Geschrieben am 26. Juni 2013 von für Bücher, Kolumne, Litmag

Kolumne: Annes Andere Welten: Neues aus Science-Fiction und Fantasy

Science-Fiction und Fantasy kamen bislang im CULTurMAG nur recht selten vor. – Dies wird sich nun ändern: In ihrer Kolumne „Annes Andere Welten“ stellt uns Anne Schüßler regelmäßig interessante Bücher aus Genre und Subgenres vor. Diesmal werden jede Menge Welten gerettet.

Oliver Plaschke_licht-hinter-den-wolken_klett-cottaDreimal Eskapismus zum Mitnehmen, bitte!

Während man in Science-Fiction-Büchern üblicherweise eine Welt präsentiert bekommt, die zwar nicht besonders wahrscheinlich, aber unter gewissen Umständen eventuell, möglicherweise so passieren könnte (irgendwann), erschaffen die Autoren von Fantasyromanen ganz neue Welten. Wer hinter Fantasy vor allem Varianten des Tolkienschen Drachen-Elfen-und-Zwerge-Epos vermutet, liegt allerdings falsch, das Genre teilt sich in die unterschiedlichsten und verrücktesten Subgenres auf. Von der High Fantasy à la Tolkien und George R. R. Martin über die Urban Fantasy der Herren Gaiman und Miéville bis hin zum aktuell zu Recht sehr angesagten Steampunk kann man sich in der Fantasywelt wunderbar bewegen, ohne dass einem langweilig wird oder man der Klischees überdrüssig werden könnte. Und im Zweifelsfall sind auch die Grenzen zur Science-Fiction fließend.

Nachdem im letzten Monat drei Science-Fiction-Romane auf meinem Tisch landeten, war dieser Monat der Fantasy gewidmet. Das war schlecht geplant, denn Fantasybücher tendieren dazu, etwas ausufernder zu sein.  In diesem Fall hatte ich Glück, lediglich Oliver PlaschkasDas Licht hinter den Wolken“ erfüllte das Klischee des dicken Schmökers, konnte aber über seine knapp 700 Seiten mit einer erfrischend klaren und gleichzeitig poetischen Sprache überzeugen. Es geht mal wieder ganz grob um die Rettung der Welt, aber darum geht es ja meistens und Weltrettungen sind ja prinzipiell kein verwerfliches Ziel.

In „Das Licht hinter den Wolken“ befinden wir uns im Strahlenden Reich, einem Kaiserreich, aus dem immer mehr die Magie entweicht. Menschen teilen sich dieses Reich mit den Fealva, auch als Faune bekannt, den Eolyn, bleichen elfenähnlichen Wesen, und den Timei, den Katzenmenschen. Natürlich ist auch hier alles ein bisschen komplexer, die Welt sorgsam und mit Liebe zum Detail erschaffen. In dieser Welt wächst April bei ihrem Vater auf, der sie nie wollte und ihr zum Geburtstag gerne das Geschenk der Zwangsverheiratung überreichen möchte. April flieht, trifft auf den Fealven Janner und gemeinsam machen sie als eine Fantasyvariante von Bonnie und Clyde mit Robin-Hood-Ambitionen die Städte des Kaiserreichs unsicher.

Dann hätten wir noch Cassiopeia, die sich auf der Kriegerinsel Leiengard zur Kämpferin ausbilden lässt, um den Tod ihrer Familie zu rächen, den Zauberer Sarik, der etwas Schreckliches tat und zur Strafe mehrere hundert Jahre schlafen musste, seinen Begleiter, ein Irrlicht, außerdem weitere Zauberer, göttergleiche Wesenheiten und was die Fantasie Plaschkas sonst noch so hergibt.

Oliver Plaschka schafft es, den Leser mit seiner Sprache sofort in seinen Bann zu ziehen, entwirft wunderbare Szenerien und Landschaften, in die man sich hineinwünscht, und sympathische, realistische Figuren. Etwas problematisch wird es, jedenfalls wenn man ich ist, wenn die Geschichte ins Mystische abdriftet und der Leser bei der Entschlüsselung des Erzählten ein wenig zu sehr auf sich allein gestellt wird. Die Steampunkeinlagen, die sehr dezent eingebunden sind, sind dabei eine erfrischende Abwechslung in einem Buch, das ansonsten der klassischen High Fantasy zuzuordnen ist.

