Geschrieben am 21. September 2011 von für Bücher, Kolumnen und Themen, Litmag

Karl Kollmann: ausgeschrieben

Es geht um mehr als alles

– Relativ unbeachtet, auch der Titel in Kleinbuchstaben, ist die Tage ein Buch erschienen („ausgeschrieben. Auf der Suche nach den verlorenen Möglichkeiten von Literatur, Veränderung und Befreiung“), das reflektiert, wie der Beat nach Deutschland kam … und nicht den Marsch durch die Institutionen angetreten hat. Von Matthias Penzel.

Kunst ist ja ein Trip. Ob bei einem Album, einem Bild oder Buch: Wenn es abgeht und einen mitnimmt, dann ist das wie eine Reise, bei der man sich an Bekanntem erfreut, über manches staunt – und Überraschungen erlebt, die einen manchmal noch lange später beschäftigen. Mit etwas Glück und keinem Kompass kann das gelingen und zwar nicht nur beim Konsumieren von Kunst, sondern auch, wenn man zum Beispiel ein Buch schreibt. Recherchiert. Zu wenig schläft. Es wird zum Rausch. Und irgendwann guckt man zurück, blättert vielleicht durch das Buch, staunt über die Stellen, die man angestrichen hat, vor allem wundert man sich oft über das, was einen viel länger als erwartet beschäftigt, was einem die Sicht auf die Welt verändert hat. Zu den Leuten, an die man im Nachhinein öfters denkt als zunächst erwartet, zählt für mich Karl Kollmann.

War mir völlig unbekannt, bis er mir bei Tiefenrecherche für die Fauser-Biografie „Rebell im Cola-Hinterland“ begegnet ist (siehe auch CM vom 16.07.2009). Zwischen Tophane in Istanbul und Bornheim/Frankfurt, in Kommunen Berlins und bei Anarchoblättern in London (usw.) sind Jörg Fauser etliche Leute begegnet; beim Rekonstruieren seiner Geschichte dann auch mir und Co-Autor Ambros Waibel: Hunderte Komplizen und Zeitgenossen, die sich da im Halbschatten der so genannten Szene bewegten. Nach jedem konnten wir nicht fahnden, mancher war schon tot, in einer Klapsmühle oder sonstwie kaum ansprechbar. Die mythenumrankten 68er eben – für die Wahrheitsfindung, für echte Erkenntnis ohnehin nicht immer zuverlässig. Das Mühlrad Zeit wirkt dagegen, und bei vielen, die wirklich mittendrin waren, wirkten noch andere Zutaten dagegen, eben das, womit man sich Bewusstsein und Sinne schon 1968 abgefackelt hat.

Auch wenn Karl Kollmann den meisten unbekannter sein dürfte als Thomas Bernhard oder Bernd Mattheus (der Bernhard interviewt hat und mit Kollmann befreundet war): Kollmanns Buch „ausgeschrieben. Auf der Suche nach den verlorenen Möglichkeiten von Literatur, Veränderung und Befreiung“ liest man in einem Rutsch. Wie im Rausch. Mancher Rezensent empfand das Buch unterm Strich als sehr deprimierend. Ich überhaupt nicht.

Ausformuliert wird in „ausgeschrieben“, analytisch, aber locker, der erhoffte Aufbruch von 1968, mit der Vorgeschichte, der Ernüchterung und dem, was wir heute haben. Dumpfe Kloppereien und digitalisierte Freundschaften (allzeit bereit, aber nie da), auch Brandanschläge, Demonstrationen in den reichsten Städten der Welt. Analytisch – und dabei locker – macht Kollmann (Universitätsdozent am Institut für Technologie und Warenwirtschaftslehre in Wien) den Bogen von Kunst zu Wissenschaft, Sprache zu Neurologie, Denken zu Frust. „Aber“, steht irgendwo am Anfang, „das sieht man erst später, im Rückblick, besser.“ Das ist er, der Kollmann, der mich bei der Fauser-Recherche so beeindruckt hat. Er hat sofort eingeräumt, wie sehr die 68er die Geschichtsschreibung verklärt haben, war aber ehrlich genug, nicht im selben Aufwasch gleich alle Experimente und Cut-up wegzuwischen (wie das andere Überlebende machen).

