Geschrieben am 15. Dezember 2010 von für Bücher, Litmag

Katharina Hartwell: Im Eisluftballon

Am Ende der Worte liegt ein Haus am See

– Der Calwer Hermann-Hesse-Preis, mit dem herausragende Literaturzeitschriften ausgezeichnet werden, wurde in diesem Jahr an den poet verliehen. Erwachsen ist das Magazin aus dem Internetprojekt poetenladen, das erst seit 2005 existiert, aber die Literaturszene ungemein bereichert hat. Neben dem Magazin bringt der poetenladen-Verlag nun auch vermehrt Einzeltitel auf den Markt. Das gute Gespür aus der Magazinarbeit stellt das Team um Andreas Heidtmann auch hier unter Beweis.

Noch druckfrisch ist Katharina Hartwells Erzählband „Im Eisluftballon“. Katharina Hartwell, geboren 1984 in Köln, studiert zurzeit am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Die Gewinnerin des MDR-Kurzgeschichtenpreises 2009 und Finalistin des Open Mike 2010 ist in der Szene bereits durch Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften wie Macondo, Zeichen und Wunder, Verstärker oder eben poet in Erscheinung getreten.

Die titelgebende Story, in der ein kindlicher Verhörer das poetische Bild für erkaltende Lebensfreude liefert, begleitet eine Gruppe junger Erwachsener in ein Haus am See, das diffus für die eigene Kindheit steht, obwohl offensichtlich nur Bruchstücke dieser Kindheit hier stattgefunden haben. Am Rande der Gruppe, aber im Zentrum der Geschichte steht Natascha, die in schicksalhafter Gleichzeitigkeit der Geschehnisse während ihrer letzten Abi-Abschlussklausur ihre Eltern durch einen Autounfall verloren hat. Die Freunde haben zunächst versucht, über den Tod zu sprechen, doch alles Reden hat nichts genutzt. Man merkt, man muss „stattdessen etwas tun, etwas unternehmen, Natascha an die Hand nehmen und rennen vielleicht.“ Und nun sind sie in diesem Haus am See und die Hilflosigkeit angesichts des Todes lässt sich nicht vertuschen.

Sprachlosigkeit bestimmt auch die eindringliche Story „Aber man hat ja noch den Sicherheitsgurt“. Auf gerade einmal acht Seiten taucht die Autorin tief ein in die Innenwelten eines Geschwisterpaares mit seinen Konflikten (sowohl untereinander als auch gemeinsam mit den Eltern) und lenkt behutsam den Blick auf das Damoklesschwert des Todes, das über einem von beiden schwingt. Auch hier prägt die Kraft des gesprochenen und ungesagten Wortes, das Aneinander-Vorbei-Reden die Atmosphäre des Textes. Äußerst knapp ist der Dialog gehalten, den Bruder und Schwester wechseln, doch mit wenigen Worten ist alles gesagt: „Klar, sage ich, klar. Nicht weil irgendetwas klar wäre. Bloß, weil es das einzige Wort ist, das ich noch habe.“

Katharina Hartwell

Scheitern im Kleinen

Auch „Roboter für die Unendlichkeit“, in dem die emotionale Vernachlässigung eines Kindes und Mobbing in der Schule angedeutet wird, bleibt im Vagen und gerade dadurch glaubhaft. Die Ich-Erzählerin, die als Babysitterin für einen Zwölfjährigen zu dessen Gefühlswelt keinen wahren Zugang findet, erkennt dennoch Signale, die die Mutter des Jungen nicht sehen will. Ihre Initiative für das Kind wird im Keim erstickt, wenig heldenhaft gibt sie klein bei.

Rätselhaft und surreal bleibt hingegen die Geschichte über einen kleinen Laden für Kuriositäten, in dem nie jemand einkauft und in dem dennoch eine Aushilfe gesucht wird – eine versponnene, durchaus auch mit Humor erzählte Allegorie auf das Leben von Träumen.

Auch die übrigen Geschichten handeln vom Scheitern im Kleinen, von Missverständnissen und vergebenen Chancen. Mal ironisch-witzig wie in „Der Bruder“ oder „Große Ferien“, mal unterschwellig bedrohlich wie in „Gespenster“ oder „Bilderfeuer“. In „Der weißeste Raum“ schließlich schildert Katharina Hartwell genial die Beklemmung eines Menschen, der den Eltern des neuen Partners vorgestellt wird, die jedoch einer früheren Beziehung ihres Sohnes nachtrauern. Ohne erzählerische Verrenkungen, lediglich mit einem kleinen Wort, offenbart sie die Motive der Eltern.

Katharina Hartwells Erzählungen kommen unspektakulär daher, offenbaren ihre Stärke aber in Details, in den Dialogpausen, in den Brüchen, die in einem Nebensatz lauern können.

Frank Schorneck

Katharina Hartwell: Im Eisluftballon. Poetenladen 2010. 142 Seiten. 16,80 Euro.
Foto: Juliane Henrich

Der Debütroman des Monats wir regelmäßig von dem Literaturmagazin Macondo präsentiert.