Geschrieben am 20. September 2007 von für Bücher, Litmag

Jörg Magenau: Die taz. Eine Zeitung als Lebensform

Die Phantome der Blattmacher

Jörg Magenau präsentiert die Geschichte des Zeitungsprojekts taz nicht wie seine Vorgänger Oliver Tolmein und Detlef zum Winkel in ihrer Schmähschrift tazsachen: Krallen zeigen – Pfötchen geben (1989) als Chronologie eines Verrats linker Ideale und Überzeugungen, sondern als Triumph einer „alternativen Bürgerlichkeit“. Von Jörg Auberg

Vor mehr als einem Vierteljahrhundert karikierte Gerhard Seyfried arrivierte Mitglieder der westdeutschen linksalternativen Szene unter dem Etikett „linke Oberschicht“ als herrisch mit den Fingern schnippende, den Kellner ungeduldig herbei zitierende eitle, modebewusste „Bobos“ (bohemian bourgeois). Nun hat der Literaturkritiker Jörg Magenau das Buch zum Cartoon vorgelegt: Unter dem schichten Titel Die taz: Eine Zeitung als Lebensform präsentiert er die Geschichte des Zeitungsprojekts taz nicht wie seine Vorgänger Oliver Tolmein und Detlef zum Winkel in ihrer Schmähschrift tazsachen: Krallen zeigen – Pfötchen geben (1989) als Chronologie eines Verrats linker Ideale und Überzeugungen, sondern als Triumph einer „alternativen Bürgerlichkeit“.

In vierzehn Kapiteln zeichnet er die Entwicklung des „Projekts“ taz von den Anfängen im Jahre 1978 nach dem „Deutschen Herbst“ und dem „Tunix“-Kongress über die interfraktionellen Konflikte einer disparaten und häufig desperaten Linken, die permanenten ökonomischen Krisen und die Zuflucht in die relative Sicherheit eines sozialdemokratischen Genossenschaftsmodells zur postmodern gestylten historisierenden Selbstreferentialität eines Medienunternehmens nach, welches das eigene Überleben als größte Leistung in einer Endlosschleife feiert.

Die Stärken der solide recherchierten und gut lesbaren Biographie sind zweifelsohne die Innenansichten des Unternehmens, in denen die Entwicklungen, Konflikte, Brüche und Kontinuitäten klar zum Ausdruck kommen.

Magenau sieht die „historische Mission“ der taz in der „Befriedung der Verhältnisse“ und der „Reintegration des RAF-Solidaritätsspektrums in die Gesellschaft“, wobei im Dunkeln bleibt, wer in wessen Namen einem Medienunternehmen einen historischen Auftrag zu erteilen autorisiert ist. Das Projekt tageszeitung erscheint als historischer Agent eines modernisierten Bürgertums, das sich vom ideologischen Ballast der traditionellen Linken emanzipierte und als Avantgarde eines „neuen, moralisch-orientierten Bürgertums“ agierte und operierte. Nach der Ansicht Magenaus war die taz somit von Beginn an – ungeachtet des linksradikalen Jargons – ein bürgerliches Projekt, das als alternatives Start-Up-Unternehmen die „relative Autonomie“ innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft auslotete und mit staatlicher Alimentierung (unter Ausnutzung der spezifischen Situation Westberlins nach dem zweiten Weltkrieg und der „Staatsknete“) die Grundlagen für ein erfolgreiches Behaupten in der bundesrepublikanischen Medienszene schuf. Die Einbettung der Zeitung in den Kontext der „neuen sozialen Bewegungen“ und der Gegenöffentlichkeit der späten 1970er und frühen 1980er Jahre sieht Magenau als Kinderkrankheit des Unternehmens und beschreibt die Entwicklung der „Blattmacher“ als einen Austausch der Generationen: Verwandelten sich anfangs Polit-Aktivisten der „Szene“ in Journalisten, so etablierten sich im Apparat der 1990er Jahre „professionelle“, zumeist vom Ruch des politischen Aktivismus emanzipierte Journalisten, welche die Leserschaft der taz vornehmlich als „Elite-Bürger“ und Kunden mit großem Abschöpfungspotenzial für die Werbeindustrie begreifen.

