Geschrieben am 19. März 2014 von für Bücher, Litmag

Jonathan Lethem: Der Garten der Dissidenten

Jonathan Lethem_Garten der DissidentenSubversion und Differenz als Maxime

– Jonathan Lethem hat sich mit seinen großen Romanen wie „Die Festung der Einsamkeit“ oder „Chronic City“ als bedeutender literarischer Kartograph und Chronist New York Citys etabliert. Nun erzählt er eine mit Europa und seinen Weltkriegsschlachtfeldern fest verbundene amerikanische Familiengeschichte.  Von Karsten Herrmann.

Ob Brooklyn, Manhattan oder Queens wie jetzt im „Der Garten der Dissidenten“: Lethem zeigt die Metropole als brodelnden Kosmos voller Gegensätze und Vitalität. Seine Helden sind Exzentriker, Avantgardisten, Hippies und Hipster, die sich mit Rauschmitteln aller Art beflügeln. In einer von den Marktgesetzen gleichgeschalteten Welt sind sie der Subversion und der Differenz, dem Geist und der Kultur verpflichtet.

In seinem neuen Roman erzählt Lethem nun über die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hinweg eine Familiensaga mit durchaus autobiographischen Anklängen. In ihrem Zentrum steht die in Brooklyn groß gewordene Jüdin Rose Zimmer, eine glühende Kommunistin. 1955 wird sie jedoch in einem „Wohnzimmerprozess“ aus der Partei ausgeschlossen, weil sie ein Verhältnis mit einem schwarzen Polizisten hat: „Keine Dialektik. Nur Diktatur“ urteilt sie schon ein Jahr vor dem Bekanntwerden von Stalins Säuberungsexzessen. Ihr Mann Albert, Sohn reicher Juden, die einst in Lübeck neben den Buddenbrooks residierten, war schon Jahre zuvor von der Partei dazu verurteilt worden als „ostdeutscher Bürger und Spion“ fern von Frau und Kind zu leben.

Rose Zimmer ist eine furchtlose, machtbewusste Frau mit unbedingtem Anspruch. Sie kämpft für das Gute und Gerechte in der Welt und vor allem in ihrem Heimatviertel Sunnyside Gardens und hinterlässt dabei immer wieder (seelische) Verheerungen. In einem typischen „Rose-Anfall“ steckt sie eines Tages ihre mit einem jungen Mann im Bett erwischte Tochter Miriam in den Backofen, um sie zu vergasen – eine Szene, in der Lethem die Urkatastrophe des 20. Jahrhundert in paradoxer Überspitzung spiegelt.

Weitreichender Familienkosmos

Früh wendet sich Miriam von Rose ab, schmeißt das Queens College und geht beim „Campus Manhattan“ als „Repräsentantin der Liga exilierter Könige und Königinnen“ in die Lehre. Zusammen mit dem Folk-Sänger Tommie schließt sie sich der Hippie- und New Age Bewegung an, lebt in einer Kommune und protestiert für eine bessere Welt, um schließlich in Nicaragua die Sandinisten zu unterstützen. Zurück lässt sie ihren Sohn Sergius, der in einem Quäker-Internat groß wird und sich später mühsam von seiner belastenden Vergangenheit zu befreien versucht: „Die Sechziger bildeten einen Algenteppich, durch den sie alle hindurchpflügten und nach Öffnungen suchten, um auftauchen und frei atmen zu können.“

Komplettiert wird dieser Familienkosmos schließlich durch den übergewichtigen und homosexuellen poststrukturalistischen Kulturtheoretiker Cicero, den Sohn von Roses schwarzem Liebhaber sowie durch ihren Neffen Lenny. Dieser ist unsterblich in Miriam verliebt und doch bilden alleine „Schachfiguren, Baseball und Krügerrands die Konstellation des Unsinns, mit dem er sein einsames Leben dekoriert hat.“

Bitter-fröhlicher Abgesang auf die großen Ideale

In wilden Zeitsprüngen surft Jonathan Lethem durch diese mit Europa und seinen Weltkriegsschlachtfeldern fest verbundene amerikanische Familiengeschichte. Wie gewohnt sprüht er dabei wieder vor wilder, provokanter Fabulierlust, durchkämmt die avancierten politisch-kulturellen Diskurse der Zeit und brennt ein Feuerwerk von wunderbar anarchischen Bildern und Metaphern ab. „Der Garten der Dissidenten“ ist vor dem Hintergrund des pulsierenden Schmelztiegels New Yorks ein bitter-fröhlicher Abgesang auf die großen Ideale und ein Bekenntnis zum „Menschlich, Allzumenschlichen“, zum Inkommensurablen und Widerständigen über alle Rassen, Glaubens- und Politikbekenntnisse hinweg.

Karsten Herrmann

Jonathan Lethem: Der Garten der Dissidenten (Dissident Gardens, 2013). Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Tropen 2014. 480 Seiten. 24,95 Euro, eBook 19,99 Euro.

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