Geschrieben am 24. Januar 2005 von für Bücher, Litmag

Martin Amis: Yellow Dog

Ein dicker Hund

Das Potential war da, doch zu einem gelungenen Roman hat es dieses Mal leider nicht gereicht: Martin Amis konnte in „Yellow dog“ seine vielen Ideen nicht zu einem in sich geschlossenen Werk verknüpfen.

Der Ruf eines enfant terribles muss gepflegt werden – nicht zuletzt, weil sich mit diesem Prädikat so wunderbar werben lässt. Dem Waliser Martin Amis eilt der Ruf des Tabubrechers voraus und auch sein neuer Roman, „Yellow Dog“, bietet eine Menge Reibungsfläche der ein oder anderen Art: Hier bekommt die Pornobranche ebenso ihr Fett weg wie die britische Monarchie oder die verlogenen Medien. Wirklich zu berühren vermag der Roman allerdings nur in wenigen Szenen.

Ein Roman, der kaum berührt

Erzählt wird der Roman in mehreren Handlungssträngen, die sich jeweils kapitelweise abwechseln und einen gewissen Grad an Synchronisation der Ereignisse veranschaulichen sollen. Da ist vor allem die Geschichte des sympathischen Londoner Schauspielers Xan Meo, der bei einem brutalen Überfall dermaßen zusammengeschlagen wird, dass er schwere Schädel- und somit Hirnverletzungen davonträgt und sein Charakter nach der Bewusstlosigkeit eine böse Persönlichkeitsveränderung durchläuft. Grundlose Aggressivität seiner Ehefrau gegenüber, plötzliche, eindeutig sexuelle Angezogenheit durch die kleine Tochter – und nicht zuletzt das Intrigenspiel seiner ersten Frau lassen das zuvor heil erscheinende Familienleben auseinander brechen.

In einem zweiten Erzählstrang spielt eine fiktive Royal Family die Hauptrolle. Eine todkranke Königin, ein antriebsarmer und einfältiger König und ein zutiefst loyaler Adlatus werden mit der Tatsache konfrontiert, dass die fünfzehnjährige Prinzessin offenbar beim Bad auf einem der Landsitze nicht allein war – und dabei gefilmt wurde.

Ein weiterer tragischer Held im Kaleidoskop der gescheiterten Gestalten ist der Journalist und Kolumnist Clint Smoker, der für die Morning Lark tätig ist, ein Blatt, wie es in dieser Ausprägung wohl nur auf der Insel geben kann. Die Leser des Heftes werden in Redaktionskonferenzen konsequent als „Wichser“ bezeichnet – und kaum einem anderen journalistischen Anspruch als der perfekten Wichsvorlage sieht sich das Magazin verpflichtet. Doch auf der Jagd nach dem geilsten Skandal wird auch Clint schließlich auf der Strecke bleiben.

Im Mittelpunkt des vierten Erzählstranges schließlich steht Royce Traynor, der zwar bereits leblos in einem Sarg die Reise von London nach Houston, Texas, antritt, aber wegen unsachgemäßer Vertäuung und erheblicher Turbulenzen im Frachtraum des Flugzeuges ein verhängnisvolles Eigenleben führt.

Vier Erzählstränge – keine Geschlossenheit

Jeder einzelne dieser Erzählstränge verfügt über das Potential für einen eigenen Roman oder zumindest eine eigene Erzählung – doch was eigentlich als Pluspunkt des Romans gewertet werden könnte, birgt letztlich eine große Schwäche: Auch wenn es Amis gelingt, die verschiedenen Fäden logisch durchaus geschickt und schlüssig miteinander zu verknüpfen, will sich letztlich doch kein wirklich geschlossener Roman einstellen. Amis gelingt die Pflicht, nicht jedoch die Kür. Es hat den Anschein, als hätte sein Bemühen um den Überblick über die Gesamtzusammenhänge seinen Blick für die Details getrübt.
Lediglich die Geschichte von Xan Meo und seiner Familie erreicht eine Intensität, die den Leser wirklich zu berühren und sogar zu schockieren vermag. Clint Smoker und die Machenschaften der Morning Lark sind zwar für einige Lacher unterhalb der Gürtellinie gut, doch das literarische Potential des Autors blitzt hier nur selten auf. Als gallige Anklage der „Obszönisierung“ unserer Welt, in der Drinks „Blowjob“ heißen und in der Sex-Skandale mehr Aufmerksamkeit erregen als politische Entscheidungen, funktioniert „Yellow Dog“ recht gut – als Roman vermag das Buch allerdings nicht zu überzeugen.

Frank Schorneck

Zitat:

Als Clint ins Konferenzzimmer trampelte, beugte sich Desmond Heaf, der Verleger, gerade über die Titelseite der Morning Lark vom Vortag und sagte mit bekümmerter Stimme: „Ich meine, sehen Sie sie sich doch an. Clint: gut, dass Sie kommen, mein Sohn. Sehen Sie sie sich an. So was nenne ich eine Missbildung. Oder wildgewordene Chirurgie: Effekthascherei. Das sind sehr unglückliche Menschen, und das sieht man ihnen an. Sehen Sie ihre Augen. Ich habe das einmal gesagt, ich habe es tausendmal gesagt. Die Oberweite darf ein vernünftiges Maß nicht überschreiten. Siebzig F sollte als Richtschnur gelten. Ich sage es immer wieder. Eine Zeitlang halten sie sich ganz gut, aber dann schrumpfen sie langsam wieder ein. Und dann haben wir das.“
„Noch wesentlicher, Chef“, sagte Clint, „so etwas macht es einfach zu peinlich, die Zeitung zu kaufen. Ich wette, bei so was springen die Wichser ab.“
Schon als die erste Ausgabe noch gar nicht erschienen war, war es bei der Morning Lark gängige Praxis, die Leser als Wichser zu bezeichnen. Das galt nicht nur für spezielle Rubriken (Wichserbriefe, Unsere Wichser stellen Fragen und so weiter), sondern auch für ganz allgemeine Phrasen aus dem Zeitungswesen, wie etwa „Der Wichser kommt zuerst“, „Der Wichser hat das Wort“ oder „Ist das von Interesse für unsere Wichser?“. Die Belegschaft grinste schon lange nicht mehr, wenn einer dieses Wort in den Mund nahm.
„Gut gesagt, Clint“, sagte Heaf.
Die Wichser springen nicht ab“, sagte Supermaniam. „Es gibt vielleicht eine kleine Delle in der Zuwachsrate, aber wirklich abspringen tun die Wichser nicht.“
„Keine Ausweichmanöver“, dröhnte Clint. „Wir verlieren potentielle Wichser.“
„Ich lasse Mackelyne die Zahlen nachsehen“, sagte Heaf. „Wer setzt eigentlich dauernd diese verfluchten dicken … Dinger in die Zeitung?“
Alles schwieg.

Martin Amis: Yellow Dog. Deutsch von Werner Schmitz. Roman. Carl Hanser Verlag. 2004. Gebunden, 132 Seiten, 25,60 Euro. ISBN 3446205241.