Geschrieben am 20. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

John Updike: Gegen Ende der Zeit

Enorme Libido

Zwischen schmählichem Scheitern und prächtigem Gelingen.

Gleich zwei neue Bücher stehen zur Zeit von John Updike, dem meisterlichen Chronisten des amerikanischen Mittelstandes und seiner „Vorortpolygamie“, zur Auswahl: Ein „Roman“ und „Fast ein Roman“ und damit, um es gleich vorwegzunehmen, auch ein schmähliches Scheitern und ein prächtiges Gelingen.
In dem Roman „Gegen Ende der Zeit“ wird der Leser sogleich in den altbekannten Updike-Kosmos geworfen: Der alternde und tagebuchschreibende Protagonist Bill Turnbull hat sich aus der Finanzwelt Bostons zurückgezogen und wird nun schleichend „vom Grauen gepackt: meine berufliche Nützlichkeit vorbei, meine Frau eher Zuchtmeisterin denn Trösterin, mein Körper ein Sumpf“ – ein Sumpf allerdings, aus dem noch über 300 Seiten lang eine enorme und sich vulgär auslebende Libido sprießen soll, um dann erst mit einer Prostata-Operation zum kläglichen Versiegen zu kommen: „Manchmal träume ich, ich hätte eine Erektion… aber wenn ich aufwache, ist mein armer Schwanz rot und schlapp wie ein Hahnenkamm. Wie hat ein so überflüssiges Anhängsel jemals der Nabel meiner Welt sein können?“

Ein kleines Detail ist jedoch anders in diesem neuen Updike: Wir befinden uns im Jahr 2020 und es hat sich, wie wir ganz beiläufig erfahren, ein amerikanisch-chinesischer Atomkonflikt und damit eine globale Bevölkerungsdezimierung und der Zusammenbruch von Recht und Ordnung zugetragen. Doch diese apokalyptische Konstellation bleibt nur eine periphere in den metaphernschwangeren Betrachtungen des Protagonisten zu Flora und Fauna seines heimischen Gartens sowie seinen ins Unendliche ausschweifenden mikro- und makrokosmischen Exkurse. Spätestens mit den weithin unmotivierten Verwandlungen des Tagebuchschreibers – vom Grabräuber im alten Ägypten bis zum Nazischergen – zerfällt dieser elegisch-sarkastisch grundierte Roman in seine inkonsistenten Einzelteile. Es bleiben nur einige schön schillernde Bruchstücke, so wenn Bill einen Golfball mit einer im Kühlschrank vergessenen Orange vergleicht, die zu einer „gräulich grünlichen Kugel zusammenschrumpft“ und „trübe Wölkchen auspufft wie ein Pollensack.“

Karsten Herrmann

John Updike: Gegen Ende der Zeit. Rowohlt, 400 S., 48 DM