Geschrieben am 1. Februar 2016 von für Bücher, Litmag

KidBits: Neue Bücher für Kinder

Neue Kinderbücher von Kai Lüftner, Alexander von Knorre („Superjunge“), Mikael Engström („Kaspar, Opa und der Monsterhecht“), Friedbert Stohner („Ich bin hier bloß das Pony“), Alexandra Helmig („Lua und die Zaubermurmel“) und Ross Montgomery („Alex, Martha und die Reise ins Verbotene Land“). Vorgestellt von Frank Schorneck.

Kai Lüftner, Alexander von Knorre_ SuperjungeNormal ist superer

Ursprünglich war „Super-Junge“ nur ein Song auf der großartigen „Rotz’n Roll Radio“-CD, auf der Kinderbuch- und Comedyautor, Sozialarbeiter, Musiker und überhaupt Multitalent Kai Lüftner mit ausgesuchten Freunden und Musikern beweist, wie hörbar Kindermusik sein kann. Die Geschichte eines Angebers, den vermeintlich alle toll finden, vor allem aber er sich selbst. Am Ende wird er entzaubert wie der Zauberer von Oz. Nun gibt es die Geschichte auch als Bilderbuch, in wildem Comic-Stil illustriert von Alexander von Knorre. Es steckt voller witziger und liebevoller Details, die den ganz Kleinen vermutlich entgehen. Ältere Selbstleser finden das Buch wegen der Comic-Anmutung sicherlich auch cool und witzig, doch im Gegensatz zum Song, der in unregelmäßigen Abständen immer wieder mal aus dem Kinderzimmer schallt, ist das Bilderbuch relativ schnell abgeschrieben.

Kai Lüftner, Alexander von Knorre: Superjunge. Ars edition, 2015. 32 Seiten, 12,99 Euro. Ab 4 Jahre.

engstorem_monsterhechtVon Hecht und Recht

In welcher Schlange steht man beim Jüngsten Gericht, wenn man bei einem Angelwettbewerb schummelt? Diese Frage beschäftigt den fast siebenjährigen Kaspar, der bei seinem Opa am Siljansee lebt – denn Opas Bootsmotor ist kaputt und die Lokalzeitung hat als Siegprämie für den größten Hecht des Sommers ein besonders leistungsstarkes Modell ausgelobt.

Mikael Engströms Roman führt in ein nahezu nostalgisch anmutendes Schweden und knüpft selbstbewusst und voller augenzwinkernder Zitate an die Werke Astrid Lindgrens an. Durch die Seiten weht der Duft frischer Zimtschnecken und Holzspäne; im Wald raunt eine verschrobene Alte von bösen Omen und auf dem Plumpsklo wird jemand eingesperrt. Diese kaum verhohlene Hommage an die große Dame nicht nur der schwedischen Kinderliteratur wirkt dabei alles andere als anbiedernd, sondern fügt sich bestens in die Geschichte ein.

Die Tagesabläufe sind überschaubar dort auf dem Land, Kaspars Opa verdient seinen bescheidenen Lebensunterhalt mit dem Schnitzen von Holzpferden, die der Besitzer des örtlichen Gemischtwarenladens an- und für einen vielfachen Preis an Touristen weiterverkauft. Kaspars Pferde geraten häufig nicht gut genug für den Verkauf und landen auf dem Regal für Klepper. Wirklich wichtig ist ja auch nur, mit Opa zusammen zu sein – mit Opa, der in Kaspars Augen „die Ehrlichkeit in Person“ ist. Dieses Bild droht nun zu kippen, denn um den Bootsmotor trotz Anglerpechs zu gewinnen, kauft Opa kurzerhand einen stattlichen Hecht. Dass er Kaspar beauftragt, diesen in einen Keller zu legen, um ihn wettbewerbskonform eigenhändig an der Angel „hochziehen“ zu können, macht die Lüge kaum kleiner. Als wäre dieser Gewissenskonflikt nicht ohnehin schwer genug, schwirren Kaspar seit einer Begegnung mit der schrulligen Isabell Bilder des letzten Gerichtes durch den Kopf und er sieht in Gedanken stets die Warteschlangen für die Hölle und das Paradies. Wo steht er wohl an und wo sein Opa?

Engström vermag es geschickt, dem zunächst klar kontrastiert dargestellten Grenzverlauf zwischen Gut und Böse um Grauschattierungen zu bereichern: Da will Kaspars Freundin Lisa, die einmal Polizistin werden möchte, für Opa einen Bootsmotor stehlen, denn „im Gesetzbuch steht bestimmt, dass man fiesen alten Miesepampeln ein oder zwei Sachen wegnehmen darf.“ Und ausgerechnet dieser „Miesepampel“, der geizige und misslaunig durch die Felder stapfende Åhmann, rettet Kaspar in einer dramatischen Aktion das Leben, indem er im letzten Moment seine eigene Dreschmaschine zerstört. In diese differenzierte Sicht der Dinge fügt sich auch der Umstand, dass Kaspars Eltern beruflich um die Welt reisen, um die Armut in der Welt zu bekämpfen, für den eigenen Sohn jedoch kaum Zeit erübrigen („Kaspar konnte sich kaum noch daran erinnern, wie seine Eltern aussahen. Nur daran, dass sein Vater groß war und seine Mutter klein.“).

