Geschrieben am 14. Juni 2010 von für Bücher, Litmag

Kristof Magnusson: Das war ich nicht

Crash-Kurs

Als Kristof Magnusson mit der Arbeit an seinem zweiten Roman begann, konnte er nicht ahnen, wie sehr er mit dem Thema den Nerv der Zeit treffen sollte. Von Frank Schorneck

Nach seinem actionreichen Debüt Zuhause, in dem er seine zweite Heimat Island ihres Elfenzaubers beraubte, nimmt er sich nun den Tücken der internationalen Finanzwirtschaft an – zur Zeit der Recherche nicht ahnend, dass beim Zusammenbrechen der Finanzmärkte Island wiederum keine geringe Rolle spielen würde.

Magnusson merkt in Interviews an, dass ihn die Wirtschaftskrise während der Arbeit an dem Roman überrollt habe, dass er zunächst gezögert habe, ob es eventuell notwendig sei, bestimmte Teile neu zu schreiben. Er hat sich schließlich dagegen entschieden, denn letztlich handelt es sich bei Das war ich nicht um Fiktion, auch wenn sie in einigen Punkten als prophetisch bezeichnet werden kann.

Drei Schicksale verknüpft Magnusson miteinander: Da ist zunächst der Broker Jasper Lüdemann, der es von der Ruhr-Uni Bochum in den Händlersaal einer großen Investmentbank in Chicago geschafft hat. Zeit für Freunde nimmt er sich nicht, Statussymbole ersetzen ein Privatleben, Junkfood echte Mahlzeiten. Als er mit einer kleinen, eigenmächtigen Korrekturbuchung den Fehler eines Kollegen vertuschen will, macht er versehentlich so viel Gewinn, dass es aufzufallen droht. Mit erneuten Korrekturen setzt er dann jedoch eine Lawine in Gang, die nicht nur ihn zu überrollen droht.

Da ist zum anderen die Übersetzerin Meike Urbanski, die ihrer Beziehung und der Großstadt Hamburg gleichermaßen entflohen ist und auf dem Land einen Neuanfang wagt. Allerdings lässt der lange erwartete neue Roman „ihres“ Bestsellerautors auf sich warten – und Meikes Geld wird langsam knapp. Sie beschließt, nach Chicago zu reisen, um selbst nach dem Autor zu suchen, der abgetaucht zu sein scheint.

Und schließlich ist da Henry LaMarck selbst, der Autor, der zum zweiten Mal für den Pulitzer-Preis vorgeschlagen ist. Dummerweise hat er in einer Talkshow mit Stephen Fry und Elton John wichtigtuerisch nicht weniger als einen Jahrhundertroman zum 11. September angekündigt. Geschrieben hat er davon aber bislang keine Zeile.

Ein Trio in Abhängigkeitsverhältnissen

Magnusson lässt seine drei Protagonisten kapitelweise abwechselnd als Ich-Erzähler zu Wort kommen. Die unterschiedlichen Perspektiven scheinen ihm leicht von der Hand zu gehen, gut geölt greifen die Verzahnungen der Kapitel ineinander, erlauben den erzählenden Figuren aber auch Widersprüche, lassen zudem notwendige Lücken im Gesamtbild. Höchst raffiniert bauen sich die Abhängigkeitsverhältnisse in dem Trio auf: Henry sieht in dem jungen Banker, von dem er zufällig ein Foto in der Zeitung sieht, eine Inspiration für seinen Roman – und muss sich zudem eingestehen, dass er sich in ihn verliebt hat; Jasper wiederum sieht in dem Vermögen des Autors eine Möglichkeit, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Meike hingegen muss erfahren, dass sie selbst mit einem Brief an Henry dessen Schreibblockade verursacht hat; Meike und Jasper schließlich kommen aus solch verschiedenen Welten, dass ein unbeholferner Flirt zunächst zu nichts zu führen scheint.

Magnusson lässt die drei in einer ausgeklügelten Choreografie umeinander kreisen, bedient sich dabei auch Slapstick- und Screwballeffekten. Dass er ein Händchen für komische Dialoge hat, konnte der Autor ja auch bereits im Theater beweisen. Sein Männerhort lief nicht nur in Berlin mit Bastian Pastewka und Christoph Maria Herbst erfolgreich, sondern wird zurzeit noch in sieben weiteren Theatern von Coburg über Tallinn bis Wien gezeigt.

Doch in seinem neuen Roman stellt er ebenso sein Gespür für Milieus und Situationen unter Beweis. Die abstrakten Buchungsaktionen Jaspers vermag er mit einer Spannung zu schildern, die auch den Finanzmarktlaien mitreißt; der Irrsinn des Literaturbetriebs findet sowohl bei Meike als auch Henry seinen Niederschlag. Magnusson schreckt darüber hinaus nicht davor zurück, Elton John himself als nicht ganz unwichtige Nebenfigur in seinem Roman auftreten zu lassen.

Das war ich nicht glänzt mit Witz und Drive, mit Timing und genau dem richtigen Maß an Tragödie, um nicht als reiner Boulevard abgetan zu werden. Vielleicht ist es nicht DER große Roman zur Wirtschaftskrise – aber mit Sicherheit auf lange Zeit der unterhaltsamste!

Frank Schorneck

Kristof Magnusson: Das war ich nicht.
Verlag Antje Kunstmann 2010. 285 Seiten. 19,90 Euro.

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