Geschrieben am 22. Januar 2011 von für Bücher, Crimemag

Lars Kepler: Der Hypnotiseur

Das Diktat des U

– „Der Hypnotiseur“ als Beispiel für Verthrillerung – schwedische Variante. Und über Hype … Von Tobias Gohlis.

Die schwedischen Autoren Alexandra und Alexander Ahndoril haben sich ein prätentiöses Pseudonym zugelegt: Lars Kepler. „Lars“ verstehen sie als Hommage an  Stieg Larsson, den posthumen Spitzenreiter auf der dritten Krimi-Schwedenwelle, „Kepler“ erinnert an den Astronomen, der das europäische Weltbild erschütterte. Ihr erster gemeinsam verfasster Kriminalroman „Der Hypnotiseur“ wird gerade von Lübbe massivst beworben und allseits gehypt. Er ist ein Beispiel dafür, wie Krimi zur Masche und ein spannendes Thema verthrillert wird.

Zu den Vereinbarungen der Krimikritiker mit ihren Lesern gehört es, die „Auflösung“ des besprochenen Buches nicht zu verraten. Manchmal ist die Verabredung völlig unsinnig, weil nur der Blick auf das Ganze ein auch öffentlich begründbares Urteil erlaubt. Über das Ende zu sprechen, ist im Fall des „Hypnotiseurs“ deshalb notwendig, weil man daran erkennen kann, wie der Ansatz einer guten Idee den vermeintlichen Gesetzen des Marktes unterworfen und ruiniert wird.

Schlecht geschrieben

Der Reihe nach. Die ersten rund hundert Seiten des Buches sind so schlecht geschrieben, dass ich mich immer noch wundere, warum ich weitergelesen habe. Die Sprache ist holprig und die Erzählung unkonzentriert. Das durchgängig verwendete Präsens verschärft den Eindruck von Beliebigkeit und Kontrollschwäche der Autoren. Wichtiges und Unwichtiges rauscht am Leser vorbei, manches ist einfach gehäufter Stuss, auch des Übersetzers. Da stehen „vereinzelte Autos“ auf einem Parkplatz, als warteten sie auf eine Therapie gegen Isolation. Oder im Dunkeln (es ist Winter in Stockholm) „bewegen sich Amseln mit raschelnden Flügeln“. Da raschelt nicht einmal das Papier. Der Fall selbst ist irre und wirkt durch die unbeholfene Sprache noch irrer. Der Psychiater Erik Maria Bark wird an das Krankenbett eines fünfzehnjährigen Jungen gerufen, der nach zahlreichen Stichverletzungen im Koma liegt. Seine Familie ist einem Serienmörder zum Opfer gefallen: Vater, Mutter, eine kleine Schwester – und auch der Junge beinahe – wurden erstochen, ganze Körperteile wurden abgetrennt. Kommissar Joona Linna, der immer (auch in den folgenden, bisher nur auf Schwedisch vorliegenden Büchern) Recht hat, will den Jungen hypnotisieren lassen, um schnell etwas über den Täter herauszubekommen, der eventuell das letzte Familienmitglied, eine Studentin, bedroht. Obwohl Erik Bark vor zehn Jahren nach einem schweren Fehler geschworen hat, nicht mehr zu hypnotisieren, versetzt er den Schwerverletzten (der aber doch irgendwie dafür wach genug ist) in Trance und erfährt, dass der Junge selbst der Serienmörder ist. Medizinisch unwahrscheinlich: Der eben noch an den selbst zugefügten Stichverletzungen fast verstorbene Fünfzehnjährige flieht nun unter wilden Verwünschungen gegen den Hypnotiseur aus dem Krankenhaus, nicht ohne eine Pflegerin umzubringen, über einen Friedhof zu sprinten und einen braven Bürger mit seinem eigenen Auto zu überfahren. Kurz darauf wird Benjamin, der vierzehnjährige Sohn des Hypnotiseurs Erik entführt. Benjamin leidet an einer Blutgerinnungsstörung, die alle sieben Tage medikamentös behandelt werden muss. Das schafft einen zeitlichen Spannungsbogen.