„Kaspar, Opa und der Monsterhecht“ geht Fragen von Moral und Aufrichtigkeit auf den Grund und das mit viel Herz und Humor. Kaspar muss schließlich erkennen, dass in der Erwachsenenwelt offenbar viel häufiger gelogen wird als er es geahnt hätte. Wie Kaspar und sein Opa es schaffen, ohne Gesichtsverlust aus der eigenen Lüge herauszukommen und am Ende dennoch den dringend benötigten Motor zu erhalten, ist vorzüglich und vergnüglich komponiert – und wird auf einem hohen sprachlichen Niveau erzählt, das von der Zielgruppe durchaus Leseerfahrung und Ironieverständnis fordert. Man ist geneigt, Mikael Engströms Monsterhecht als „Moby Dick“ der Kinderliteratur zu bezeichnen.

Mikael Engström: Kaspar, Opa und der Monsterhecht. Deutsch von Peter Schössow. dtv, 2015. 192 Seiten. 10,95 Euro. Empfohlen ab 8 Jahre

Stohner_Mueller_24935_MR.inddPonyhof-Innensicht

„Ich bin hier bloß…“ ist das Motto einer Kinderbuchreihe im Hanser Verlag. Hier kommen vom Hamster über die Katze und den Hund bis hin zum Pony verschiedene (Haus-)Tiere selbst zu Wort und schildern ihre Erlebnisse mit Menschen und das Zusammenleben mit ihnen aus ihrer eigenen Sicht. Wechselnde renommierte Kinderbuchautorinnen und -autoren greifen hier zur Feder, einzig verbindendes Glied sind die Illustrationen, die in allen Fällen von Hildegard Müller stammen. Friedbert Stohner hat schon dem Hamster eine Stimme gegeben, nun schlüpft er in die Perspektive des Shetlandponys Gillian. Sofort zu Beginn macht Gillian klar, dass Ponys nicht „süß“ sind, sondern wild und stark und schön. Doch leider kann man das als Pony nicht so leicht, wie etwa die Stallkatze Minzi, die einfach nur ihre Krallen ausfahren muss.

Doch Gillian hat andere Möglichkeiten, den auf ihr reitenden Kindern zu zeigen, wer wirklich das Sagen hat auf dem Reitplatz. Dann bringt das Auftauchen eines kleinen Cowboys und eines kleinen Indianers das sonst recht beschauliche Reitschulleben gehörig durcheinander und bevor Gillian selbst weiß, wie ihr geschieht, stürmt sie durch das offene Tor des Gatters, lässt das Gelände des Hofes hinter sich und galoppiert über Stock und Stein. Ein aufregendes Abenteuer beginnt, das Leseanfänger sprachlich durchaus vor Herausforderungen stellt, für fortgeschrittene Leser wiederum inhaltlich womöglich etwas betulich wirken könnte. Immerhin dürfte der Lesespaß nicht nur bei Ponyhofmädchen hoch sein, sondern auch Jungs erfassen. Der Verlag empfiehlt das Buch ab 8 Jahre. Inhaltlich dürfte sich manche/r Achtjährige aber unterfordert fühlen. Weil es aber sprachlich doch weit über dem Niveau gängiger Erstleserbücher liegt, empfiehlt es sich, das Buch jüngeren Kindern vorzulesen.

Friedbert Stohner: Ich bin hier bloß das Pony. Hanser, 2015. 136 Seiten. 10,00 Euro. Ab 8 Jahre

helmig_luaPoetischer Bühnenzauber

Im Programm des kleinen unabhängigen Münchner mixtvision Verlags gibt es die ambitionierte Reihe „Dramatiker erzählen für Kinder“, die sich mit ihren sehr zurückgenommenen grauen Pappeinbänden von der vorherrschenden Bonbonbuntheit in der Kinderbuchabteilung so mancher Buchhandlung stark abheben. Das erste Kinderbuch der Schauspielerin und Autorin Alexandra Helmig ist allerdings nicht innerhalb dieser Reihe erschienen, und das ist auch nachvollziehbar: „Dramatiker schreiben oft reduzierter, konzentrierter als Prosaautoren“, erläuterte Verleger Sebastian Zembol den Ausgangspunkt der Reihe zu ihrem Start 2011. Alexandra Helmigs Roman entspricht dieser Vorgabe mitnichten, denn sie nimmt ihre Leser mit auf eine poetisch-magische Reise, schwelgt in Bildern und Assoziationen.

