Geschrieben am 8. April 2015 von für Bücher, Litmag

Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution

nautilus_pbDas Zauberwort ist Liebe, ihr abgefuckten Jungs, Mädchen und queers!

Gut drei Jahre ist es her, seit die junge britische Feministin Laurie Penny mit ihrem Buch „Fleischmarkt“ (Originaltitel: „Meat Market: Female flesh under Capitalism“) die Welt aufrüttelte – die ganze Welt? Leider nein, aber doch genug Leserinnen und Leser, die seither einen anderen Blick auf den bis dato angesagten Wohlfühl- bzw. des von ihr so verhassten „Mainstream“-Feminismus haben dürften. Penny, Journalistin, Aktivistin und selbsternannter geek, ließ schon in „Fleischmarkt“ wenig durchgehen, worin man sich so gemütlich eingerichtet hatte: Gleichberechtigung? Ach, die ist doch schon weitgehend erreicht, was wollen wir „Mädels“ denn noch?

You wish.

Die 1986 geborene „Penny Red“ sticht mit ihrer spitzen Feder die geneigte Leserin dorthin, wo es wehtut und führt in feuerroten Lettern vor, was noch alles im Argen liegt und wo die Stolpersteine liegen. Ihr neues Buch „Unspeakable Things“ (sie bestand darauf, dass der deutsche Titel wörtlich übersetzt wird) ist umfangreicher als „Fleischmarkt“, aber nicht weniger pointiert – obwohl es sich nicht um einen durchgehenden Text handelt, sondern um eine aus zu verschiedenen Zeiten und Anlässen entstandene Artikelsammlung. Penny schreibt quasi immer, so dass sie aus einem beachtlichen Fundus schöpfen kann. Ihre Energie und Furor gegen Missstände scheinen unerschöpflich, wobei Penny in „Unsagbare Dinge“ mehr persönliche Einblicke zulässt: So beschreibt sie ihre Erfahrungen in der Psychiatrie, wo sie wegen ihrer lebensbedrohlichen Essstörungen gelandet war. In der Therapie (sie ist 17) begreift sie die gesellschaftlichen Strukturen: Mädchen sollen funktionieren, gelten als geheilt, wenn sie „normale“ Dinge tun wie shoppen, sich schminken, Yellow-Press-Zeitschriften lesen. In der Klinik schreibt Penny wie besessen, erkennt sich im Film „Girl, Interrupted“ wieder – und funktioniert seitdem nach ihren eigenen Regeln. Die vor allem heißen: Sich einmischen, Probleme aufzeigen, sich zur Not mit allen anlegen, keine Angst haben.

Und Laurie Penny ist mutig: Alice Schwarzer wird über Pennys Ansichten zur Sexarbeit betroffen das graue Haupt schütteln – Penny indes lässt sich auf keine oberflächlich feministische PorNo-Debatte ein. Sie fordert eine andere, gerechte, realistische Sichtweise auf Sexarbeit. Überhaupt Sex: Penny schreibt anders über Sex als viele andere feministische Autorinnen. Das beginnt mit dem freimütigen Geständnis, selbst Lust zu empfinden – und hört mit der Forderung nach Sex ohne Machtspiele (nein, sie meint weniger die Vorstadt-50-Shades-Spielereien, sondern das große Ganze) noch lange nicht auf. Sich selbst schont sie niemals, doch die persönlichen Stories dienen nur als Illustration dafür, worum es ihr tatsächlich geht: Freiheit. Selbstbestimmung. Beziehungen ohne Gewalt. Überwindung des kapitalistischen Systems.

Penny erklärt, was das Patriarchat wirklich ist: Nicht etwa Männerherrschaft, sondern Herrschaft der Väter – also keinesfalls von allen Männern ausgeübte Tyrannei. Viele Männer, sie nennt sie „verlorene Jungs“ leiden im Patriarchat genauso wie die „abgefuckten Mädchen“, die queers und geeks. Deshalb kämpft Penny nicht per se gegen Männer – die verlorenen Jungs, Mädchen, alle müssen für ein anderes System kämpfen, sonst wird das nichts.

Das Tolle an Laurie Penny ist, dass sie bei aller Agitation nie den Faden verliert, und vor allem: Sie bürstet fast alles gegen den Strich, wovon man dachte, dass es irgendwie „gesichert“ ist. Cybersex zum Beispiel: Ist doch irgendwie komisch, oder? Ständig online sein, mit technischen Gadgets an sich selber rummachen und via Skype mit jemandem Sex haben, der/die in einer anderen Zeitzone lebt – Penny kämpft dagegen an, dass das alles kein „richtiger“ Sex sei. Ist es doch. Verdammt echt sogar und Teil deiner Welt, Baby. Natürlich führt sie Donna Haraway zum Beleg ihrer These an, aber sie müsste es gar nicht. Laurie Penny ist so reliable wie kaum jemand sonst. Ihr Buch tut weh, aber das muss es auch, sonst ändert sich nichts. Am Schluss wird sie sogar ein bisschen versöhnlich: Penny glaubt mit Inbrunst an die Veränderung, die kommen wird – und das Zauberwort ist Liebe, ihr abgefuckten Jungs, Mädchen und queers. „Das große Umschreiben hat schon begonnen“, so Penny. Fangt an!

Christina Mohr

Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution (Unspeakable Things. Sex, Lies and Revolution, 2014). Übersetzt von Anne Emmert. Broschur. Nautilus Flugschrift, 2015. 284 Seiten. 16,90 Euro. Zur Homepage von Laurie Penny. Verlagsinfos.

Tags : , , , ,