Alexandra und Alexander Ahndoril alias Lars Kepler

Aus dem Trash steigt …

Aus diesem mit einer merkwürdigen Teilnahmslosigkeit ausgebreiteten Serienkiller-Trash taucht in der Mitte des Romans ein faszinierendes Thema auf. Entfaltet wird es in einer mehr als hundert Seiten umfassenden Rückblende zur Vorgeschichte des Hypnotiseurs. Seit zehn Jahren verfolgt Simone, Eriks Frau, ihren Mann mit manischer Eifersucht. Auf die Entführung des Sohnes reagiert sie mit gesteigerten Vorwurfsattacken und kränkt ihren Mann, indem sie Ermittlungen und Trost ihrem Vater, einem pensionierten Polizisten, anvertraut. Erik ist maximal unter Druck, isoliert, verstört und voller Selbstzweifel, ob die Hypnose des mörderischen Jungen nicht die Zerstörung seiner Familie ausgelöst hat. In der Rekapitulation seiner Anfänge, Erfolge und Niederlagen als Hypnosetherapeut einer Gruppe von Traumatisierten zehn Jahre zuvor gelingt den Autoren „Lars Kepler“ plötzlich zweierlei. Sie schildern glaubhaft und anschaulich die wilde Dynamik verletzter Psychen und sie verstärken die von der inneren Dynamik ausgehende Bedrohlichkeit durch die spürbar zunehmende Schwäche des Therapeuten, der den Gewaltaktionen und Intrigen seiner entfesselten Gruppe immer weniger psychologische Verfahrenstechnik entgegensetzen kann. Indem Erik Autonomie und Selbstkontrolle verliert, werden die psychisch Kranken realistisch zu potenziellen Tätern. In diesen Passagen vermeidet Lars Kepler die in Psychothrillern übliche Dämonisierung psychopathischer Serienkiller zu Monstern. Der Leser folgt mit Faszination den Explorationen der Patienten und der wachsenden Verzweiflung des Therapeuten, der der Wirksamkeit seiner Verfahren und damit sich selbst nicht mehr trauen kann.

… eine Eruption der Gefühle. Oder so …

Doch offenkundig konnte Lars Kepler die selbst zu Tage geförderte anarchische Eruption von Gefühlen nicht ertragen. Statt den drohenden Zusammenbruch des Therapeuten und den Ausbruch psychischer Gewalt weiter spannend voranzutreiben, fällt das Kepler-Duo ins uralte Thrillerschema zurück, das im ersten Teil des Romans schon reichlich traktiert wurde. Das Böse materialisiert in Gestalt in einer weiteren heimtückischen Serienkillerin. Sie hat vor zehn Jahren unter Hypnose Kindesmisshandlung und Mord gestanden, konnte jedoch dieser Taten nicht überführt werden. Stattdessen hat sie Eriks Karriere als Hypnotiseur ruiniert. Jetzt setzt sie die Rache an dem, der sie durchschaut hat, fort, indem sie seinen Blutersprössling entführt. Das Ende kommt, wie es sich gehört: In einer jede Plausibilität verhöhnenden Schnee- und Blutorgie im tiefsten lappländischen Winter kämpfen Mutter und Vater und Kommissar den dreiviertel erfrorenen, fast schon verbluteten, dehydrierten, gleichwohl heldenhaft barfuß durch Schnee stürmenden Knaben frei, während die Serienmörderin unter der Eisdecke eines Sees verdient ausgelöscht wird. Nach allen Schrecken findet die zuvor heillos zerstrittene Familie wieder zusammen, in den Worten der Autoren bei Lübbe: „Ein klassisches Happyend.“

Die Welt ist schlecht …

„Der  Hypnotiseur“ ist ein Beispiel dafür, dass die Unterscheidung zwischen E (ernsthaft) und U (unterhaltungsfixiert) innerhalb der Kriminalliteratur sehr wohl gemacht werden kann. Im „Hypnotiseur“ ist E dem Diktat des U zum Opfer gefallen. Und nebenbei auch jede ernsthafte Auseinandersetzung über Hypnose, Therapie und psychisch kranke Täter. Wie zur Untermalung der Romane designenden Macht des Unterhaltungsgebots taucht wie ein Mantra an den blutrünstigsten Stellen jener Stammtischseufzer auf, der schon Henning Mankells Wallander-Romane so porentief verödete: „Was ist nur mit den Menschen los?“

Tobias Gohlis

Lars Kepler: Der Hypnotiseur. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Roman. Köln: Gustav Lübbe Verlag 2010. 640 Seiten. 19,99 Euro.
Diesen Beitrag können Sie  auch hier am Ort seiner Erstveröffentlichung lesen: Arte.tv Buchtipp der Woche 10.1.2011
Verlagsinformationen mit Autoren-Interview und Video
Zu Tobias Gohlis geht es auch hier