In seinen Danksagungen erklärt Plaschka, dass er sich für sein Buch auch aus dem Ideenfundus bediente, der sich Jahr für Jahr mit neuen Einfällen und Schöpfungen für Rollenspiele füllte. Ob sich dadurch die latente Bruchstückhaftigkeit seiner Welt erklärt, bleibt dahingestellt, ebenso wie man bis zum Schluss nicht genau weiß, ob Plaschka es versteht, die kleinen Stolpersteine in seiner Geschichte mit Charme, Poesie und großem Einfallsreichtum zu übertünchen, oder ob es gerade diese kleinen Stolpersteine sind, die die Geschichte so charmant machen.

Anne McCaffrey_DragonflightKlassiker der Fantasy und Science-Fiction

Während Plaschkas Roman klassische Fantasyelemente mit einem Hauch Steampunk bedient, bewegt sich die Welt des Klassikers „Dragonflight“ von Anne McCaffrey an der Grenze zur Science-Fiction, was aber im ersten Teil der gefühlt unendlichen Reihe der „Drachenreiter von Pern“ nur zu erahnen ist. Ansonsten bemüht auch McCaffrey einige Standardelemente der Fantasy, allen voran die Drachen, aber auch eine eher mittelalterlich anmutende Gesellschaft, die in Weyrs (die Höhlen der Drachenreiter) und Burgen mit den dazugehörigen Burgherren eingeteilt ist.

Seit Jahrhunderten kümmert man sich in Benden, dem einzigen verbliebenen Weyr, um die Aufzucht und Pflege der letzten paar Drachen und trainiert die Drachenreiter, immer auf die Ankunft des roten Sterns wartend, der alle hundert Jahre einmal um den Planeten kreist und die todbringenden „Fäden“ abwirft, die alles Organische vertilgen, was sich ihnen in den Weg stellt. In der restlichen Welt hat man den Glauben an die Wiederkehr des Sterns und der Fäden verloren und beobachtet die Ansprüche der Drachenreiter auf Nachwuchs und Nahrungslieferungen mit zunehmendem Argwohn.

Auf der Suche nach einer geeigneten Reiterin für die neue Drachenkönigin stößt Reiter F’lar auf die junge Lessa. In der wenig demokratischen und tendenziell misogynistischen Gesellschaft von Pern hat sie kaum ein Wörtchen mitzureden und muss sich mit ihrem Leben auf dem Weyr arrangieren, bekommt dafür aber immerhin ihre eigene Drachenkönigin.

Anne McCaffreys Bücher gehören zu den Klassikern der Fantasy und Science-Fiction. „Dragonflight“ (auf Deutsch „Die Welt der Drachen“) erschien erstmals 1968 und ungefähr so liest es sich auch. Spröde kommt es daher, die Geschichte kommt nur langsam, ein bisschen zu langsam in Fahrt, es wird zu viel geredet, zu oft rumtelepathiert und zwischen wichtigen Männern, deren Namen man nur schwer auseinanderhalten kann, debattiert. Erst in der zweiten Hälfte nimmt die Geschichte an Fahrt auf, dann passieren Sachen, von denen man zwar auch nicht alle versteht, die einen beim Lesen aber wenigstens bei Laune halten.

Irritierend blieb für mich dabei die Frage, ob die Welt, die McCaffrey erschuf und in der Frauen weniger gefragt, dafür umso öfter geschüttelt werden, eine Kritik am Weltbild der 50er- und 60er-Jahre sein soll, oder ob sie die gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Realität einfach unhinterfragt abgebildet hat. Als dritte Alternative bliebe noch ein ebenso glaubwürdiges „War einfach Zufall“, denn so ärgerlich man beim Lesen manchmal wird, es ist zumindest eine stimmige Welt, dieses Pern mit seinen Drachen und Reitern und Sternen und Fäden. Man könnte noch tiefer eintauchen, denn es mangelt nicht an Fortsetzungsromanen, die die Geschichte Perns weitererzählen oder mehr über die Vorgeschichte des Planeten und seiner Kolonialisierung verraten, aber ach … so viele Bücher, so wenig Zeit.

