Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Martin Suter: Ein perfekter Freund

Exzellenter Psychothriller

Wie schon in „Auf der dunklen Seite des Mondes“ beeindruckt Martin Suters Prosa durch ihre ungeheure Präzision und Plastizität – mit wenigen Strichen skizziert der ehemalige Werbetexter und Creative Director komplexe Charaktere und schafft eine dichte, sinnliche Atmosphäre, aus der immer wieder kostbare Momente der profanen Erleuchtung hervorblitzen.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen auf einer Intensivstation mit einer posttraumatischen Amnesie auf und haben die letzen 50 Tage Ihres Lebens verloren – Tage, in denen Sie sich plötzlich entscheidend verändert haben und Ihr gesamtes Dasein sich komplett umgekrempelt hat. Mit diesem albtraumhaften Szenario lässt Martin Suter seinen neuen Roman „Ein perfekter Freund“ einsetzen und atemlos kann der Leser verfolgen, wie sich Steinchen für Steinchen das Mosaik der verlorenen Zeit wieder zusammensetzt. Suters Protagonist heißt Fabio Rossi und war vor seiner Amnesie – verursacht durch einen Schlag auf den Hinterkopf – Journalist bei einer Sonntagszeitung. Doch wie er erfahren muss, hat er diesen Job ebenso kurzfristig gekündigt wie die langjährige Beziehung zu seiner Freundin Norina. Diese ist jetzt mit seinem besten Freund Lucas Jäger liiert und eine junge durchgestylte PR-Frau namens Marlen stellt sich Fabio als seine neue Freundin vor. Kurzum: Fabio Rossis Existenz ist eine völlig andere wie zuvor und „er fühlte sich wie ein Fremder im eigenen Leben.“

Systematisch macht sich Fabio während brütend heißer Sommertage an die Rekonstruktion der jüngsten Vergangenheit. Doch das ist nicht einfach, denn auf seinem Handhold und seinem Powerbook wurden entscheidende Daten manipuliert. Über seine letzte Story für die Sonntagszeitung – eine Reportage über Selbstmörder – kristallisiert sich aus dem Nebel des Vergessens schließlich eine „große Sache“, ein ungeheurer Skandal heraus. Ausgerechnet sein bester Freund Lucas scheint dabei eine ganz und gar unrühmliche Rolle zu spielen.

Wie die Kindheit bei Proust durch den Geschmack der Madeleines, so kehrt bei Fabio Rossi die Erinnerung schlagartig durch den Geruch vergärenden Obstes zurück. Der Schlussakkord vollzieht sich bei heftigem Gewitter und Feuerwerk – doch werden hier nicht nach einfachem Muster schwarz und weiß geschieden, sondern fein nuancierte Graustufen gezeichnet.

Wie schon in „Auf der dunklen Seite des Mondes“ beeindruckt Martin Suters Prosa durch ihre ungeheure Präzision und Plastizität – mit wenigen Strichen skizziert der ehemalige Werbetexter und Creative Director komplexe Charaktere und schafft eine dichte, sinnliche Atmosphäre, aus der immer wieder kostbare Momente der profanen Erleuchtung hervorblitzen. Souverän und ohne billige Effekte treibt Martin Suter die Spannungskurve nach oben und führt nicht nur in die Abgründe des White Collar-Verbrechens, sondern auch in die der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens – und manchmal scheint das Vergessen da doch die beste Alternative zu sein.

Karsten Herrmann

Martin Suter: Ein perfekter Freund. Diogenes, 338 S., 19,90 Euro.