Geschrieben am 27. Oktober 2004 von für Bücher, Litmag

Klaus Wagenbach: Mein Italien, kreuz und quer

Von Potsdam nach Palermo

Klaus Wagenbach kreuzt wieder durch ‚sein Italien‘.

„Ceravamo tanto amati“, wir waren so sehr verliebt, lautete der Titel eines in den siebziger Jahren in Italien sehr erfolgreichen Filmes mit Nino Manfredi. Und um diese Zeit herum entstand auch eine neue Welle von Italien-Begeisterung nördlich der Alpen. Und umso ferner man von Rom, Venedig und Florenz lebte, umso leidenschaftlicher funkte es besonders bei den der ewigen Universitätsquerelen müden Deutschen, ganz besonders den Berliner Intellektuellen. Statt Buletten wollte man endlich ‚una polpettina di carne‘ – was zwar ungefähr dasselbe ist, aber ganz anders klingt. Statt immer nur Pils vom Fass mal endlich ‚un Rosso di Montepulciano‘. Statt immer nur graues Regenwetter ‚o sole mio‘ in einer Trattoria in Roma Trastevere. Und man wollte die angeblich immer leicht wie ein Prosecco sprudelnde italienische Kultur in vollen Zügen genießen. Klaus Wagenbach, schon früh vom Italien-Fieber angesteckt, Freund aller Freunde italienischer Literatur diesseits und jenseits der Alpennordseite, begann damit, den deutschsprachigen Markt mit immer neuer Italianità zu versorgen. Zwar gab es auch andere, größere Verlage wie etwa Piper in München oder den Düsseldorfer Claessen-Verlag, die bereits eine ganze Menge italienischer Literatur ediert hatten. Wagenbach aber wurde ‚der‘ erste verlegerische Hafen, in dem die neuere zeitgenössische Literatur Italiens vor Anker ging. Dank seiner verrückten Leidenschaft für die italienische Kultur, die Literatur und Kunstgeschichte im Besonderen, lernte das deutschsprachige Publikum in den letzten Jahrzehnten Autoren kennen, die auch in Italien immer in der ersten Reihe der öffentlichen Aufmerksamkeit standen oder immer noch stehen.

Wagenbach verlegte beispielsweise zum ersten Mal in deutscher Sprache die Werke des begnadeten Wortartisten Giorgio Manganelli. Er fühlte sich ganz besonders dem literarischen Antifaschismus der herben Natalia Ginzburg verpflichtet. Die strengen Kabinettstücke des römischen Hispanisten Carmelo Samonà erschienen ausschließlich bei Wagenbach. Erst über Wagenbach lernten wir den literarischen wie cineastischen Freibeuter Pier Paolo Pasolini kennen. Andere Autoren wie Andrea Camillieri, der in Italien hoch verehrte sizilianische Ironiker oder auch der intellektuelle Spieler Italo Calvino erschienen nicht ausschließlich bei Wagenbach, aber sie sind dort auch mit ganz besonders gut edierten Büchern vertreten. Die Liste ließe sich um viele Namen verlängern, zum Beispiel auch um diejenigen politischen Publizisten wie der journalistenlegende Luigi Pintor oder Paolo Flores d’Arcais, der seit Jahren für eine geistige Erneuerung der liberalen Opposition gegen die rechte wie linke ‚Partitocrazia‘ Italiens kämpft.

Das italienische Feuer flackert inzwischen nicht mehr so weit sichtbar auf dem deutschsprachigen Büchermarkt. Unter Berlusconi, Fini und Bossi hat das politische Italien viel an Attraktion verloren. Verblasst ist auch die Leidenschaft für die italienische Gegenwartsliteratur. Dario Fo ist alt, Umberto Eco brilliert nur noch als politisch-intellektueller Derwisch, aber nicht als Literat. Die internationalen Stars auf dem deutschsprachigen Büchermarkt kommen heute aus den angelsächsischen Ländern, aus Frankreich oder arabischen Ländern. Klaus Wagenbach aber bleibt seinen alten Leidenschaften treu. Pasolini, Benni, Fellini e tutti quanti. Jetzt ist von ihm eine neue (die wievielte ist es eigentlich) Anthologie mit Texten italienischer Autoren erschienen. Und wieder ist eine Liebeserklärung geworden. Und wieder ist es eigentlich nichts Neues unter dem italienischen Himmel, was uns hier präsentiert wird. Aber trotzdem springt immer wieder der Funke von dem ‚pazzo Italiano‘ Wagenbach, dem verrückten Bekenntnis-Italiener aus Berlin-Mitte auf den Leser über. Eco erklärt seine Verwunderung über den Mangel an Feinden, die sein Land in der Welt hat. Der soeben zum Senator auf Lebenszeit ernannte Mario Luzi führt uns in einem wunderbaren Prosastück zum Monte Amiata bei Siena. Die schon wieder gänzlich vergessene große Journalistin Camilla Cederna porträtiert hinreißend drei Grundtypen von Frauen, die nervig Geliebte, die Bösartige und die Verehelichte. Von Ermanno Cavazzoni, der herrlichen Spottfeder aus Bologna, hat Wagenbach u.a. das umwerfend trockene Porträt einer „Republik der geborenen Idioten“ abgedruckt. Solange es (in Italien !?) Idioten und ihre Chronisten wie Cavazzoni gibt, ist Bella Italia nicht verloren. Und da Klaus Wagenbach seine idiotische Liebe zu Italien einfach nicht aufgeben will, wird es (hoffentlich) noch einige dieser Anthologien geben.

Auch wenn das heutige Italien nichts mehr gemein hat mit dem Land, das Wagenbach zum ersten Mal in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchkreuzte. Uns ist es egal – ceravamo tanto amati.

Carl Wilhelm Macke

Klaus Wagenbach: Mein Italien, kreuz und quer. Wagenbach-Verlag, Berlin, 2004, 378 S.