Vergnügliche Zeitreise
– Linus Volkmann ist ein umtriebiger Typ; als Musikredakteur arbeitet er für die Intro, mit seinen dortigen Kollegen bringt er das oft sehr witzige Fanzine Super Omi heraus – und solo ist er als auch nicht müder Schriftsteller auffällig. Sein neuestes Werk ist eine sehr unterhaltsame Coming-of-Age-Geschichte, findet Tina Manske.
Im Mittelpunkt von „Kein Schlaf bis Langenselbold“ stehen die ziemlich ungleichen Zwillinge Frederik und Malte Borchers. Während der schwule Frederik den großen Zampano markiert (weil er halt auch ein paar Minuten älter ist und damit die natürliche Führungsrolle einnimmt), steht Malte mit seinen purzelbaumschlagenden Hormonen ziemlich bedröppelt da.
Wir befinden uns im Jahr 1993, Monica Seles und Anke Huber sind noch Namen, mit denen nicht nur Tennisfans etwas verbinden, und Maltes Traum ist es, Feldhockeyspieler beim SC 1888 Frankfurt zu werden. Daneben ist er aber auch noch so was Ähnliches wie verliebt in Sandra, der Vater liegt mit irgendetwas Tödlichem im Krankenhaus, Frederik hat ein ungutes Handentspannungsverhältnis mit einem Feldhockey-Präsidenten, das Familienunternehmen freie Tankstelle Borchers will unterhalten sein, und die Mutter hat offensichtlich auch nicht so richtig Bock auf dieses Leben.
Viele Baustellen also für zwei pubertierende Jungs im gerade mal wiedervereinigten Deutschland, in dem Kohl immer noch Kanzler ist und ein Provinzleben ziemlich wehtun kann.
Bis hierhin könnte man also sagen: Jo, klingt nach einer interessanten Geschichte, ist aber auch nix Neues. Coming-of-Age-Romane gibt es ja wie Sand am Meer. Was „Kein Schlaf bis Langenselbold“ aber so unwiderstehlich macht, ist Volkmanns Sprachwitz. Er hat seinen eigenen Sound gefunden und versteht es, Situationen so zu beschreiben, dass man tatsächlich laut lachen muss. Das wissen alle, die den Autor kennen, bereits aus Büchern wie „Heimweh to Hell“ oder „Anke“. In „Kein Schlaf …“ bringt Volkmann diesen Sound zu neuer Perfektion. Es hilft natürlich, wenn man als Leser auch deftige Sprache mag, dann sind Passagen wie die vom ersten Sex in ihrer Größe einzigartig. Ich kenne jedenfalls kaum Autoren, die so offen und treffend über die Peinlichkeit, aber auch das unfassbar Neuartige dieses Ereignisses schreiben können. Oder Maltes erste Begegnung mit hochprozentigem Alkohol (Berentzen Appel, auch so was von 90er):
„Besoffen? Malte hatte es bereits geahnt. Das war also besoffen. Noch viel besser als gefickt, dachte er und wünschte, Sandra hätte den Gedanken hören können. Ficken, Feldhockey, Familie – alles verblasste hinter der Großartigkeit von besoffen. Malte wollte nie wieder etwas anderes fühlen.“
Nur an wenigen Stellen „vergreift“ sich Volkmann im Ton und wählt eine Sprache, die Jugendliche in einem hessischen Dorf 1993 noch nicht gesprochen haben: „Ich glaube, keins meiner Probleme ist unlösbar. Plus: Welche Probleme eigentlich?“, heißt es dann, oder: „Ey, wie eklig ist das denn?“ Solche Ausrutscher in die Jetztzeit verzeiht man dem Roman aber gerne, denn unterm Strich ist „Kein Schlaf bis Langenselbold“ eine höchst vergnügliche Zeitreise mit höchst vergnüglichen Figuren.
Tina Manske
Linus Volkmann: Kein Schlaf bis Langenselbold. Ein Roman. Mit Zeichnungen von Ole Kaleschke. Mainz: Ventil Verlag 2012. Broschiert. 216 Seiten. 12,90 Euro. Verlagsinformationen und Leseprobe. Foto: Verlagshomepage.