Geschrieben am 26. September 2009 von für Bücher, Crimemag

Joaquín Guerrero-Casasola: Schwarze Küsse

Sumpf und Dreck

Schwarze Küsse ist wieder mal so ein Roman, über den bisher nichts Kritisches geschrieben wurde. Er zählt zur mittelprächtigen hard-boiled-Standardware, der man gern einen Nachmittag widmet, um sich von ihr für ein paar Stunden unterhalten zu lassen. Danach kann man das Buch völlig beruhigt ins Regal stellen, obwohl es eigentlich gar nicht beruhigend war. Denn der Autor, der eigentlich viele narrative Kniffe beherrscht, beschreitet bekannte und bewährte Räume, operiert mit beliebten Effekten und zeigt dadurch, warum es so ungeheuer schwierig ist, etwas wirklich Eigenständiges zu produzieren. Doris Wieser bleibt skeptisch …

Joaquín Guerrero-Casasola, geboren 1962 in Mexiko, arbeitete einige Jahre als Drehbuchautor für Fernsehserien und lebt seit 2005 in Salamanca. Schwarze Küsse ist sein zweiter Roman. Der erste, Ley garrote, wurde noch nicht ins Deutsche übersetzt, gewann aber 2007 in Spanien den Preis L’H Confidencial. Eine Rezension zu Ley garrote kann bei unserer Partner-Seite Europolar nachgelesen werden.

Gil Baleares, ein ehemaliger Polizist, der sich aus dem Polizeisumpf zu verabschieden versucht, ist der Protagonist beider Romane. Schauplatz ist Mexiko-City. In Schwarze Küsse gilt Gils Vater, „Opfer der mexikanischen Entführungsindustrie“, bereits seit eineinhalb Jahren als vermisst. Die Entführer haben nach den ersten Erpressungsversuchen nichts mehr von sich hören lassen. Nun soll Gil wieder bei der Kriminalpolizei einsteigen, genauer gesagt bei der „Abteilung Spezialaufgaben“. Im Gegenzug verspricht ihm der Polizeichef, sich für die Befreiung seines Vaters einzusetzen. Dass der Protagonist erstens daran glaubt, dass sein Vater noch lebt, und zweitens, dass die Kriminalpolizei ihm wirklich helfen wird, wirkt naiv. Er steigt darauf ein, obwohl sein alter Herr zum Zeitpunkt der Entführung bereits kurz vor dem Abnibbeln und stark veralzheimert war und er außerdem kaum eine gefühlsmäßige Bindung zu ihm hat. Der Kodex des Familienzusammenhalts macht’s möglich.

Gils Auftrag besteht nun darin, den transsexuellen Stricher Roberto Oviedo zu finden. Dieser hinterlässt Leichen, wo immer er auftaucht. Seine Freier werden von hinten aufgeschlitzt und mit schwarzen Lippenstiftküssen markiert. Lösen soll Gil den Fall jedoch nicht, Verbot vom Chef. Sein Mitstreiter Wintilo Izquierdo, ein wirklich fieser, versauter Typ, macht ihm die Arbeit nicht gerade leichter. Während die beiden im Rotlicht-Transvestiten-Transgender-Homo-Stricher-Milieu im Dreck herumstochern, wirft Wintilo mit homophoben Sprüchen um sich und frönt seinen sadistischen Gelüsten, indem er Informanten foltert. Dabei entspinnt sich der eine oder andere recht gewitzte Dialog; an Ideen mangelt es dem Autor diesbezüglich nicht. Am Ende – und soviel darf hier verraten sein, weil es sowieso keine Überraschung ist – steckt die Polizei selbst hinter dem perversen Gemetzel.

Köpfe abhacken …

Nach guter alter hard-boiled-Manier darf auch die Nebenhandlung nicht fehlen, die das Privatleben des Protagonisten und die unüberwindbare Schwierigkeit, seinen riskanten wie bekackten Job mit der Beziehung zu einer Frau zu vereinbaren, zum x-ten Mal beleuchtet. Dass das Objekt der Begierde hier Kolumbianerin ist und einige Traumata mit sich herumschleppt, fließt zwar in die Problematik mit ein, hätte jedoch deutlicher herausgearbeitet werden können. Gibt es einen (politischen, ideologischen, sozialen, methodischen) Unterschied zwischen kolumbianischen und mexikanischen Gewaltverbrechen? Guerrero-Casasola setzt hier weniger auf Reflexion als auf Schockeffekte. So berichtet Teresa Sábato, wie ihrer Mutter die abgehackten Köpfe ihrer Söhne (Teresas Brüder) in einem Kokosnusssack vor die Tür gelegt wurden. Auch die Lebensbedingungen der Transen und Trannys werden nur peripher beleuchtet, ebenso die Problematik der Homophobie und die inkonsequente, erst recht perverse Kehrseite derjenigen Homo- und Tuntenhasser, die sich dieselbigen mit dem größten Vergnügen vornehmen.

Alles in allem ist Schwarze Küsse ein Roman über die Macht der Polizeimarke als Freibrief für die Ausübung jeglicher Art von Grausamkeit, Brutalität und Erniedrigung. Um den Leser aber wirklich zu beunruhigen, bedarf es mehr als solcher Schauergeschichten, nämlich jener, wie auch immer gearteten Differenzqualität, die das Werk vom Kunsthandwerk löst und in Kunst verwandelt.

Vermutlich sind die beiden bisher erschienenen Romane der Beginn einer neuen knallharten Serie über Mexiko-Stadt, in der unweigerlich Paco Ignacio Taibos II Werke widerhallen und von der Guerrero-Casasola nichts Neues zu berichten weiß, sondern nur immer wieder, dass Brutalität in diesem Moloch keine Grenzen hat – jedenfalls dann nicht, wenn man es derart dämonisiert wie hier geschehen. Die Romane gäben eine gute Vorlage für Splatter-Movies ab – mit Freigabe ab 18 versteht sich – in denen sich beispielsweise zwei Männer mit Kopfstößen den Schädel einschlagen, ein Transvestit bis zum Umfallen in den Arsch gefickt wird und dem Helden die Hände so zerstochen werden, dass er das viele schöne Geld nicht mehr richtig einsacken kann … Ob man dies nun gut oder schlecht findet, hängt aber letzten Endes davon ab, was man gerne konsumiert, klar.

Doris Wieser

Joaquín Guerrero-Casasola: Schwarze Küsse (El pecado de Mama Bayou, 2008).
Deutsch von Verena Kilchling.
Zürich: Kein & Aber 2009. 207 Seiten. 16,90 Euro.