Geschrieben am 14. März 2004 von für Bücher, Crimemag

Martin Suter: Lila, lila

Spiel mit doppeltem Boden

Schon vom ersten Satz an summt Martin Suters traumhaft sicherer und kristallklarer Ton betörend in den Ohren und zieht den Leser in einen weiteren atmosphärisch dichten Psychothriller des Schweizer Erfolgsautoren hinein.

Martin Suters Protagonist ist dieses Mal ein 23-jähriger Kellner namens David Kern. Er arbeitet in einer von trendy (Pseudo-) Schriftstellern, Art Directors, Architekten und Künstlern bevölkerten Retro-Lounge-Bar und lebt recht antriebslos in eine unbestimmte Zukunft hinein – bis er bei einem Trödler ein altes Nachttischchen kauft, das sein Leben radikal verändert. In der verklemmten Schublade findet er das Manuskript eines tragischen Liebesromans aus den 50er Jahren, „ein langer Abschiedsbrief, den … nie jemand zu Gesicht bekommen hatte.“

Spirale aus Liebe und Lügen

Um bei der jungen Literaturstudentin Marie endlich einmal Interesse zu erwecken, gibt sich der unsichere David als Verfasser aus und bittet sie, das Manuskript zu lesen. Marie ist begeistert, sendet es ohne Davids Wissen an einen Verlag und verliebt sich „in diesen großen unergründlichen Jungen“ und seinen romantischen Roman.

Nun setzt sich eine Spirale aus Liebe und Lügen in Gang, aus der es für David kaum noch ein Entrinnen gibt: Das Buch wird verlegt und der Jungliterat nach einer gründlich misslungenen Vernissage auf Lesereise in die Provinz geschickt. Mit einer enthusiastischen Besprechung in einer großen Zeitung kommt der Durchbruch, und das Buch wird als der „Anfang vom Ende der literarischen Postmoderne“ proklamiert.

Souverän spult Martin Suter seine aus verschiedenen Perspektiven erzählte Geschichte ab und baut die psychologische Spannung zwischen den überzeugend charakterisierten Romanfiguren auf. Einfühlsam zeigt er, wie David an seinem unverdienten Erfolg leidet und es zugleich genießt, im Mittelpunkt zu stehen – um sich so nicht zuletzt auch Maries Liebe zu sichern. Ganz nebenbei liefert er aber auch einen leicht spöttischen und wohl auf eigenen Erfahrungen basierenden Einblick in die Mechanismen des aufgeregten Literatur- und Medienbetriebs.

Willenloser Spielball

Und dann kommt es, wie es kommen muss: Mit dem dreist-charmanten Lebenskünstler Jacky, der am Rande der Obdachlosigkeit davon lebt, „den unterhaltsamen Alten zu spielen“, taucht der vermeintlich wahre Autor von „Lila, Lila“ auf. David ist ihm wehrlos ausgeliefert und wird zum fast willenlosen Spielball widerstreitender Kräfte – bis das unvermeidliche Unglück hereinbricht.

Martin Suter spielt in„Lila, lila“ ein – typisch postmodernes! – Spiel mit doppeltem Boden. Raffiniert verschränkt er dabei Literatur und Leben, lässt aus Fiktion Realität werden und umgekehrt. Er bietet ein solides Lesevergnügen, dem als Sahnehäubchen allerdings ein wenig mehr Thrill und Überraschung gut getan hätten.

Karsten Herrmann

Martin Suter: Lila, Lila. Diogenes 2004. Gebunden. 352 Seiten. 21.90 Euro. ISBN: 3-257-06386-5