Geschrieben am 17. April 2010 von für Bücher, Crimemag

Margaret Coel: Ein leichtes Ziel

Redundanz, dein Name ist Coel

Margaret Coel ist eine Autorin, deren Namen man schon seit Jahren und Jahren geheimnisvoll raunend erwähnte. Allerdings hat Coel weder einen Qualitäts- noch einen Markt-Test bei uns trotz vieler Anläufe überstanden. Trotzdem hat sich jetzt ein Verlagshaus erbarmt. Und das war ein Fehler, wie Henrike Heiland uns demonstriert.

Okay, darüber, dass und warum viel Unsinn gedruckt wird, ist schon zu viel geredet worden. Aber beim Thema „Suhrkamp“, Unterthema „eigene, neue, ganz besondere weil Suhrkamp“-Krimireihe (jaha, aber man hat es halt noch so im Kopf), da sei einem das Augenbrauenhochziehen darüber, dass so viele Bäume sterben mussten, noch erlaubt.

Dabei ist das Thema ganz gut. Na ja, gut gemeint. Irgendwie geht es nämlich um die Aufarbeitung des Sand-Creek-Massakers von 1864, bei dem Hunderte Arapaho- und Cheyenne-Indianer von Armee-Soldaten getötet wurden. Der gute Wille ist schon mal bei der Autorin da. Aber darüber darf (und wird) man nicht vergessen, dass Ein leichtes Ziel immer noch ein Thriller sein soll.

Hauptfigur dieses Thrillers ist Catherine McLeod: knallharte Journalistin, attraktive Ende 30, frisch geschieden von einem der reichsten und bestaussehenden Männer Denvers, und – Achtung – in ihren Adern fließt Arapahoblut. Wie viel genau, das weiß sie eigentlich nicht richtig, weil sie im Alter von fünf Jahren adoptiert wurde und sich offenbar nie wirklich für ihre leiblichen Eltern interessiert hat. Wie das eben so ist, als knallharte Journalistin, da gibt es genügend andere Dinge von Relevanz.

Catherine also geht eines Nachts mit ihrem Hund Gassi, und während sie so mitternächtlich durch die Dunkelheit schreitet, fühlt sie sich urplötzlich verfolgt. Na gut, sind wir fair, sie hört Schritte, und das ist ihr unheimlich. Jedenfalls folgt ihr wirklich jemand, sogar bis vor die Haustür, aber sie schafft es ruck, zuck! ins Haus, wirft die Tür zu und ruft als Erstes ihren schwulen Kumpel und Scheidungsanwalt an. Der große starke Freund kommt ein paar Minuten später, bringt blöderweise und ungestüm, wie er nun mal ist, den Verfolger mit ins Haus, und was macht der unheimliche Typ, der offenbar die letzten paar Minuten kontemplierend vor Catherines Haus stand? Erschießt den Freund. Findet dann aber – oh verdammt – Catherine nicht rechtzeitig, weil ja auch noch Polizei anrückt, und verzieht sich.

Was wird aus meinem Hund?

Es ist aber klar, dass der böse Mann von nun an Catherine an den Fersen haften wird. Catherine durchläuft auch ab sofort alle Klischees der starken, unabhängigen weiblichen Thrillerhauptfigur von „Ich will aber nicht aus meiner Wohnung“ über „Ich lasse mir doch von einem unbekannten Killer nicht in mein Leben quatschen“ bis „Aber was wird denn dann aus meinem Hund“, bevor sie sich auf das Angebot ihres Ex-Mannes einlässt und sich ein paar Tage in dessen total super überwachtes, eingezäuntes und von der Außenwelt abgeschirmtes Häuschen in den Bergen zurückzieht.

Da kommt dann auch die Sexszene, die so ein Buch irgendwann ja mal haben muss, wenn schon alle Männer, die eindeutig zu den guten zählen, betont dicke Muskeln und erwähnenswert volles Haar haben. Der Sex ist übrigens mit dem Ex, der nie aufgehört hat, sie zu lieben, aber ach, die gesellschaftlichen Konventionen (sie von unbekannter Herkunft, er ein Nachfahre eines der Stadtgründer, was nach Europa übersetzt vermutlich so was wie Hochadel sein soll), der Sex ist übrigens sensationell gut, wie immer, das Essen vorher und der Alkohol zwischendurch vom Feinsten, aber am nächsten Tag die Ernüchterung, der Ex ist längst anderweitig verlobt. Und ach so!, da war ja noch dieser Killer.

Der, so glaubt Catherine wiederholtermaßen alle zehn Seiten zu wissen, ist ja nur wegen einer Story hinter ihr her, und die einzige Story, für die es sich im Moment zu töten lohnt – warum genau, das muss sie noch rausfinden – ist die über die Arapahoindianer. Die ganz schön viel Land vom Bundesstaat fordern (ein Drittel von der Gesamtfläche Colorados), so von wegen damals 1864, das war ja Völkermord, aber sie würden durchaus die Landansprüche dramatisch eindampfen, wenn man ihnen 200 Hektar in Flughafennähe gibt, auf denen sie ein Casino bauen können. Catherine, eigentlich auf Seiten der Indianer, weil sie irgendwo ja dann schon auch ein bisschen das indianische Blut fühlen kann, findet das mit dem Casino gar nicht so klasse – das böse, böse Glückspiel, nicht wahr – und will auf jeden Fall heiße Artikel dagegen schreiben.

