Geschrieben am 29. Juni 2009 von für Bücher, Litmag

John Wray: Retter der Welt

Tunnelblick

Man schwankt während der Lektüre immer wieder zwischen dem Gefühl, etwas wirklich Großes zu lesen und dem Eindruck, dass hier jemand, der es noch besser kann, sein Thema nicht wirklich gefunden hat. Von STEFAN BEUSE

Irgendwie sind sie alle krank: Der sechzehnjährige Schizophrene William Heller, genannt Lowboy, der seine Freundin vor die Subway gestoßen haben soll und jetzt aus der Anstalt geflohen ist. Der schwarze Detective Ali Lateef, der eigentlich Rufus Lamarck White heißt und eine Vorliebe für verschlüsselte Botschaften, Zeichen und Anagramme hat. Und auch Lowboys Mutter Violet, die Lateef dabei hilft, ihren Sohn einen Tag lang durch die Tunnel und Katakomben der New Yorker U-Bahn zu verfolgen.

Lowboy nimmt seine Medikamente nicht mehr, was erstens bedeutet, dass wir als Leser vieles durch den Schleier seiner Paranoia wahrnehmen – und zweitens, dass er im Wahn meint, die Welt würde immer heißer und er müsste sie vor dem Untergang retten, indem er mit irgendeiner Frau (zum ersten Mal) Sex hat.

Das alles klingt zunächst recht verwirrend und fügt sich am Ende auch nicht unbedingt zwingend zu einem Ganzen. Außerdem liegt die große Gefahr, einen psychisch Kranken, von dem der Leser zudem sehr bald weiß, dass er krank ist, zum Helden einer Geschichte zu machen, seit jeher darin, dass zu vieles zu beliebig wird, weil die Krankheit selbst den allerschrägsten Gedanken und die abgefahrenste Aktion rechtfertigt.

Jäger und Gejagte, Kranke und Gesunde

Der 1971 in Washington geborene und von Kritikern in den höchsten Tönen gelobte John Wray erzählt seinen dritten Roman abwechselnd aus der Sicht des Jägers und des Gejagten, und wie es sich gehört, verwischen bald die Grenzen, auch zwischen krank und gesund, im Tunnel und überm Tunnel.

Überhaupt ist das Röhrensystem so etwas wie die Generalmetapher, die heimliche Hauptfigur dieses Romans. Es sind die Gedärme der Großstadt, ein lebendiges System, das kreischt, rattert, knallt und blitzt, über das intelligent philosophiert wird, in dem über Leben und Tod, Gedeih und Verderb dieser Welt entschieden wird, und John Wray gelingen immer wieder beklemmend intensive Szenen, sensibel aufgeschlüsselte Psychogramme, und dass man trotz gewisser Längen und dem etwas halbgaren Plot bei der Stange bleibt, liegt nicht zuletzt daran, dass John Wray ein ausgezeichneter Autor ist.

Trotzdem schwankt man während der Lektüre immer wieder zwischen dem Gefühl, etwas wirklich Großes zu lesen und dem Eindruck, dass hier jemand, der es noch besser kann, sein Thema nicht wirklich gefunden hat. So verliert sich der Leser immer wieder im Tunnelsystem einer irgendwie überkreuz erzählten Liebes-, Kriminal- und Krankengeschichte.

Stefan Beuse

John Wray: Retter der Welt (Lowboy, 2008).
Aus dem Englischen von Peter Knecht.
Reinbek: Rowohlt 2009. 348 Seiten. 19,90 Euro.