Geschrieben am 4. August 2012 von für Bücher, Crimemag

Mark Billingham: Tödlicher Verdacht

Ein bisschen mehr Pep!

Befindlichkeiten von literarischen Figuren geben, so sagt man, einem Roman Profil und Tiefe. Na ja. Man kann es natürlich auch übertreiben wie hier Mark Billingham, findet Joachim Feldmann …

Meine momentane literarische Lieblingsfigur heißt Audun Vetti. Ich weiß nicht, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt, da die mir zugänglichen Informationen ziemlich spärlich sind. Den Namen fand ich in einem Kriminalroman, der erst im Oktober erscheinen wird und deshalb noch nicht besprochen werden darf. Dort heißt es, sie oder er habe nach einer Beförderung die „Polizeistation verlassen“, um Platz für eine erfahrene Juristin namens Christine Thiis zu machen. Über Frau Thiis könnte ich ein wenig mehr erzählen, verzichte aber darauf, denn sie hat nicht den Hauch einer Chance, zu einer Lieblingsfigur zu werden, ebenso wenig wie der Ermittler, dessen Namen ich für mich behalten werde. Audun Vetti hat den großen Vorteil, nur in einem einzigen Satz dieses ungenannt bleibenden Kriminalromans norwegischer Herkunft aufzutauchen. Das macht ihn oder sie so sympathisch.

Fies

Von Tom Thorne lässt sich das leider nicht behaupten. Der Kriminalist spielt bereits in einer stattlichen Reihe von Romanen des englischen Schriftstellers Mark Billingham die Hauptrolle. Der neueste heißt „Tödlicher Verdacht“. Für mich war es die erste Begegnung mit Tom Thorne. Und es soll auch bei diesem einen Mal bleiben. Auf 473 Seiten versucht der – aus mir unerfindlichen Gründen – mehrfach preisgekrönte Autor die Geschichte eines perfiden Verbrechens zu erzählen. Während Donna Langford eine langjährige Gefängnisstrafe absitzt, weil sie den Mord an ihrem fiesen Gatten in Auftrag gegeben hat, sitzt dieser in Spanien und lässt sich’s gutgehen. Wieder in Freiheit, bekommt sie Fotos zugeschickt, die beweisen, dass damals ein anderer Mann in einem brennenden Auto den Tod gefunden haben muss. Donna beauftragt eine Privatdetektivin, die sich wiederum mit Thorne zusammentut, um zu ermitteln, was wirklich vorgefallen ist, zumal sie befürchtet, dass sich ihre Tochter, die bei Antritt der Haftstrafe in einer Pflegefamilie untergekommen war, in den Händen des skrupellosen vermeintlichen Mordopfers befindet.

Mehr Farbe

Stoff für einen halbwegs spannenden Roman sollte man meinen. Doch dafür hätte es eines Autors bedurft, dem es leichter fällt, in Worte zu fassen, was ihm so durch den Kopf geht. Billingham erzählt nicht, sondern erklärt und berichtet. Und wie es heute populär ist, lässt er uns ausgiebig am Privatleben seiner Figuren teilhaben. Das liest sich dann so: „Obwohl Louise noch immer einen oder zwei Abende in der Woche in ihrer eigenen Wohnung in Pimlico verbrachte, hatten sie in Erwägung gezogen, Thornes Wohnung ein wenig auf Vordermann zu bringen, und waren auf der Suche nach Anregungen, was die Einrichtung und Dekoration anbelangte. ‚Etwas, das ein bisschen mehr Farbe reinbringt‘, sagte sie. ‚Ein bisschen mehr Pep.‘“ Da nickt der Leser begeistert und fragt sich, ob „ein bisschen mehr Pep“ ausreichen würde, diesen öden Schmöker in ein Stück akzeptable Spannungsliteratur zu verwandeln. Dann grübelt er darüber nach, was wohl Audun Vetti so alles treiben mag.

Joachim Feldmann

Mark Billingham: Tödlicher Verdacht (From the Dead, 2010). Roman. Deutsch von Thomas Bauer. 473 Seiten. München: Goldmann 2012. 9,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

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