Geschrieben am 6. Mai 2017 von für Bücher, Litmag, News

KidBits: Neue Bücher für Kinder

Neue Kinderbücher von Katherine Applegate („Crenshaw – einmal schwarzer Kater“), Judith Allert („Tofu der Superhund“) und Oliver Jeffers / SamWinston („Wo die Geschichten wohnen“). Vorgestellt von Frank Schorneck.

applegate_CrenshawMein Freund Harvey reloaded

Wenn ein Buch mit der Sichtung eines surfenden Katers beginnt, der mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Kater regieren, Hunde parieren“ bekleidet ist und der einen geschlossenen Regenschirm bei sich trägt, als fürchte er, beim Wellenreiten nass zu werden, dann kann dies der Beginn eines albernen, höchst komischen Romans sein. Es kann aber auch sein, dass dieser humorige Beginn den Leser nur in Sicherheit wiegen will, um klammheimlich die Fallhöhe zu erhöhen: Denn „Crenshaw“ ist ein Kinderbuch, das sich über den imaginären Freund des Ich-Erzählers dem Thema Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung nähert.

Eigentlich ist Jackson zu alt für einen imaginären Freund. Er geht bald in die fünfte Klasse und er ist stolz darauf, die Welt eher nüchtern zu betrachten. Doch plötzlich ist Crenshaw da, ein menschengroßer Kater mit einer Vorliebe für Schaumbäder und lila Geleebohnen. Vor drei Jahren war Crenshaw schon einmal in Jacksons Leben getreten. Damals musste die Familie vorübergehend im Auto wohnen. Jacksons kleine Schwester Robin kann sich an diese Zeit nicht mehr erinnern, aber Jackson will das nicht noch einmal erleben. Sollte Crenshaws erneutes Auftauchen etwa bedeuten, dass eine solche Krise erneut aufzieht?

Katherine Applegate gelingt in ihrem Roman sehr sicher der Spagat zwischen Komik und Tragödie. Mit Augenzwinkern flechtet sie kleine Hinweise in den Text ein, dass Crenshaw möglicherweise mehr als nur ein Produkt von Jacksons Phantasie sein könnte. Crenshaw steht dem Jungen zur Seite, der zum zweiten Mal in seinem noch jungen Leben entwurzelt wird. Erst werden nur Möbel und andere Dinge verkauft, doch schließlich flattert ein Räumungsbescheid ins Haus. Falscher Stolz lässt den an multipler Sklerose erkrankten Vater zögern, staatliche Hilfsangebote anzunehmen. Die Eltern versuchen, ihre Sorgen und Nöte vor den Kindern geheim zu halten – was natürlich nicht funktionieren kann. Jackson fühlt sich von den Eltern nicht ernst genommen, weil er nicht in Entscheidungen eingebunden wird. Der imaginäre Kater wird ihm dabei helfen, mit den Eltern ins ehrliche Gespräch zu kommen. Denn auch wenn die Wahrheit unangenehm ist, kann die Phantasie eines Kindes, das Missstimmungen in der Familie viel früher und deutlicher wahrnimmt, als Eltern oftmals glauben, weitaus schlimmer sein. Ein Buch für Kinder, die mehr von einem Buch erwarten als kurzweilige Unterhaltung.

Frank Schorneck

Katherine Applegate: Crenshaw – einmal schwarzer Kater. Ab 8 Jahren. Deutsch von Brigitte Jakobeit. Fischer Sauerländer, 224 Seiten, 11,99 Euro

allert_tofuZottelige Erbschaft

Wenn eine Familie von einer Erbschaft erfährt, dann kann man schonmal ins Träumen geraten. Doch die Träume vom Südseeurlaub oder vom neuen Auto platzen, als sich herausstellt, dass die Grabowskis von einem Onkel nichts weiter als einen zotteligen Hund erben, der zudem eine Vorliebe für vegetarische Ernährung hat. Nur die kleine Lea setzt sich für Tofu ein und sorgt dafür, dass er nicht in eine andere Familie gegeben wird. Wer weiß, vielleicht hat der Hund ja verborgene Talente?