Irgendwo sitzt immer der Mörder rum

Wie auch immer, es ist ja ein Thriller, und der Mörder sitzt immer irgendwo rum und beobachtet Catherine. Wir erfahren, dass es sich um einen total abgebrühten Auftragskiller handelt, der bisher jeden noch so schwierigen Auftrag locker erledigt hat. 50.000 Dollar hat man ihm diesmal gegeben. Wir erfahren auch ein bisschen was über seine total harte Ausbildung zur Killermaschine, dann gibt es immer mal Telefonate zu Frau und Kindern, die alle denken, er sei Geschäftsmann oder so was, und als er dann zum zweiten Anschlag ausholt, weiß man im Grunde schon: Das wird wieder nix. Catherine, ganz gewieft, entzieht sich dem Kerl, diesmal sterben gleich eine ganze Reihe Unschuldiger, aber sie schneidet sich erst mal die Haare ab.

Frisurenwechsel

Und immer wieder recherchiert sie eine Menge über das Sand-Creek-Massaker, der Leser soll es auch erfahren, Zeitungsartikel werden ihm vorgeführt, alte Augenzeugenberichte und was noch so in den Archiven zu finden ist, und das Ganze zieht sich quer durch einige Hundert Seiten, ohne dass nennenswert Neues geschieht, sieht man mal von den Frisurenwechseln bei Catherine ab.

Dauernd wird wiederholt, wie schrecklich sie es findet, dass sie nicht in ihr altes Leben zurückkann, dauernd fühlt sich Catherine verfolgt und bemitleidenswert, dauernd wird betont, wie abgebrüht der Killer ist, der sich übrigens in lächerlicher Häufigkeit auf Catherines Mailbox meldet, um ihr zu sagen, sie solle sich schon mal verabschieden, nur um sie dann beim nächsten Mal wieder zu verfehlen. Der muskulöse, vollhaarige Polizist, der Catherine zu retten versucht, hat dafür auch einen Erklärungsversuch, er meint, der Killer unterschätze sie einfach und schieße deshalb immer meilenweit daneben – nur um im nächsten Satz mahnend anzumerken, in welcher Gefahr sie schwebe, der Mann sei mindestens ein Scharfschütze, der ihr locker aus 500 Metern Entfernung eine Mücke von der Augenbraue wegschießen könnte.

Und die Backstory mit den Indianern, die zieht sich bleich und farblos dahin, bis endlich etwas mitgeteilt wird, das die Geschichte einen halben Zentimeter nach vorne bringt. Die ewigen Zeitungsartikel, die Catherine schreibt oder liest, mag man dann nur noch querlesen, weil sowieso nichts Neues für den Leser drinsteht, und erst die letzten, sagen wir, 50 Seiten haben dann wieder so etwas wie Neuigkeitenwert. Diese transportieren sich aber auch recht statisch, man ist in Washington und wohnt einer schnarchlangweiligen – aber natürlich relevanten – Anhörung bei, das Witzigste ist wohl noch ein Cameoauftritt einer anderen Hauptfigur von Margaret Coel, mit der sie offenbar in den USA einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Das ist aber nur was für Insider. Haha.

Tote Quellen

Margaret Coel

Man fragt sich schon, warum die das große Thema nicht zündet. Es liegt vor allem an der Art, wie es präsentiert wurde. Statt einen eigenen Vergangenheitsstrang einzuflechten, in dem die Autorin die Schlacht hochemotional und blutrünstig wiederaufleben lässt, werden tote Quellen zitiert, die dazu gerne auch so dröge geschrieben sind, dass kein Funke überspringen kann. Da muss man schon sehr viel Geduld, guten Willen und allem voran massives Interesse für das Thema mitbringen, um durchzuhalten.

Interesse geweckt wird nämlich nicht. Diese ewigen Einsprengsel reißen außerdem die Thrillerhandlung auseinander – nicht, dass es an Thrillerhandlung viel Bemerkenswertes gäbe, siehe oben – und bringen das ohnehin nicht sonderlich gut geführte Buch weiter in Schieflage. Bei aller Sympathie, die Coel mit Sicherheit für die Indianer hat, sonst würde sie kaum so viel über sie schreiben, lässt sie diese zu jämmerlichen Statisten und Spielbällen der bösen weißen Machthaber verkommen, die vermeintlich starke Frau ist ein dummes Huhn, die restlichen Figuren, allen voran die Männer, wirken, als seien sie eben erst einem Nackenbeißer/Groschenroman entsprungen (wurde schon erwähnt, dass der Bösewicht gar nicht muskelbepackt ist, sondern schmalschultrig, dünn und dazu noch mit gelb gefärbtem dünnen Haar versehen), und nach einer Spannungskurve sucht man am besten gleich gar nicht.

Am Ende des Buches bleibt man deutlich genervt zurück, denkt sich beim Anblick des Covers, dass man es auch gleich hätte wissen können, und liest noch ein wenig im Internet über das Sand-Creek-Massaker und die Arapaho, um der Sache wenigstens etwas Mehrwert abgewonnen zu haben. Und ja, die armen Bäume. Was hätte man noch Schönes mit denen machen können.

Henrike Heiland

Margaret Coel: Ein leichtes Ziel (Blood Memory, 2008).
Aus dem Amerikanischen von Christel Dormagen.
Berlin: Suhrkamp 2010. 387 Seiten. 9,95 Euro.