinden scheint. Von Karsten Herrmann

Charlie Chaplin und Winston Churchill treffen sich in diesem Roman das erste Mal bei einer mondänen Party in Santa Monica und begeben sich auf einen langen Strandspaziergang. Sofort haben sie gegenseitig ihr tiefe Seelenverwandtschaft erspürt: Beide werden immer wieder vom „Schwarzen Hund“, einem Gemütszustand finsterster Ausweglosigkeit, gepackt. Bei diesem und den folgenden Treffen besprechen sie in einer „bis zur Erleuchtung“ nüchternen Gesprächshaltung „Motive und Techniken, sich das Leben zu nehmen, diskutierten Peristase und Ambiente der letzten Tage und Stunden berühmter Selbstmörder“.

Frei nach Nietzsche lassen sie sich von dem Gedanken an den Selbstmord trösten, so dass sie sich wieder ihrem Tagewerk widmen können: Der große, an der Schwelle zwischen Stumm- und Tonfilm stehende Komiker Chaplin der großen Hitler-Parodie „The Great Dictator“, Churchill der zupackenden Rettung Englands vor den Nationalsozialisten.

Zwischen historischer Dokumentation und reiner Fiktion

Michael Köhlmeier beleuchtet in seinem Roman die schwarzen Abgründe zweier weltberühmter Männer, die sich auf zuweilen groteske Weise dem Sog des Todes entgegenstemmen. Churchills immer wieder beschriebene renaissancehafte Vitalität entpuppt sich dabei ebenso wie Chaplins „Methode des Clowns“ als „Disziplin gegen den Tod“. Geschickt verbindet Köhlmeier das Innenleben seiner beiden Protagonisten mit dem brisanten und durch Hitlers Aufstieg geprägten Weltgeschehen der 30er Jahre und kontrastiert so immer wieder die große Politik mit der Kunst und der sich aus einer tiefen Melancholie speisenden Komik.

Erzählt wird die ganze Geschichte von einem namenlosen Ich-Erzähler, dessen Vater eine Churchill-Biographie geschrieben und dabei auch dessen „privatesten Privatsekretär“ kennen gelernt hatte. Neben dieser wichtigen, bisher geheimen Informationsbasis nutzt der Erzähler eine Vielzahl weiterer historischer Quellen. Zuweilen droht der spannende und originelle Kern der Geschichte dabei überwuchert zu werden durch Exkurse zu Churchills berühmten Vorfahren und seinen Nachkommen sowie zu Chaplins näherem Lebensumfeld.

Köhlmeier verwischt in „Zwei Herren am Strand“ auf postmodern-unterhaltsame Weise die Grenzen zwischen historischer Dokumentation und freier Fiktion und bietet dem Leser sowohl einen historischen wie philosophischen Tiefgang. Einmal unterstreicht er dabei seine fein geschliffene, meisterhafte Erzählkunst.

Karsten Herrmann

Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand. Hanser 2014. 252 Seiten. 17,90 Euro.

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