Kurzrezensionen – diesmal mit einer Haiku-Rezension von Friederike Moldenhauer zu Benjamin Maack und Anmerkungen zu Mathias Altenburg („Jan Seghers´ Geisterbahn. Tagebuch mit Toten”), HF Coltello („Einige Abenteuer und seltsame Begegnungen im Leben des stillen Kommandeurs“) und der Anthologie „Wodka für den Torwart. 11 Fußball-Geschichten aus der Ukraine“, kurzbesprochen von Frank Göhre (FG), Tina Manske (TM) und Jan Karsten (JK).
(FM) Haiku-Rezension
Magische Monster
Wie normal ist dein Leben?
Düsternis lauert
Benjamin Maack: Monster. Mairisch 2012. 192 Seiten. 16,90 Euro. Zur Leseprobe (PDF).
Von Tag zu Tag geplaudert
(FG) Das ist ein Buch, auf das jeder Autor, der auch nur ansatzweise eitel ist, stolz sein kann. Es ist ein Geschenk. Es ist das Geschenk des Rowohlt Verlags an den Schriftsteller, Dichter, Autor. Klingt alles falsch. Ich mach halt so Matthias Altenburg. Altenburg veröffentlichte unter dem Pseudonym Jan Seghers (Hommage an den rechtskräftig des Dopings schuldig gesprochenen Jan Ullrich und an die Büchnerpreisträgerin und ehemaligen Ehrenpräsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR Anna Seghers, mit bürgerlichen Namen Netty Radványi) vier Krimis bei Wunderlich im Hause Rowohlt.
Seit etlichen Jahren schreibt Seghers/Altenburg auch ein Internet-Tagebuch, das der Verlag jetzt als hübsch gestaltete Klappenbroschur auf den Markt bringt: Montag, 6. Februar 2012 – Neunuhrsiebzehn, minus vierzehnkommaacht. Heiter. Anhaltender Glücksrausch seit Samstag, seit die Postbotin geklingelt hat, seit ich Katja Sämanns [ Rowohlt-Lektorin ] Paket ausgepackt habe, seit das erste Exemplar des fetten Geisterbahn-Buches vor mir liegt. Ist das schön, fasst sich das gut an, liegt das gut in der Hand! Auf einem Bein drum herum getanzt. Schon lange nicht mehr so blödestolz gewesen. Voll Dankbarkeit. Nehme es immer wieder auf, blättere darin, lese mich fest, lache. Chr.: “Echt gut geworden, sieht aus wie Brinkmann”. P.: “Voll cool!”
„Voll cool“ aber ist vor allem der Klappentext der „Jan Seghers’ Geisterbahn. Tagebuch mit Toten“ als „Pop und Anti-Pop“ bezeichnet, als ein Buch, in dem sie alle beieinander sitzen „Freunde und Fremde, Bob Dylan und Rosa Luxemburg, Marcel Proust und Jeans Seberg, Guttenberg und Gaddafi, Ernst Jünger und Anna Nicole Smith, Janis Joplin und Angela Merkel“. Und in der Tat hat der gelegentliche „Reporter der Gefühle“ und „dann wieder Liebhaber des freundlichen Abstands“ zu all den (und noch weitaus mehr) Lebenden und Toten etwas anzumerken. Und sei es nur mit Tot ist …, Gestorben sind …, Heute vor 19 Jahren starb …, Tote des Tages …, Was für eine Liste von Toten …, Heute mal niemand tot ….
Das ist sauber recherchiert (im Internet, versteht sich) und man kann es mit dem Helmut Schmidt-Satz kommentieren: „Ich will damit nichts andeuten, ich will damit nur was gesagt haben.“ So also plaudert der Autor mal munter und mal weniger munter von Tag zu Tag, liest alte und neue Romane, hört alte und neue Musik, malt hin und wieder und radelt und radelt umher.
Es ist wie bei jedem x-beliebigen Zusammentreffen kulturell interessierter Personen in Hamburg, Berlin und anderswo: Geschwätz, Geschwätz – eitles Geschwafel. Und das nervt dann letztlich doch. Weil eben nichts wirklich Überraschendes oder gar Provokantes zu lesen ist, kein originärer Gedanke. Weil der Autor bestenfalls stichelt und hämt, sich aber nichts traut. Nichts an Wut und nichts an Zorn, nichts riskiert. Obwohl der Verlag das wohl mit dem an Rolf Dieter Brinkmanns „Schnitte“ angelehnten Cover nahe legen will.