Judith Allert verbindet ihre Variation der Story vom unerwünschten und schließlich doch geliebten Haustier mit Slapstick und vor allem dem Wortwitz, der auch ihre Kinderbuchreihe um die „Unglaublichen Schockingers“ auszeichnet. So gibt es vor allem viel zu Lachen – auch für Erwachsene, die die Geschichte kleineren Kindern vorlesen.

Frank Schorneck

Judith Allert: Tofu der Superhund. Ab 8 Jahren. Ravensburger, 192 Seiten, 9,99 Euro

3350_WoDieGeschichtenLobgesang auf die Phantasie

Oliver Jeffers hat mit seinem Bilderbuch „Pinguin gefunden“ eine wundervolle, herzzerreißende Geschichte über Freundschaft gemalt, die inzwischen längst zu einem modernen Bilderbuch-Klassiker geworden ist. Mit nur wenig Text, aber umso gefühlvolleren Illustrationen lässt er die Geschichte eines Jungen und eines gefundenen Pinguins lebendig werden. Auch die Fortsetzung „Rauf und runter“ lebt durch Jeffers Zeichenstrich.

Nun hat Jeffers, gemeinsam mit dem bildenden Künstler Sam Winston, ausgerechnet der Literatur ein Denkmal zwischen zwei Buchdeckel gesetzt. „Wo die Geschichten wohnen“ kommt ebenfalls vordergründig mit nur wenigen Sätzen Text aus: Ein Mädchen, ein „Child of books“, wie der Originaltitel des Buches lautet, segelt auf einem Meer aus Worten zu einem Jungen. Weil Erwachsene nur an Fakten in Zeitungen interessiert sind und die Welt der Phantasie vergessen haben, lädt das Mädchen den Jungen ein zu einer Reise in seine Welt. Gemeinsam klettern sie über Berge aus Märchen und erleben atemberaubende Abenteuer. Wichtiges gestalterisches Element der Illustrationen sind Textauszüge aus Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur. Wir begegnen Alice im Wunderland und Peter Pan, David Balfour, Pinocchio und Gulliver, stranden mit Robinson Crusoe und schlafen auf Wolken, die aus bekannten Schlafliedern gewebt sind.

Ein Buch, das jeder erwachsene Literaturliebhaber sofort ins Herz schließen wird und das kürzlich mit dem „Bologna Ragazzi Award“ für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet wurde. Die Zielgruppe der Kinder ist allerdings mit diesem Buch etwas schwieriger zu erreichen. Sechsjährige, für die der Verlag den Titel empfiehlt, können mit den Verweisen auf Werke der Weltliteratur naturgemäß wenig anfangen – wohingegen unsere zehnjährige Tochter, die durchaus schon mit dem einen oder anderen der zitierten Bücher vertraut ist, sich offenbar für das Medium des Bilderbuchs für zu erwachsen hält. Sie besteigt lieber selbst das Floß bzw. zurzeit den Sattel, und erlebt ihre eigenen Abenteuer auf dem Rücken diverser Traumpferde oder auch auf dem Nimbus 2.000 an der Seite Harry Potters. Somit steckt diese wunderschöne Hommage an die Literatur und das Lesen in einem wahren Zielgruppendilemma – hoffentlich findet das liebevoll gestaltete Buch dennoch den Weg in zahlreiche Regale. Auf jeden Fall ist es ein Bilderbuch für erwachsene Leser, die den Schlüssel zur Welt der Phantasie noch nicht verloren haben.

Oliver Jeffers / SamWinston: Wo die Geschichten wohnen. Deutsch von Brigitte Jakobeit. Mixtvision, 40 Seiten, 14,90 Euro

Frank Schorneck

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