Geschrieben am 14. Mai 2011 von für Bücher, Crimemag

Klassiker-Check: David Ignatius – Operation Beirut

Kleine Bomben, große Bomben

– In der Riege der Polit-Thriller-Autoren geht David Ignatius immer ein wenig unter. Das ist schade, denn er gehört schon zu den interessanteren, weil sehr gut informierten Autoren des Genres. Gerade ist sein Erstling von 1987,  „Agents of Innocence“ bei Rowohlt neu aufgelegt worden. Susanna Mende hat den Roman einem Klassiker-Check unterzogen.

Der amerikanische CIA-Mitarbeiter Tom Rogers wird im September 1969 in die Station von Beirut versetzt, wo er sich um die sogenannte „Palästinenser-Abteilung“ kümmern soll, nachdem nicht mehr zu übersehen ist, dass die Palästinenser und deren militante Organisationen wie PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) und PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) als politische Kräfte im Nahen Osten eine immer bedeutendere Rolle spielen. Die CIA hat sich vorgenommen, diese zu infiltrieren, indem sie unter deren Mitgliedern Agenten anwirbt. Rogers, der fließend Arabisch spricht und mit den Gepflogenheiten der arabischen Welt vertraut ist, soll sich im Auftrag des Stationsleiters Frank Hoffman, einem alten Haudegen, der kein Blatt vor den Mund nimmt, darum kümmern. Unterstützung findet er bei dem arabischen Mittelsmann Fuad, der Amerika liebt und aus ideologischer Überzeugung für die CIA arbeitet. Er liefert Informationen über die palästinensischen Guerillaorganisationen und stellt Kontakt zu einer Person her, die Tom Rogers über Jahre in Atem halten wird: Jamal Ramlawi, ein Vertrauter des Anführers der Fatah, der namentlich nicht benannt und im Roman stets nur mit „alter Mann“ bezeichnet wird, bei dem es sich jedoch um keinen Geringeren als Jassir Arafat handelt.

Dieser Ramlawi wird zu einer Herausforderung für den Falloffizier Tom Rogers und schließlich – so viel sei verraten – sogar zu einer Bedrohung, als das Doppelspiel, das sowohl Ramlawi als auch Rogers spielen, außer Kontrolle zu geraten droht. Denn Ramlawi ist schwer zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen, hält er sich selbst doch für einen Repräsentanten der Palästinenserorganisation, in deren Interesse er Informationen austauscht und diese nicht einfach nur weitergibt; er betrachtet das, was er tut, als Kooperation auf Augenhöhe, und Rogers Aufgabe ist es unter anderem, ihn in diesem Glauben zu lassen. Nicht zuletzt das mangelnde Fingerspitzengefühl im Headquarter der CIA in Langley erschwert ihm diese Aufgabe immer wieder.

Der Mossad, dein Freund?

Natürlich hat auch der israelische Geheimdienst Mossad seine Finger im Spiel und tritt in Gestalt von Yakov Levi, der die Beiruter Station leitet, in Aktion, als er vom italienischen Geheimdienst, dem Servizio Informazioni Difesa, von den Aktivitäten der CIA erfährt. Denn obwohl die USA die Verteidigung Israels als eine wichtige politische Aufgabe ansehen, heißt das noch lange nicht, dass die Geheimdienste beider Länder vorbehaltlos sämtliche Informationen austauschen.

Als jedoch 1972 nach der tödlich endenden Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München plötzlich der Verdacht einer Verbindung zwischen Ramlawi und der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“  aufkommt, gerät die CIA mächtig unter Druck, was ihre Loyalität Israel gegenüber betrifft, und wieder einmal müssen sich ein paar Nachrichtenoffiziere eine der geheimdienstlichen Gretchenfragen stellen: Verrät man einen eigenen Agenten im Interesse eines politischen Partners?

David Ignatius weckt somit nicht nur ein wichtiges historisches Kapitel des Nahen Ostens, eingebettet in einen spannenden Plot, glaubwürdig und kenntnisreich zum Leben, er scheint auch das innere Wesen von Geheimdiensten – im Besonderen der CIA – bestens zu kennen und zeigt die Fallstricke und unauflöslichen Widersprüche einer solchen Organisation auf geradezu luzide Art und Weise. Und er inszeniert eines der Leitmotive nachrichtendienstlicher Tätigkeit, nämlich das von Vertrauen und Verrat, anhand seiner Figuren mit großer Tiefe.