Zoran Drvenkar_Der letzte EngelUrban Fantasy

Denn es gibt ja auch schöne neue Geschichten, die weder in fantastischen Kaiserreichen noch auf fremden Planeten spielen, sondern einfach hauptsächlich in Berlin. „Der letzte Engel“ von Zoran Drvenkar ist so eine und wäre wohl am ehesten dem Subgenre der „Urban Fantasy“ zuzuordnen. Eigentlich möchte man dieses Buch aber gar keinem Genre zuordnen, da es sowieso in keine Schublade passt.

In einer irren Tour de Force spinnt Drvenkar die Geschichte um den sechzehnjährigen Motte, der eines Morgens aufwacht und ein Engel ist, seinen Freund Lars, das Mädchen Mona, das Erinnerungen berühren kann, und den Engel Esko, den sie auf diesem Weg aus einer Erinnerung in die Gegenwart geholt hat, weswegen sie auch jetzt nicht mehr schlafen darf, denn sonst ist Esko wieder weg. Außerdem treten auf: zwei Gräfinnen und ein Zar, der vor Zorn und Rache zerfressene Söldner Lazar, die Gebrüder Grimm und diverse andere Figuren.

Eine Nacherzählung der Geschichte erscheint sinnlos, denn Drvenkar springt nicht nur von Schauplatz zu Schauplatz, sondern auch von der Gegenwart in die Vergangenheit, noch weiter in die Vergangenheit und wieder zurück. Und weil das nicht reicht, wechselt er auch dauernd die Erzählperspektive.

Das vollkommen Verrückte ist aber: Es funktioniert. Es funktioniert sogar unglaublich gut. Drvenkar sagt zwar, dass er kaum plane, sondern einfach drauf los schreibe, was man seinem Roman aber an keiner Stelle anmerkt. Wenn sich die Einzelschauplätze im Laufe des Romans immer mehr verflechten, und man erkennt, wie alles mit allem zusammenhängt, wirkt das virtuos und gekonnt, geplant und (im Nachhinein) vollkommen logisch. Die Leichtigkeit, mit der Zoran Drvenkar dieses Netz spinnt, ist dabei besonders beeindruckend. Kein Zurückblättern ist nötig, kein kopfkratzendes „Moment mal!“. Die Figuren und Szenen sind von einer paradoxen, leichtfüßigen Intensität, selbst Schnelllesern wie mir fällt es nicht schwer, sich auf Seite 300 noch an etwas zu erinnern, was auf Seite 65 passiert ist und auf einmal in ganz anderem Licht erscheint. Nichts ist verworren, alles ist klar, nur eben ein bisschen anders, als man zunächst dachte.

Am Ende des Buches spürt man so das unbändige Verlangen, mit dem Wissen, das man nun hat, einfach wieder von vorn zu beginnen. In diesem Sinne ist „Der letzte Engel“ auch ein bisschen wie eine düstere, aber dabei stets humorvolle Achterbahn, aus der man ordentlich durchgeschüttelt und leicht schwindelig aussteigt, um sich direkt wieder für die nächste Fahrt anzustellen.

Drei Bücher, die zeigen, wie vielfältig das Fantasygenre ist, wie unterschiedlich Geschichten aussehen können und zu welchen Einfällen die Fantasie in der Lage ist, wenn man ihr erst freien Lauf lässt. Und der schönste Eskapismus ist doch vielleicht der, von dem man sich nur mit Widerwillen lösen möchte und der einem auch nach dem Zusammenklappen des Buches noch lange nachhängt.

Anne Schüßler

Oliver Plaschka: Das Licht hinter den Wolken. Lied des Zwei-Ringe-Lands. Stuttgart: Klett-Cotta 2013. 688 Seiten. 24,95 Euro.
Anne McCaffrey: Dragonflight (Die Welt der Drachen, Heyne 1972). CORGI Verlag 1968. 365 Seiten. 5,60 Euro.
Zoran Drvenkar: Der letzte Engel. München: Cbj 2012. 432 Seiten. 16,99 Euro.

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