Geschrieben am 5. Dezember 2017 von für Bücher, Litmag

Julie Zeh: Leere Herzen

julie_zeh_leere_herzenAgonie der Demokratie

Mit „Unterleuten“ hat Julie Zeh im vergangenen Jahr ein großes gesellschaftliches Kaleidoskop der deutschen Nachwende-Gesellschaft vorgelegt und dabei auf gelungene Weise die Befindlichkeiten einer Epoche eingefangen. In „Leere Herzen“ projiziert die immer wieder auch politisch aktive Schriftstellerin unsere Gesellschaft nun in eine vielleicht gar nicht so ferne Zukunft hinein, in der die Werte verfallen und unsere Demokratie auf dem Spiel steht.

Im Zentrum des Romans stehen Britta Söldner – ein sprechender Nachname – und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi. Ihre Firma „Die Brücke“ therapiert offiziell potenzielle Selbstmörder, die der Superrechner „Lassie“ mit komplizierten Algorithmen aus dem Netz fischt. Die hoffnungslosen Fälle vermittelt die Firma im Hintergrund an terroristische Vereinigungen aller Art für medienwirksame und dosiert geregelte Selbstmordanschlägen. Der Terror als Dienstleitung.

Privat lebt Britta Söldner mit ihrem Mann, einem Start up-Unternehmer und ihrer Tochter in einem gesichtslosen und blitzsauberen Reihenhaus in Braunschweig, denn die Großstadt ist out, die Provinz „kein Heilmittel für den abgerockten Metropolenwahn“ und dem 21. Jahrhundert entsprechen jetzt aufgeräumte Mittelstädte.

Brittas Familie und ihre Freunde, die sich zum frühen Essen und Prosecco trinken treffen, leben in einer Zeit der „Leeren Herzen“, in der keine Werte, Träume oder Utopien mehr Orientierung geben: „Die Wahrheit ist, dass seit vielen Jahren niemand mehr weiß, was er denken soll.“ Politik erscheint ihnen wie das Wetter: „Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht.“ Und so in diesem Deutschland der nahen Zukunft auch die „Besorgten Bürger“ an der Macht, die Stück für Stück demokratische Errungenschaften abbauen.

Doch das ist nicht das Problem von Britta und Babak – ihr Problem ist vielmehr, dass sie plötzlich Konkurrenz zu ihrem solitären Geschäftsmodell bekommen und verfolgt werden. Zusammen mit der toughen und schönen Julietta, die auf ihren Einsatz als Selbstmordattentäterin brennt, fliehen sie auf das Land und decken ein Komplott auf.

Juli Zeh entwirft in ihrem Roman eine nahe liegenden und manchmal dennoch etwas plakative Gesellschaftsdystopie, in der politisches oder soziales Engagement durch soziale Medien und den sonstigen Rückzug in das Private ersetzt worden ist. In der zweiten Hälfte des Buches steht dann ein handlungsgetriebener Politthriller im Vordergrund, an dessen Ende sich die Frage stellt, ob die Demokratie mit undemokratischen Mitteln geschützt werden darf.

Julie Zeh erweist sich in „Leere Herzen“ einmal mehr als eine souveräne Erzählerin, die auch kleinere konzeptionelle Schwächen und Leerläufe in ihrem Roman souverän überbrückt und ihre Heldin am Schluss ein Stück weit zu sich selber zurückfinden lässt – mit überraschenden Konsequenzen.

Julie Zeh: Leere Herzen. München: Luchterhand 2017, 352 S., 20 Euro. Verlagsinformationen zum Buch