Die neunjährige Lua hat einen besonderen Blick auf die Welt, sie kann die Magie in kleinen Dingen wie einer Schneeflocke oder einer Wolke sehen und es gibt nur einen Menschen, der ihre Verträumtheit und Phantasie verstehen kann: ihr Vater. Nur hat dessen Herz vor einem Jahr aufgehört zu schlagen und seitdem hat Luas Welt an Farben und Lachen eingebüßt. Eines Tages findet Lua eine Murmel im Sand, die sie zu einem magischen Zirkus führt. Der große Zauberer Mo wird doch sicherlich in der Lage sein, ihren Vater zurückzuzaubern? Doch der Zirkus befindet sich in einer Krise, Mo kann nicht mehr zaubern und nach und nach verlieren alle Artisten ihre Fähigkeiten. Lua versucht, Mo den Glauben an seine Zauberkraft zurückzugeben und den Zirkus zu retten. Wie (der Film-)Dorothy im Land Oz begegnen auch Lua im Zirkus Charakteren, die eine Entsprechung in der realen Welt haben und sie muss erkennen, dass auch Mo ihren Vater nicht mehr zurückbringen kann. Indem sie gegen die Mutlosigkeit der Zirkusleute anredet, findet Lua auch für sich selbst wieder Kraft und Zuversicht.

Alexandra Helmig ist eine märchenhafte Geschichte über Tod und Verlust gelungen, die Trauer nicht kleinredet und dennoch Trost bietet und Lachen zulässt. Geeignet auch zum gemeinsamen Lesen und als Anstoß zu Gesprächen über den Tod.

Alexandra Helmig: Lua und die Zaubermurmel. Mixtvision Verlag, 2015. 210 Seiten. 14,90 Euro. Empfohlen ab 9 Jahre

Montgomery_24933_MR1.inddExpedition mit Hund

Was hat es auf sich mit dem „Verbotenen Land“, das jeden, der auch nur einen Fuß auf seinen Boden setzt, vehement zurückwirft, ihn dazu bringt, ohne Rücksicht auf Hindernisse oder Erschöpfung bis nach Hause zu rennen? Warum sind Hunde offenbar die einzigen Lebewesen, die diese unsichtbare Grenze überwinden können? Seit Jahrhunderten versucht der „Orden vom Schwerte und der Fackel“, das Geheimnis dieses Landes zu ergründen, doch bislang scheiterte jede Expedition. Nur einem gelang es bislang, die Grenze zu überwinden, doch Alex J. Jennings hat über das Erlebte den Verstand verloren. Sein Sohn Alex lebt seitdem im Cloisters Internat für Jungen, in dem er als krasser Außenseiter unterdrückt wird. In die Rolle des Prügelknaben hat sich der Hundeliebhaber bereits gefügt, als eines Tages der neue Expeditionsleiter Davidus Kyte in der Schule auftaucht und ihn in Gewahrsam nehmen will, um Informationen über seinen aus der Klinik entflohenen Vater zu bekommen. Unverhofft bietet sich Alex die Gelegenheit zur Flucht, doch der Bus des Jugendorchesters, dem er sich zur Tarnung anschließt, bringt ihn ausgerechnet in den berüchtigten Grenzstreifen, einen Hochsicherheitsbereich am Rande des verbotenen Landes…

Das Jugendbuchdebüt des Engländers Ross Montgomery bietet ein aberwitziges Szenario mit Anklängen an Douglas Adams oder Jasper Fforde oder aber einer jugendfreien Version von Tom Sharpe. Mit viel Dialogwitz und Slapstickeinheiten gewürzt wird der Spannungsbogen immer straffer gezogen. Durch einen Unfall stellt sich heraus, dass Alex aus zunächst unerklärlichen Gründen vom verbotenen Land nicht abgestoßen wird und er macht sich auf die lange Reise ins unerforschte Zentrum – auf der Spur seines Vaters. Ihm auf den Fersen ist der immer exzentrischer werdende Davidus Kyte in einem von Wölfen gezogenen Expeditonszeppelin. Alex zur Seite (wenn auch nur aus der Ferne) stehen sein unbeholfener neuer Schuldirektor und das Orchestermitglied Martha. Ein wirklicher Begleiter auf seiner Reise ist allerdings ein Hund mit einer Augenklappe, der nicht von seiner Seite weicht. Vor diesem Hintergrund ist der vom Übersetzer oder Verlag gewählte deutsche Titel eine merkwürdige Wahl, heißt der Roman doch im Original „Alex, the dog and the unopenable door“. Denn nicht nur steht Hunden, insbesondere diesem Exemplar, die zweitgrößte Rolle in diesem Abenteuer zu, es dreht sich eigentlich alles um „unopenable doors“: Türen, die nicht geöffnet, Grenzen, die nicht überschritten werden können, um den Drang, hinter verschlossene Türen zu schauen und Unerforschtes zu entdecken – und welche Opfer man dafür zu bringen bereit ist.

„Alex, Martha und die Reise ins Verbotene Land“ kann als reine Abenteuergeschichte mit hohem Unterhaltungswert gelesen werden, sie fungiert aber auch als vielschichtiges philosophisches Gleichnis und arbeitet in emotionalen Rückblenden eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung auf.

Ross Montgomery: Alex, Martha und die Reise ins Verbotene Land. Aus dem Englischen von André Mumot. Hanser Verlag, 2015. 336 Seiten. 14,90 Euro. Empfohlen ab 11 Jahre

Frank Schorneck

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