Geschrieben am 19. November 2014 von für Bücher, Litmag

Karen Duve: Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen

duve_warum_die_sache_schiefgeht_klein_1Wütende Streitschrift mit ernüchterndem Fazit

– Tina Manske über Karen Duves gut recherchierten Essay, der provozieren, unterhalten und aufrütteln möchte.

Jeder, der die Nachrichten sieht und die Zeitung liest, weiß es: Die Menschheit steht am Abgrund. Kein Tag vergeht, ohne dass eine verheerende Naturkatastrophe oder neue Klimarekorde gemeldet werden. Auf Klimagipfeln treffen sich die Mächtigen der Welt, diskutieren eine Weile über Maßnahmen zur Bewältigung der sich rasch verändernden Verhältnisse, und trennen sich dann wieder, ohne verpflichtende Maßnahmen zu beschließen, während in der Arktis ein Eisbär auf seiner letzten Scholle treibt. Wirtschaftskrisen, ausgelöst von windigen Hedgefondsmanagern, stürzen von heute auf morgen ganze Länder in die Staatspleite und Privatleute in den Ruin. Wissenschaftler führen Versuche durch, die – falls sie mit ihren Annahmen falsch liegen – die ganze Erde auslöschen könnten (s. Teilchenbeschleuniger im CERN).

In der Intensivlandwirtschaft ist der Einsatz von Antibiotika zum Normalfall geworden, was zu Resistenzen und zur Vermehrung multiresistenter Keime führt, gegen die kein Antibiotikum der Welt etwas ausrichten kann. Wir wissen das alles, wir sehen es täglich in den Medien, und dennoch passiert: nichts. Stattdessen liegt die Entscheidungsmacht in dubiosen Händen. Die Aussage ist erschreckend, aber die Beweislage unmissverständlich: etwa 8 % der US-amerikanischen Manager, so haben es Wissenschaftler herausgefunden, haben eine Gehirnstruktur wie Psychopathen. Umgelegt auf die gesamte Gesellschaft der westlichen Welt heißt das nichts anderes, als das Psychopathen und gefährliche Egoisten uns regieren und alles zugrunde richten.

So die These der Schriftstellerin Karen Duve, für die sie in ihrem neuen Buch „Warum die Sache schiefgeht“ jede Menge Anhaltspunkte findet. Wie ihr letztes Werk „Anständig essen“, das sich mit unserer Ernährung und ihren Folgen beschäftigte, ist auch ihre neueste Veröffentlichung eine sauber recherchierte Streitschrift mit hohem moralischem Anspruch. Es ist ja schon für den aufmerksamen Beobachter der Zeitläufte mehr als offensichtlich, dass unser Karrieresystem nicht etwa diejenigen auf die mächtigen Posten spült, die das meiste Fachwissen oder gar soziale Kompetenzen vorweisen können, sondern die, die sich besonders skrupellos durchboxen können und keinen Wert auf Freizeit legen. Duve rennt also viele offene Türen ein, tut dies aber sehr unterhaltsam und theoriegesättigt: das Literaturverzeichnis füllt sieben Seiten.

Es ist bezeichnend für die Stimmung der heutigen Zeit, dass in den Diskussionen um das Buch meist nur die Mann-Frau-Dichotomie in den Vordergrund gestellt wird. Ja, die Autorin ist – wie jeder vernünftige Mensch – eine Feministin, aber das ist hier nicht ihr Hauptthema. (Im Übrigen: Hoffentlich schreibt sie bald einmal tatsächlich ein Buch zu Genderthemen, damit sich die Brut in den Internetforen so richtig aufregen kann.) Duve ist zuvorderst wütend, auf viele und vieles gleichzeitig, und sie möchte den Leser aufrütteln und anstacheln.

Ihr Fazit ist ernüchternd: Nur eine Revolution könnte uns retten. Die müsste allerdings sofort passieren, und es müssten dabei die an die Macht gebracht werden, die das qua ihrer Persönlichkeitsstruktur gar nicht wollen – die Bedenkenträger, die Zögerlichen, die, die nicht sofort „machen“, sondern erst mal denken. Diejenigen, denen soziale Kontakte und empathische Begegnungen noch etwas bedeuten. Homo sapiens ist ergo nicht mehr zu retten. Allerdings wäre Duve nicht sie selbst, wenn sie das nicht mit ihrem typischen schwarzen Humor nehmen würde, denn wer weiß, vielleicht kommt ja nach dem Weltuntergang und einen Millionen Jahren Pause etwas sehr viel besseres: „Diesmal eine Schöpfung ohne Intelligenz. Oder Intelligenz gepaart mit Sanftmut. Großäugige intelligente Weidetiere.“

Tina Manske

Karen Duve: Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen. Galiani, Berlin 2014. Gebunden, 192 Seiten. 12,00 Euro. Auch als Hörbuch

Tags :