Aber der „Geisterbahn“-Autor ist halt eitel, und Eitelkeit und Feigheit gehen meist Hand in Hand. Er schreibt natürlich weiter, Tag für Tag unter www.janseghers.de
Mathias Altenburg: Jan Seghers´ Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Rowohlt Verlag 2012. 416 Seiten. Euro 24,95.
Langweilig ist’s nie
(TM) HF Coltello oder kurz Colt ist einer der besten Gitarristen Deutschlands. Bekannt geworden ist er vor allem als Mitglied der legendären Berliner Band Mutter. Mit „Einige Abenteuer und seltsame Begegnungen im Leben des stillen Kommandeurs“ legt er einen Roman vor, und zu unserer sehr kleinen Verwunderung ist es ein Roman über Rock’n’Roll geworden.
Und was für einer: Das Buch erzählt in sehr direkter Sprache und mit sehr unprätentiösem Witz ein Stück deutsche Rockgeschichte zwischen Ost und West, erzählt von den goldenen und fürchterlichen Zeiten, als Berlin eine Insel war, erzählt vom Mauerfall und von Reisen um die ganze Welt. Es ist tatsächlich ein Roadroman, denn seine Protagonisten sind die ganze Zeit unterwegs, in Deutschland, in den USA, im Nahen und Fernen Osten. Einige Episoden sind wirklich zum Brüllen komisch, etwa wenn die Band dreimal an derselben Tankstelle vorbeifährt, weil sie erst vergessen zu zahlen und dann merken, dass sie auch vergessen haben zu tanken.
Klasse Dreizeiler gibt’s obendrauf: „Wie einem geheimen Wink folgend, blickten wir alle drei auf eine Eurocard-Werbung auf dem Dach des Bahnhofsgebäudes. Wir sind schon angekündigt, sagte Charlie sehr leise. WELTWEIT BARGELDLOS, blinkte dort groß.“ Man merkt schon: Der Leser teilt seine Zeit mit ein paar sehr sympathischen Chaoten. Das macht Spaß, und nur manchmal beginnt der schnoddrige Ton und das ewige Umherhüpfen von Episode zu Episode zu nerven. Immerhin: langweilig wird’s nie. Spätestens beim nächsten Lacher ist man wieder voll dabei. Genau so muss sich ein verschwitzter, zerrissener Rock’n’Roll-Roman anfühlen, geschrieben mit Herz und Hirn.
HF Coltello: Einige Abenteuer und seltsame Begegnungen im Leben des stillen Kommandeurs. Roman. Salis Verlag. Gebunden, 408 Seiten. 24,90 Euro. Zur Leseprobe.
Gut aufgestellte Mannschaft
(JK) Dass die Ukrainer Fußballspielen können, wissen wir inzwischen genau – aber können sie auch darüber schreiben? Dies ist mit der Anthologie „Wodka für den Torwart – 11 Fußball-Geschichten aus der Ukraine“ zu überprüfen, die vom Verein „translit e.V.“ zur EM herausgegeben wurde. Und es dribbeln einige Talente und bereits etablierte Routiniers auf, immer wieder kann man sich über gelungene Spielzüge freuen: Über Maxym Kidruks ausgelassen erzählte Gangstergeschichte eines skurrilen Betrugsversuchs; Sascha Uschkalows wilde Erzählung über Fußballschuhe, die mit scheinbar disparaten Szenen beginnt und sich erst gegen Ende zusammenfügt; Tanja Maljartschuks persönlichem Reiseführer durch Kiew, der die dunklen Seiten der Stadt beleuchtet; Artem Tschechs berührendem Porträt eines alternden Boxers, der einen letzten Kampf als Fußballtrainer auszufechten hat – und über Oksana Sabuschkos „Ballade vom Abseits“ (die Sie hier in unserer Reihe „Litmag-Weltlyrik“ lesen können).
Es geht quer durch Gegenwart und Vergangenheit, durch Theorie und Praxis, mit einer sorgfältig zusammen gestellten Mannschaft – und das ist ja, wie wir alle wissen, der Schlüssel zum Erfolg. Der schönste Satz, der Alles auf den Punkt bringt, kommt von Sherij Zhadan: „Fußball löst unsere Probleme nicht, aber er lässt uns verstehen, dass die meisten Probleme ausgedacht und erfunden, zweifelhaft und künstlich sind wie die Abseitsposition“.
„Wodka für den Torwart. 11 Fußball-Geschichten aus der Ukraine“. Edtion.fotoTPETA 2012. Herausgegeben vom Verein translit e.V. 208 Seiten. 12,80 Euro. Mehr hier.