Blasser Stillstand
Ein anonymer Serientäter terrorisiert einen Abendkurs im kreativen Schreiben. Das ist anfangs ganz amüsant, im Laufe der Zeit verlieren sich aber Figuren wie Handlung in Unentschlossenheit – zwar wohl bewusst, aber nicht gekonnt. Kirsten Reimers ist enttäuscht.
Schriftstellerin Amy Gallup hat seit 30 Jahren keinen Roman mehr veröffentlicht. Um sich über Wasser zu halten, gibt sie Abendkurse in kreativem Schreiben. Doch in ihrer neuen Klasse befindet sich jemand, der die Sache allzu ernst nimmt: Misslungene Schreibproben der Teilnehmer werden anonym verhöhnt, Kursmitglieder gemein verunglimpft, eine Schülerin fast zu Tode erschreckt; Amy Gallup erhält nachts Telefonanrufe, in denen ihre eigene Stimme erklingt, aufgenommen auf ein Tonband und in einer Endlosschleife wiederholend, was sie nur wenige Stunden zuvor im Unterricht gesagt hat. Sind die Attacken zunächst noch mit einem gewissen Witz ausgestattet, werden sie im Laufe der Zeit immer boshafter und heimtückischer. Schließlich kommt gar das erste Kursmitglied zu Tode.
Zunächst lässt sich Jincy Willetts Buch Die Dramaturgie des Tötens (im Original The Writing Class) recht nett an. Es ist ganz amüsant geschrieben und sehr gut übersetzt. Die Hauptfigur nimmt viel Raum ein und ist ansprechend gezeichnet als mollige, mürrische Eigenbrötlerin mittleren Alters, die scharfzüngig Geschehen und Personen kommentiert. Sie verteilt einige hübsche Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb, die Besucher von Schreibklassen sowie den Sinn- und Unsinn von Selbst- und Fremdfindung in Abendkursen von Erwachsenenbildungsinstitutionen. Außerdem gibt sie sehr nützliche Tipps für das belletristische Schreiben.
Weitestgehend ohne Spannungsbogen
Doch so plastisch die Hauptfigur gelungen ist, so blass bleiben die übrigen Figuren: Während Amy Gallup aus ihren Taten, Worten und Gedanken heraus erwächst, entstehen die Teilnehmer ihres Kurses nur aus Zuschreibungen. Sie wirken papieren und verwechselbar. Auch die Handlung verliert schnell an Fahrt. Das liegt unter anderem an dem eher unentschlossen agierenden Täter. Aber vielleicht versteckt sich dahinter ein bewusster Kunstgriff, denn diese Unentschiedenheit entspricht dem Schreibstil des Missetäters: weitestgehend ohne Spannungsbogen.
Hinzu kommt, dass sich Amy mit ihrer Aussage, das „Wie“ sei uninteressant für sie, auch bei Autorin durchsetzt: Denn wie der Serientäter vorgeht, bleibt überwiegend im Dunklen. Löchriger Spannungsbogen gepaart mit offenen Fragen – keine wirklich guten Voraussetzungen für einen Krimi. Aber vielleicht soll der Roman auch gar kein Krimi sein, schließlich ist er zu gleichen Teilen auch Geschichte einer Selbstfindung und (sehr milde) Satire auf den eitlen Schreibzirkus. Das Geschehen laviert infolgedessen unentschlossen zwischen den verschiedenen Eckpunkten hin und her. Aber womöglich ist auch das sehr bewusst so gestaltet, schließlich ist Herumlavieren exakt die Taktik, die Amy sich erwählt, um den Täter zu entlarven.
So folgt die Autorin in der Tat den Aussagen ihrer Hauptfigur. Von der Idee her vielleicht gar nicht schlecht (möglicher Titel für eine Kurzgeschichte: Was wollte meine Figur mir eigentlich damit sagen?). Allerdings wäre es schöner gewesen, sie hätte sich an die Ratschläge gehalten, die Amy ihrer Schreibklasse erteilt. Dann wäre eventuell auch das Ende nicht so süßlich-versöhnlich ausgefallen.
Kirsten Reimers
Jincy Willett: Die Dramaturgie des Tötens (The Writing Class, 2009). Roman.
Deutsch von Gabriele Weber-Jari?.
Reinbek: Rowohlt 2009. 399 Seiten. 9,95 Euro.