Trotz aller Verachtung für das seiner Auffassung nach antiquierte Konzept der Gegenöffentlichkeit folgt Magenau dem gängigen Urteil, die alternativen Medien (zu denen die taz mittlerweile – wie das aktuelle Verzeichnis der Alternativmedien 2006/2007 belegt – nicht mehr gerechnet wird) hätten sich zu Tode gesiegt, da die einstige Avantgarde die Mainstream-Medien erfolgreich infiltriert hätte – sowohl was die Themen als auch das Aufbrechen traditioneller journalistischer Praktiken betreffe. Tatsächlich aber ist das Konzept einer „alternativen“ Öffentlichkeit bislang gescheitert, wenn man vom Anspruch ausgeht, über die Praxis den Produktionsapparat selbst zu verändern. Der Erfolg misst sich in der herrschenden Perspektive am Grad der geschäftsmäßigen Anpassung an die Erfordernisse der Branche. Die Professionalisierung des journalistischen Alltagsgeschäfts und die Etablierung hierarchischer Entscheidungsstrukturen erscheinen Magenau als unausweichlich und notwendig, um den Apparat innerhalb der Medienindustrie dauerhaft zu verankern, ohne dass ihm Zweifel bezüglich der „déformation professionelle“ kämen oder dass er das Gewerbe des Journalismus kritisch durchleuchtete, das Balzac zufolge bekanntlich ein „Abgrund der Ungerechtigkeit, der Lügen und des Verrats“ ist.

Magenaus Argumentation, die taz sei von Beginn an ein bürgerliches Projekt gewesen, ist nicht schlüssig, denn realiter war die taz trotz der antiautoritären Drapierung ein neoleninistisches Unternehmen, das in der Tradition der Iskra die divergierenden, in der Republik verstreuten linken Rackets vereinigen und organisieren sollte. In der Folgezeit ordnete das Unternehmen seine ganze Aktivität dem Gesetz der Selbsterhaltung unter, wobei die Innovation der Doppelcharakter des „Projekts“ war: Einerseits diente es integrationswilligen Sozialfällen der alternativen „Szene“ als Versorgungsanstalt; andererseits konnte es die deutsche Medienindustrie als spielerisches Assessment-Center für neue Talente nutzen.

Das Racket selbst nimmt sich im kommerziellen Wettstreit als Vorhut des kommerziellen Wettbewerbs wahr, um die angewandte Brutalität des Stärkeren zu kaschieren. Auch Magenau, als ehemaliger taz-Redakteur mit den Insignien des Rackets ausgezeichnet, etikettiert die Blattmacher als Avantgarde der „neuen Bürgerlichkeit“ im Prozess der Modernisierung, wobei er vor allem die „libertären“ Mitglieder des Abschnitts Mitte (vulgo Frankfurt/Main) zu Vorkämpfern eines postmodernen Feuilletons stilisiert, das die Provokation um der Provokation willen als Mittel des Vorankommens im Betrieb kultivierte. Das Manko des Buches ist, dass es zwar interessante Details und Anekdoten zu einer lesenswerten Geschichte verbindet, doch letztlich scheitert Magenau trotz seiner ironischen Distanz zu seinem Protagonisten daran, seine Geschichte in einen breiteren politischen Kontext jenseits der nationalen Borniertheiten zu situieren. Die Pflege des Racket-Mythos verspricht größere Aufmerksamkeit als eine kritische Geschichtsschreibung. Wie in einem grobschlächtigen Western kehren Antipoden einer sich als „antiautoritär“ und „undogmatisch“ etikettierenden Repräsentation der Linken (seien sie nun „Traditionalisten“ oder „Autonome“) als gesichts- und charakterlose Inkarnationen eines Liberty Valance in die Geschichte zurück. Die Hintergründe und Widersprüche der bundesrepublikanischen Linken und der sozialen Bewegungen bleiben ebenso oberflächlich wie Magenaus Einlassungen zur Zukunft des Mediums Tageszeitung, das in seinen Augen in der Konkurrenz zu den elektronischen Medien vor allem der Reflexion und Orientierung dienen werde. Magenau wirft einen vollkommen unkritischen Tunnelblick auf das professionelle Journalistengewerbe und nimmt negative Entwicklungen der jüngeren Zeit kaum wahr. So wies der amerikanische Journalist Neil Henry jüngst darauf hin, dass der Journalismus unter dem Druck der neuen Medien das alte Handwerk des seriösen Recherchierens zu Gunsten eines bizarren Spektakels auf dem elektronischen Jahrmarkt preisgibt. Gerade die Boulevardisierung, welche die taz zunehmend betreibt, arbeitet dieser Entwicklung in die Hand. So endet das pervertierte Projekt der Gegenöffentlichkeit in der Aushöhlung einer kritischen Öffentlichkeit – sei sie bürgerlich oder nicht.

Jörg Auberg

Jörg Magenau: Die taz. Eine Zeitung als Lebensform.
Carl Hanser Verlag, München 2007.
Gebunden, 280 Seiten, 21,50 Euro.
ISBN: 3-446-20942-5