Ein Wunder-Werk
Der literarische Opernbegleiter zur „Zauberflöte“, vorgestellt von Wolfram Schütte.
Eine Kindheit oder Jugend, in der Bekanntschaft mit „Der Zauberflöte“ gemacht worden war, kann nicht ganz unglücklich gewesen sein. Mozarts vorletzte Oper dürfte – trotz des grandiosen, dramatischeren „Don Giovanni“ – doch die „Oper aller Opern“ sein, weil sie die ganze ästhetische, intellektuelle & emotionale Spannweite des Genres umfasst & märchenhaft sowohl für Kinder wie Erwachsene beglückend & genießbar ist.
Der Ägyptologe Jan Assmann, der jetzt einen hübschen Manesse-Band als „Literarischen Opernbegleiter“ der „Zauberflöte“ herausgegeben hat, stellt das einzigartige Singspiel Emanuel Schikaneders mit der Musik seines Salzburger Freundes Wolfgang Amadé Mozart auf die höchste Stufe seiner künstlerischen Wertschätzung.
Es gibt wohl auch in der ganzen Kunst kaum ein Werk, das es mit dem innigen Gleichklang von (hohem) Menschheitspathos & (warmherzigem, „menschlichem“) Humor aufnehmen könnte – allenfalls literarisch, denke ich, kommt ihm der „Don Quichote“ von Miguel de Cervantes nahe. Was im einen Fall den Ritter von der traurigen Gestalt & seinen fetten, bodenständigen Knappen Sancho Pansa umfasst, hört im anderen auf das Kontrastpaar Tamino & Papageno.
Assmann spricht bei seinem Lob des oft geschmähten Librettos von filmischer Schnitttechnik & meint die Kontrast-Montage von Hohem Ton & derb-humoristischer Parodie, um die gelungene Erzählweise der „Zauberflöte“ & ihres Kontrastpaars Tamino-Papageno zu definieren.
Obwohl das zweite deutsche Singspiel Mozarts von Anfang an ein Publikumserfolg war, galt und gilt Schickaneders Libretto jedoch vielen bis heute als wirr. Noch Schopenhauer stellte Mozarts letzte Oper, die gravitätische Opera Seria „Titus“, über das ägyptisch-freimaurerische Märchenspiel. Als skandalös empfand der Misanthrop, dass Pamina mit Tamino durch „Feuers- & Wasserfluten“ ging & beide in den Weisheitszirkel Sarastros aufgenommen wurden: eine Selbstverständlichkeit der beiden Salzburger Frauenverehrer, womit auch das Männerbündische der Freimaurerei transzendiert wurde. Erst in den letzten Jahren ist dem singulären „Freundschaftswerk“ (Assmann) Schickaneders & Mozarts Gerechtigkeit widerfahren.

Jan Assmann, 2007
Eine „vierdimensionale“ Lesart
Der Wechsel Taminos, der von der verwitweten Königin der Nacht ausgeschickt worden war, ihre entführte Tochter Pamina aus der Gewalt des Priesterkönigs Sarastro zu befreien, zu einem leidenschaftlichen Adepten Sarastros, hat jahrzehntelang manche Opernbesucher genauso irritiert – wie im Verlauf der Handlung Pamina die scheinbare Abwendung des schweigenden Tamino von ihr, weil sie nicht weiß, dass sein temporäres Schweigen ein Teil der Probeverpflichtung ist, um in den erlauchten Kreis um Sarastro aufgenommen zu werden.
Man hat die Spekulation, der Librettist habe während seiner Arbeit gewissermaßen „die Pferde gewechselt“ & aus der bemitleidenswerten Mutter die böse Königin der Nacht & aus dem Tochter-Entführer den salbungsvollen Menschenfreund Sarastro gemacht, zum Faktum erklärt. Assmann kann aber in einer eindrucksvollen Interpretation nachweisen, dass das Libretto wie auch die Oper aus einem Guss ist. Mehr noch: Die Zentralhandlung Tamino/Pamina ist eine raffinierte Variation des Orpheus/Eurydice-Mythos – und die Oper, von der Assmann vermutet, dass sie in enger Zusammenarbeit Schikaneders mit Mozart & aus gemeinsamer Kenntnis der Freimaurerei entstanden ist, sei gewissermaßen „vierdimensional“ lesbar!
Die erste Dimension sei die der Märchen- & Zauberoper, deren Vorläufer, Stichwortgeber & Stofflieferanten für das Schikanedersche Libretto der Band enthält – bis hin zu Goethes fragmentarischer Fortschreibung der „Zauberflöte“. Leider aber fehlt Schikaneders Fortsetzung, die flachbrüstig sei, mutmaßt Assmann, weil Mozart nichts mehr damit zu tun hatte.
Die zweite Dimension sieht Assmann im aufklärerischen Ritual eines – wie ich nun behaupten würde: vorwagnerischen – „Bühnenweihfestspiels“. Darin komme, laut Assmann, Mozarts intime Vertrautheit mit den in seiner Wiener Loge betriebenen Studien zu den antiken Mysterien zum Ausdruck. Zu dieser Erkenntnis ist man erst kürzlich gekommen. Der simple narrative Plot der getrennten & wiedervereinten Liebenden, ein Handlungstopos seit Heliodors spätantikem Roman „Aithiopika“, wird in der „Zauberflöte“ durchkreuzt & überwölbt von der Aufklärung und Einführung Taminos in „die Innenwelt der Wahrheit, Tugend und Liebe“.
Die dritte Dimension zeigt sich für Assmann im Orpheus-Mythos selbst & der Engführung von Liebe & Musik in der „Zauberflöte“, während die vierte Dimension im komisch-humoristischen Kontrapunkt der parodistischen Papageno-Handlung zu sehen sei.
Verweise auf mystische und auch aufklärerische Topoi
Der wahrhaft kubistische Reichtum der „Zauberflöte“, den Assmann hier benennt, versteckt wohl auf das Entzückendste die nahezu mathematisch-exakte, spiegelbildliche Handlungsführung des Zaubermärchens im ägyptischen Stil.
Der „engagierte Freimaurer“ Mozart hat nicht nur mit den berühmten drei Akkordschlägen der Ouvertüre die humanistischen Rituale der Freimaurerei in seine Oper akustisch eingeführt & Schikaneder die 3 als Symbol mehrfach im Libretto verwandt; auch die für die Rosenkreuzer wichtige Zahl 18 kehrt als Takt- & Akkordzahl etc. mehrfach im Verlauf der (musikalischen) Handlung wieder.
So steckt die „Zauberflöte“ voller Anspielungen & Verweise auf sowohl mystische als auch aufklärerische Topoi – wenngleich der Charme, Zauber & Humor des musikalischen Singspiels sich einem auch ohne diesen Blick hinter die Bühne erschließt.
Kurzum: Dieses Büchlein ist für Liebhaber der „Zauberflöte“ als Einführung, Archäologie & Nachbetrachtung der ebenso wunderlichen wie wundervollen Oper & ihrer beiden Schöpfer ein willkommenes Vademekum. Wie gut macht es sich auch in diesen Tagen als Weihnachtsgeschenk für Alt & Jung!
Wolfram Schütte
Jan Assmann (Hrsg.): Die Zauberflöte. Ein literarischer Opernbegleiter. Mit dem Libretto Emanuel Schikaneders und verwandten Dichtungen. Zürich: Manesse Verlag 2012. 443 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Foto Jan Assmann: Rama