Wer isst, schafft Leiden
– Nachdem die Sau „fleischlose Kost“ bereits Anfang des Jahres durchs ökologische Dorf und durch alle TV-Kanäle getrieben wurde, kann man ja jetzt in aller Ruhe und ohne falsche Aufgeregtheit nachlesen, was es mit den Büchern von Duve und Foer so auf sich hat. Wobei es für das, was „Anständig essen“ mit mir macht, im Englischen den schönen Begriff preaching to the choir gibt. Aber auch überzeugte Fleischesser werden dieses Buch mit Sicherheit mit Genuss (!) lesen, denn sie müssen keine Angst haben, eins mit der Moralkeule (!) übergebraten (!!) zu bekommen. Von Tina Manske
Man sieht: Essen ist auch als Metapher allgegenwärtig. Und Ernährung ist ein weites Feld, auf dem der Verbraucher tatsächlich etwas bewirken kann – er entscheidet, wie er konsumiert und was. „Anständig essen“ ist das sehr unterhaltsame und mit Duves bekannt trockenem Humor gespickte Protokoll eines Selbstversuchs. Jeweils zwei Monate lang ernährte sich die Schriftstellerin erst nur mit Bio-Kost, dann vegetarisch, vegan (sogar vier Monate) und zuletzt fruktarisch (dabei werden nur Pflanzenteile verspeist, die man gewinnt, ohne die Pflanze dabei zu verletzen oder gar zu töten). Man kann nicht behaupten, dass Duve von jeher ein Gesundheitsapostel war – Fertiggerichte, Cola und Süßigkeiten gehörten bis dato zu ihrem festen Speiseplan, und es ist anzunehmen, dass sie dies auch weiterhin tun werden. Darüber hinaus jedoch findet bei ihr im Jahr 2010 eine langsame Bewusstwerdung statt.
Ethisch und moralisch vertretbares Essen…
Schnell wird deutlich: es ist ganz schön schwer, moralisch und ethisch einwandfrei zu leben. Wer sich nicht gerade durch Prana, also durch Lichtnahrung ernährt, der schafft Leiden. Das ist nun einmal der Nebeneffekt von Metabolismus. Man kann lediglich versuchen, dieses Leiden so gering wie möglich zu halten. Bei den Recherchen für das Buch wird Duve klar, dass sie nicht so weitermachen kann wie bisher. Keine Tiere mehr zu essen ist da nur der erste Schritt. Was ist mit dem Leid der Milchkühe, deren Kälber von ihren Müttern getrennt werden und die eng an eng in Ställen stehen, damit wir an Milch und Käse kommen? Oder mit den Gänsen, die wiederholt bei lebendigem Leib gerupft werden, damit sie Daunen für unsere Kissen liefern? Wie viel Leid sind wir bereit zu verursachen für die durchschnittlichen zehn Minuten Genuss, die das Mahl dann bietet?
Karen Duve stellt sich all diesen Fragen und schreckt auch nicht davor zurück, ihre eigene moralische Unvollkommenheit zu thematisieren. Äußerst empfehlenswert sind auch die Passagen des Buches, die sich mit der scheinbaren Überlegenheit des Menschen über Tier- und Pflanzenwelt beschäftigen: „Sie [die Evolution] ist keine lange gerade Straße, auf der ein Fisch entlangrobbt, der sich langsam in eine Amphibie verwandelt, die allmählich Fell und Pfoten entwickelt und sich immer mehr aufrichtet, bis am Ende ein übergewichtiger Teenager mit einem Doppelwhopper in der Hand und dem neuesten iPod am Ohr den Zieleinlauf erreicht.“
… fängt erst beim Veganismus an
Am Ende stehen für Duve einige Vorsätze für das weitere Leben: Soweit möglich in Bio-Läden einkaufen, kein Fleisch aus Massentierhaltung, nur 10 % des bisherigen Verbrauchs an Fisch, Fleisch und Milchprodukten, keine Lederprodukte mehr anschaffen und insgesamt weniger konsumieren. Das mag für manchen Leser ein enttäuschendes Einknicken bedeuten, gemessen daran, was Karen Duve bei den Recherchen alles erfahren hat, aber die Autorin ist immerhin ehrlich genug, zu gestehen, dass sie nicht zur strengen Veganerin taugt, auch wenn ihrer Ansicht nach ethisch und moralisch vertretbares Essen erst beim Veganismus anfängt. Und genau diese Ehrlichkeit könnte dazu führen, dass sich – ähnlich wie bei Jonathan Safran Foer – mehr Menschen auf eine bewusstere Ernährung umstellen und damit schon viel bewirken. Eine einfache Lebensmaxime bekommt man gleich mitgeliefert: „Vielleicht kommt es viel weniger darauf an, was ich tue, als auf das, was ich lasse.“
Tina Manske
Karen Duve: Anständig essen. Ein Selbstversuch. Galiani: Berlin, 2011. Gebunden, 335 Seiten. 19,95 Euro. Einen CULTurMAG-Bericht über eine gemeinsame Lesung von Karen Duve und Jonathan Safran Foer finden Sie hier.