Der Tod und das Schreiben

Kollmann und Fauser trafen und kooperierten Anfang der 1970er mehrmals miteinander; in der Phase von Kapitel 35 in „Rohstoff“ (Harry Gelb in Wien: „Das Bier war schlecht“), wo sich im Leben von Fauser eine Wende abzeichnet. Nach dem Trip nach Niederösterreich, wo er außer Kollmann seine große Ex-Liebe trifft, auch Reinhard Priessnitz, erscheint „Die Harry Gelb Story“ im Maro Verlag. Fauser und Kollmann veröffentlichen mit und neben Burroughs, Bukowski, Neal Cassady sowie den üblichen Verdächtigen in der legendären Literaturzeitschrift Gasolin 23 (auch in dem als Cassette publizierten POT „9-3“ und als Herausgeber von The Rappottenstein Oracle 1973). Dann verlaufen sich die Wege, verebbt der Neuanfang der 68er. „Es war einfach eine Zeit, zu der wirklich eine Aufbruchsstimmung vorherrschte. Die 68er- oder Post-68-Zeit wird viel romantisiert, und darum geht es mir nicht. Aber … gerade mit literarischem Bezug gab es viele kleine Aktivitäten“, erinnerte Kollmann, als ich ihn für die Fauser-Biografie interviewte. Den Gedanken, zwischen Desillusionierung und coolen Zielen, hat er inzwischen weitergesponnen. Vierzig Jahre später, nicht ernüchtert oder verklärt, hat er aufgeschrieben, was ihm alles dazu einfiel. „Ausgeschrieben“: nicht skizziert, sondern weiter und weiter. Keine Cut-up-Montage, formal aber trotzdem eigen.

„Beobachtungen vom Südost-Rand des deutschen Sprachgebiets“, Schreiben ist ja, immer noch, nach wie vor, auch „Widerstand gegen das Neubiedermeiertum der mitteleuropäischen Nachkriegskultur“. Unterteilt sind Kollmanns essayistischen Memoiren, bzw. sein Pamphlet für ergreifende Literatur, engagierte Kunst, wachen Blick, in vier Parts. Vorbemerkung und der erste Part stecken den Rahmen ab, es geht um alles. Im zweiten Part („Vorsatz. Vorsatztäter“) wird das Alles konkreter, konsequent geht es nach politischem, also gesellschaftlichem Engagement weiter mit Alternativen, die unter anderem an Dada und Surrealismus anknüpfen, es geht auch um Terrorismus und Wiener Happenings. Und dann seine Augenzeugenberichte und Einschätzungen von Weggefährten wie Brinkmann, Wondratschek, Fauser; und schließlich, was wohl den Anstoß gab, über dieses seltsame Verebben einer coolen, zeit-nahen Literatur nachzudenken: seine Freundschaft mit Bernd Mattheus, inklusive dessen Bernhard-Interview 1975. Dann Mattheus’ Rückzug und Sterben.

Der Tod und das Schreiben, schon bei Kafka „In der Strafkolonie“ in das Hirn jedes halbwegs brauchbaren Autors hineingeritzt, ist in etwa die Matrix, über die Kollmann alles legt. Es ist ein faszinierender Trip, den ganzen Weg vom Vorwort (das die Landkarte des Buchs ziemlich anders wiedergibt als ich hier) bis zu den Reflexionen über Menschen heute, zu deren über Handys geführten Diskurs. Kollmann, das macht seine Literatur- oder Politik- oder Gesellschaftsbetrachtung so fulminant, geht es um mehr als pure Poesie. Es geht ihm – zum Beispiel in Artikeln über Kommunikation und „Konsumeristen“ für Telepolis, als das Internet noch ganz neu war – um ein anderes Wirtschaftswissen, es geht immer wieder um Aufklärung, es geht darum, abseits von mythenumrankter Verfälschung oder Umschreibung der Geschichte(n) Licht in die Sache zu bringen. Mit „ausgeschrieben“ ist ihm das dermaßen gut gelungen, dass er bei jedem, der Brinkmann, Fauser oder Wondratschek im Regal hat, auf dem Nachttisch landen sollte.

Matthias Penzel

Karl Kollmann: Ausgeschrieben. Auf der Suche nach den verlorenen Möglichkeiten von Literatur, Veränderung und Befreiung. Maro Verlag 2011. 150 Seiten. 18,00 Euro.

Aktuell zum Weiterlesen:
Carl Weissner: Die Abenteuer von Trashman: New Yorker Nachtjournal 1968. Milena Verlag 2011.170 Seiten. 19,90 Euro.
Jürgen Ploog: Unterwegssein ist alles / Tagebuch Berlin – New York. SIC Literaturverlag 2011. 152 Seiten. 19,00 Euro.

Kollmann über die beiden: „Während Ploog sich mehr und mehr mit der fehlgelaufenen Zivilisation des Westens auseinander zu setzen beginnt, bleibt Carl Weissner der Zeit und dem Verständnis des Schreibens von vor vierzig Jahren treu. Notiert mit siebzig seinen ersten Cut-up-Roman auf Deutsch so, als wäre zwischen 1970 und 2010 nicht viel Neues passiert.“

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