Auch ein Geheimdienst ist nur eine Behörde

Fast nebenbei skizziert er außerdem, wie sich die CIA im Laufe der 1970er Jahre verändert, nachdem der Kongress Einblick in ihre Arbeit verlangt und – internationaler Empörung geschuldet – öffentlich massive Kritik an diversen Einsätzen im Ausland übt; ein Thema, das Ignatius auch in den nachfolgenden Romanen immer wieder aufgreift und manchmal auf beinahe provozierende Weise das Dilemma einer Geheimorganisation zeigt, die unter Beobachtung stehend nach politisch korrekten Regeln spielen soll. Provozierend deshalb, weil er die Perspektive der Geheimdienstmitarbeiter einnimmt, die sich als ausgebuffte Frontschweine gerieren und gegenüber ihren Kollegen in Langley nur ein müdes Lächeln oder den Stinkefinger übrig haben.

David Ignatius

Der Nahe Osten damals und heute

Auf den ersten Blick scheint „Operation Beirut“ von einer längst abgeschlossenen politischen Gemengelage zu handeln, und der Roman erweckt noch einmal das französisch geprägte Beirut zum Leben, auch als „Paris des Ostens“ bekannt, eine Stadt an der Grenze zwischen Orient und Okzident, in der westliche und östliche Kultur miteinander verschmolzen, wovon nach dem libanesischen Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 jedoch nicht mehr viel übrig ist.

Allerdings haben die Ereignisse im Nahen Osten der 1970er Jahre eine politische Aktionsform zu einer ersten schrecklichen Blüte gebracht, die die Welt seit Jahren in Atem hält: Das, was wir uns angewöhnt haben, „Terrorismus“ zu nennen; die Verfolgung politischer Ziele durch Gewaltaktionen, die seit den ersten Autobomben in den Siebzigern mit dem 11. September 2001 apokalyptische Formen angenommen hat. Fuad, der arabische Mittelsmann der CIA bezeichnet diesen Terrorismus als Krankheit, die den Libanon damals infizierte und wo die Leute lernten, „wie man kleine Bomben macht, dann große Bomben, dann Autobomben.“ Seit damals hat sich diese Spielart von Terror zu einem internationalen Phänomen entwickelt, von New York über Bali bis Mumbai.

Außerdem ist vor dem Hintergrund der noch immer ungelösten Konflikts zwischen Israel und Palästina und den derzeitigen Unruhen in Nachbarländern wie Syrien und Jordanien der Roman nicht zuletzt eine spannende und lehrreiche Lektion über wichtige politische Entwicklungen in einer Region, die nie zur Ruhe zu kommen scheint und deren wachsende Instabilität Amerikaner und Europäer gleichermaßen beunruhigt.

David Ignatius, langjähriger Nahostexperte bei der Washington Post, gehört zu einer ganzen Reihe herausragender Politthriller-Autoren, die ihr Expertenwissen und ihre Erfahrungen als Korrespondenten und Berichterstatter in spannende Fiktion vor realem Hintergrund verwandeln. Und man kann nur hoffen, dass es ihm nicht so ergeht wie Ross Thomas und Robert Littell, die im deutschsprachigen Raum nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen haben, auch wenn er nicht ganz in derselben Liga spielt.

Deshalb ist es umso erfreulicher, dass der Rowohlt Verlag es gewagt hat, den bereits 1988 unter dem Titel „Die Wurzeln der Hölle“ erschienenen Roman nochmals aufzulegen, wenn auch die Überarbeitung der deutschen Ausgabe etwas gründlicher hätte ausfallen können.

Ein Gesamtschau von Ignatius‘ Romanwerk, das auf Deutsch vorliegt, folgt demnächst.

Susanna Mende

David Ignatius: Operation Beirut (Agents of Innocence, 1987). Roman. Deutsch von Bernhard Schmid. Hamburg: Rowohlt Verlag. 588 Seiten. 9,99 Euro.
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