Geschrieben am 3. September 2014 von für Bücher, Litmag

Juri Andruchowytsch (Hrsg.): Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht

EuromaidanAugenzeugen der Revolution

– Atem zu schöpfen in einer Zeit, da Tag für Tag die Ereignisse schneller sich überschlagen – so ließe der Versuch des Suhrkamp-Verlags sich umschreiben, einmal von innen heraus den aktuellen politischen Umbruch in der Ukraine einem deutschen Lesepublikum nahe zu bringen. Von Michael Zeller

„Euromaidan“ heißt der kürzlich erschienene Sammelband, ein handliches Taschenbuch darüber, „Was in der Ukraine auf dem Spiel steht“. Vierzehn Autoren fassen darin in Originalbeiträgen zusammen, wie sie persönlich die „klassische Volksrevolution“ als Augenzeugen erlebt haben, die im Februar dieses Jahres vom Maidan aus, dem Hauptplatz Kiews, das ganze Land erfasst hat, und bald darauf die gesamte Welt: Russland, Amerika und, zuerst und zuletzt: Europa. Die Autoren stammen natürlich mehrheitlich aus der Ukraine. Neben ein paar interessanten, noch unbekannten Jüngeren sind es die Schriftsteller, die seit Jahren das Bild der ukrainischen Literatur auf dem deutschen Buchmarkt prägen: wie Juri Andruchowytsch, Katja Petrowskaja oder Serhij Zhadan, der in Charkiw lebt und aus jener Ostregion stammt, in der von früh an Separatisten auftauchten.

Sie alle haben die Ereignisse hautnah vor Ort miterlebt und mit erlitten und spüren ihnen in Worten nach. „Wir waren wie Schlafwandler, die Angst hatten einzuschlafen und dann wieder aufzuwachen – selbst wenn man nur ein paar Stunden döste, konnte so viel passieren und sich alles verändern.“ Über Nacht hatte der verhasste Machthaber Janukowytsch sich aus dem Präsidentenamt gestohlen und nach Russland abgesetzt, nachdem seine Scharfschützen an die hundert Demonstranten auf dem Kiewer Maidan erschossen hatten, dem Zentrum und Symbol der Erhebung.

Während die Autoren ihre Erlebnisse mitschrieben, annektierte Russland die Krim. An den Grenzen im Norden und Osten des Landes zogen russische Truppen auf, um die Ukraine zu destabilisieren. Europa und die USA rangen (und ringen bis heute) um angemessene Gegenmaßnahmen. Juri Andruchowytsch erzählt, wie er in diesen turbulenten Tagen mit einer Theatertruppe durch die gesamte Ukraine tourt. Serhij Zhadan berichtet von den Prügeleien mit Gegendemonstranten mitten in Charkiw, die ihn für Tage ins Krankenhaus bringen und wie groß die Gefahr war, dort von den Gegnern herausgeholt zu werden. Katja Petrowskaja, mittlerweile in Berlin lebend, eilt sofort nach Kiew und erkennt dort ihre Freunde kaum wieder, schwankend zwischen Euphorie und Mutlosigkeit. „Ich fühlte mich wie ein Kind, wie ein Tourist, wie ein Fremder hier.“

Diese persönlichen Erfahrungen vermitteln einem deutschen Leser, der in der Regel nur auf die oft schwer nachvollziehbaren Fernsehbilder angewiesen ist, das lebendige Gefühl dafür, was auf den Maidanen fast aller ukrainischen Städte losgewesen ist, jenseits der politischen Kommentare und Analysen: das Friedliche einer Protestbewegung, von den Graswurzeln aus, ihre Vielfalt und ihr jugendlicher Einfallsreichtum, vierundzwanzig Stunden am Tag.

Unterfüttert werden diese persönlichen Sichtweisen der ukrainischen Schriftsteller von ein paar ausländischen Politologen und Historikern, die sich in Osteuropa bestens auskennen. Sie leuchten die geschichtlichen Hintergründe der aktuellen ukrainischen Krise aus und runden so das kleine Buch zu einer gewinnbringenden Lektüre ab.

Michael Zeller

Juri Andruchowytsch (Hrsg.): Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. (edition suhrkamp). 207 Seiten. 14,00 Euro.

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