Geschrieben am 27. November 2010 von für Bücher, Crimemag

Martin Booth: The American

Künstler, Killer, Büchsenmacher

Martin Booths posthum erschienener Roman „A Very Private Gentleman“ war die Vorlage für den Film „The American“ mit George Clooney. Er liefert eher das Psychogramm eines paranoiden Außenseiters als einen klassischen Action-Krimi. Es lohnt jedoch, sich auf den bedächtigen Erzählstil, die grandiosen italienischen Impressionen und auf die kulturträchtigen Exkurse vor dem bleihaltigen Showdown einzulassen. Von Peter Münder

Er ist weder Botaniker noch Lepidopterologe oder Kunstgeschichtler. Doch für den abgeklärt-meditativen Ich-Erzähler, der in einem kleinen verträumten Nest in den Appeninen abgetaucht ist und sich so schwärmerisch für die Natur, für Schmetterlinge, Antiquitäten und rare Kunstwerke begeistern kann, scheinen diese Interessengebiete von geradezu existenzieller Bedeutung zu sein. Er wirkt schon sehr maniriert, dieser Signor Farfalla, der sich als Schmetterlingsmaler ausgibt, nur diffuse Details über seine Vorgeschichte absondert und nicht einmal den Namen eines kleinen englischen Dorfes erwähnen will, in dem er früher mal wohnte.

Und warum alle diese Vorsichtsmaßnahmen? „Irgendwo wartet immer jemand im Schatten“, bemerkt der Schöngeist. Niemand darf in seine Wohnung, Fluchtwege werden beim Besuch eines Cafés ausbaldowert, seine betagte Ente immer in abgelegenen Seitenstraßen geparkt, damit mögliche Verfolger keine Anhaltspunkte für seinen Aufenthaltsort haben. Dann outet sich dieser Schöngeist schließlich – auf Seite 129 – als Waffenbauer: Er ist spezialisiert auf Präzisionsgewehre, die Berufskiller einsetzen. Einige Leichen pflastern auch seinen Weg, weil er heimtückische Verräter aus dem Weg räumen musste.

Nun sind Geheimdienstler und rachsüchtige Angehörige von Attentatsopfern hinter ihm her. Doch dieser Killer versteht sich als Künstler, die profane Berufsbezeichnung Büchsenmacher klingt ihm zu sehr nach Handwerk. Würde dieser abgeklärte Kulturträger noch die Strindberg’sche Kalenderweisheit „Es ist schade um die Menschen“ von sich geben, würde das auch noch ins Bild passen. Kein Zweifel: Hier jongliert der vielseitige britische Autor Martin Booth (1944–2004) mit diversen Normen und Genres, um Verständnis für einen aus der Bahn geworfenen Außenseiter zu wecken.

So ein Außenseiter-Schicksal war Booth nicht ganz fremd: Er schlug sich als Lieferwagenfahrer, Kellner und Englisch-Lehrer durch, bevor er sich mit Lyrikbänden, Kinderbüchern und als Autor des Bestsellers „Hiroshima Joe“ in England einen Namen machte. Er lebte als Sohn eines Kolonialbeamten lange in Hong Kong und Kenia; die kritisch-distanzierte Beobachterrolle seiner Figuren ist sicher dieser früheren Ex-Pat-Outsider-Position geschuldet. Booths geschicktes Jonglieren mit Wertvorstellungen und Genre-Klischees führt in „The American“ zwar zu grotesken Konstellationen, wenn der Killer mit dem Dorf-Priester Don Benedetto beim Wein über Schuld und Sühne, die Medici oder Antiquitäten diskutiert. Oder wenn der Waffenlieferant für Berufskiller mit nostalgischem Rückblick auf die gute alte Zeit lamentiert, dass es in seinem Metier keinen Stil, kein Gefühl für echte Qualitätsware mehr gäbe: „Heutzutage gibt es nur noch Bomben und Bazookas, ungezielte Kugelhagel, funkgezündete Landminen – es gibt keine Kunstfertigkeit mehr und keine Gewissenhaftigkeit“.

So ein blutiges Gemetzel erwartet den Waffenkünstler schließlich, als sein Verfolger ihn dann doch noch ausfindig macht – es wirkt wie ein erlösender Befreiungsschlag nach all den Blicken zurück auf unsichtbare Beschatter. Manche Exkurse übers Mittelalter, exotische Schmetterlinge oder antike Möbel wirken vielleicht doch etwas zu subtil und abgehoben. Doch gerade dann, wenn man meint, aus Versehen in einem dieser einschläfernden kulturträchtigen Essays von Umberto Eco oder einem Bürokraten-Traktat von Niklas Luhmann gelandet zu sein, bombardiert Booth den Leser mit drastischen Puff-Szenen, in denen sich der Schmetterlingsmann beim flotten Dreier mit zwei Studentinnen vergnügt und dieser „Schalterbeamte des Todes“ doch noch Lebenslust pur genießen kann.

Trotz etlicher Längen eine brisante, gelungene Gratwanderung zwischen den Genres für Leser, die etwas gegen plumpe Ballermann-Literatur haben. Den hyperaktiven, actiongetränkten Film muss man allerdings total ausblenden – das sind zwei völlig unterschiedliche Welten.

Peter Münder

Martin Booth: The American. (A very private gentleman, 1991) Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2010. 397 Seiten. 9,95 Euro.

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