Geschrieben am 3. Juni 2015 von für Bücher, Litmag

Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution

penny_Unsagbare-Dinge-156x260Endlich: der einfachste Weg zur Traumfigur
(Finden Sie am Ende des Artikels)

Nach Christina Mohr (hier) nun Christopher Werth mit seiner Sicht auf das Buch.

Unter uns, mal ganz ehrlich: Haben Sie schon Ihre Bikinifigur? Oder sind Sie noch auf der Suche nach dem perfekten Yogakurs und der optimalen Diät? Und wenn wir schon mal dabei sind: Wie gut machen Sie sich eigentlich bei Tinder oder Grindr? Oder: wenn Sie da (noch) nicht angemeldet sind, sind Sie dafür überhaupt heiß und begehrenswert genug? Haben Sie manchmal auch einfach Panik, weil der Partner fürs Leben irgendwie noch nicht vorbeigeritten ist, die große Liebe?

Welche Fragen uns moderne Menschen in unseren Skinny Jeans und Ugg Boots auch quälen mögen – Laurie Penny hat Lösungen. Und die sind so gut, dass man dieses Buch eigentlich jeder halbwegs intelligenten Gala oder InTouch Leserin zwischen die Hochglanzseiten schmuggeln möchte.

Der neue Feminismus

Feminismus ist ein ein böses Reizwort, das Männer wie Frauen abtörnt und hohe Klickraten verhindert. Laurie Penny ist auf allen Kanälen dabei, das Thema aus dem Kellerabteil mitten in den Wohnraum zu holen. Erste wichtige Erkenntnis: Es geht dabei nicht nur um Frauen. Es geht um alles. Das ganze System, wie Menschen zusammen leben. Das Projekt Feminismus heißt für die Autorin nicht, irgendwen auszugrenzen, sondern ganz klar: Männer* und Frauen* gleichsam von repressiven Strukturen zu befreien. Dekonstruktion für Alle. Im ersten Absatz des Buches formuliert sie ihre Mission: “Dies ist kein Märchen. Dies ist eine Geschichte darüber, wie Sex, Geld und Macht Mauern um unsere Fantasie errichten. Es handelt davon, wie unser Geschlecht unseren Träumen Zügel anlegt. Die wichtigsten Schlachten wurden auf dem Gebiet der Fantasie geschlagen, und welche Geschichten wir uns zu erzählen erlauben, hängt davon ab, was wir uns vorstellen können.”

Powerd by: Sex® und Liebe®

Im Detail geht sie genauer auf zwei Märchen ein: Die von der neokapitalistischen Gesellschaft und der Unterhaltungsindustrie vorgegebenen großen Master-Plots für die Lebensträume und Lebensentwürfe junger Menschen bezeichnet Penny als “Sex®” und “Liebe®”. Dabei enttarnt sie Liebe® als Trick des Neokapitalismus, uns alle schön bei der Stange zu halten. Das berühmte Marx-Zitat, Religion sei Opium für Volk kann man nach Laurie Penny so formulieren: Liebe® ist Opium fürs Fleißbienchen. Schon lange gelten für die private Liebe® industrielle Leistungsvorgaben – siehe “Ausweitung der Kampfzone” von Michel Houellebecq. Im Gegensatz dazu wird von uns jetzt auch im Job immer mehr Liebe verlangt. Es reicht nicht, einfach zu arbeiten. Die Arbeit im Supermarkt oder am Fließband oder sonstwo muss mit Liebe gemacht werden. Sonst geht der Kunde woanders hin. Nach der großen Liebe hat jedes junge Mädchen zu schmachten und zu trainieren und zu fasten, bis der tolle Bachelor kommt und sie auswählt. Dann “der schönste Tag des Lebens”, die perfekte Traumhochzeit, das Haus, die Kinder. Für Männer soll die Liebe die Belohnung nach der harten Arbeit sein, für die Frauen harte Arbeit. Singles gelten als Aussätzige, als Loser, die es eben “nicht bringen”, die sich nicht genug anstrengen und hängen lassen.

Sex® dagegen wird von der Pornokultur weißer heterosexueller Männer geprägt und gibt vor allem hirnlose Rammelei vor. Unentwegt, jedes Wochendende mindestens jemand anderes, immer saugeil, immer verführerisch, dominant und zuverlässig. Sex® sorgt mittlerweile dafür, dass sogar die Choreografie des Geschlechtsaktes in der mit Smartphones aufgeklärten Generation immer mehr standardisiert und fantasielos der Dramaturgie der Vorlagen folgt. Und auch hier gilt als jämmerlicher Loser: Wer nicht nach Plan oder beispielsweise nur allein vor dem Laptop performt.

Ob wir unser Leben an Master-Plots wie “Sex®” oder “Liebe®” ausrichten – immer gilt es, Märchen-Maßstäben nachzueifern, sich anzustrengen, sich zu verausgaben, um am Ende doch zu scheitern. Das Leben ist eben doch nicht ganz so wie bei Netflix. (Oder bei Pornhub.)

Die Lösung: Don’t give a fuck

Laurie Penny empfiehlt dringend, sich kräftig zu schütteln und sich von diesen Märchen-Mustern frei zu machen. Und vor allem: anzufangen, seine eigene Geschichte zu leben. Seiner eigenen Fantasie zu vertrauen. Ab hier, so verspricht Laurie Penny, ab hier machen echte Liebe und echter Sex erst so richtig Spaß. Und dafür würden ja nicht nur die Leser und Leserinnen von Gala und InTouch alles geben, sondern auch die von Men’s Health und Kicker.

Christopher Werth

 

Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution (Unspeakable Things. Sex, Lies and Revolution, 2014). Übersetzt von Anne Emmert. Broschur. Nautilus Flugschrift, 2015. 284 Seiten. 16,90 Euro. Zur Homepage von Laurie Penny. Verlagsinfos.

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