Geschrieben am 4. Februar 2015 von für Bücher, Litmag

James Joyce: Finn’s Hotel

Joyce_Finns hotelZwischen „Ulysses“ und „Finnegans’s Wake“: Die umstrittenen „Finn‘s Hotel“-Epiclets von James Joyce

– Selten gab es so brisante Kontroversen unter Joyce-Experten wie die immer noch anhaltende Debatte über „ Finn‘s Hotel“: Sind diese aus dem Nachlass stammenden zehn Epiclets (kurze Eposlein), geschrieben zwischen dem 1922 beendeten „Ulysses“ und dem 1939 veröffentlichten „Finnegans Wake“ als Vorstudien zum „Wake“ zu betrachten? Oder sollten daraus Kurzgeschichten im Stil der „Dubliners“ werden? Von Peter Münder

„Es brach regelrecht die Hölle los“, schreibt der engagierte Herausgeber Danis Rose in seinem Vorwort zu „Finns Hotel“, um den Wirbel nach der 1992 verbreiteten Ankündigung einer anvisierten Veröffentlichung zu verdeutlichen: „Die Joyce-Forscher waren auf typische Weise entgeistert – ziemlich auf dieselbe Weise gelähmt wie Maulwürfe, die man im gleißenden Tageslicht erwischt. Die Joyce-Nachlassverwaltung reagierte, obwohl sie mir bereits die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt hatte, verdrossen und der Verlag kopfscheu. Die Reihen schlossen sich, auf mal mehr oder weniger subtile Weise wurde Druck ausgeübt, Anwälte fochten und konspirierten mit expertenhaft kaschierter Unentschiedenheit, und schließlich wurde das ganze Projekt – gleich Finn, gleich Finnegan – zu Grabe getragen“. Erst nach dem Ablauf der Urheberrechte wurden diese kurzen Texte 2013 von der Dubliner Ithys Press in einer kleinen bibliophilen Edition veröffentlicht. Die deutsche Suhrkamp-Ausgabe, von Friedhelm Rathjen sehr subtil mit feinem Gespür für ironische Nuancen und Wortspiele übersetzt, ist ein kleines Meisterwerk. Doch der Sturm, der da im Wasserglas der Nachlassverwalter und Experten hochkochte, ist tatsächlich ziemlich aberwitzig und nicht nachvollziehbar. Schließlich hatte Joyce ja einige der zwischen 1922 und 1939 verfassten Texte als „Work in Progress“ längst selbst veröffentlicht. Offenbar ging es beim Streit dieser verstörten Maulwürfe vor allem um die Eitelkeit von Lordsiegelbewahrern einer Deutungshoheit, die wohl nur anerkannten keltischen Fundamentalisten zustand.

Sind diese Kurz-Epen nun Fingerübungen nach dem abgeschlossenen Ulysses oder Vorstudien zu Finnegans Wake? Whatever! Kann sich der Leser nicht selbst seine Meinung bilden und das entsprechende Label auf die Stirn kleben? Natürlich gibt es einen direkten Bezug zu Finnegans Wake, tauchen hier schon Figuren wie Humphrey Chimpden Earwicker, Finn und Anna Livia Plurabella auf, die uns im späteren großen enigmatischen Werk wieder begegnen. Außerdem entfaltet sich in den zehn kleinen Epiclets schon die wunderbare ironische Dynamik, die sich im „Wake“ dann richtig austoben kann. Der verspielte Umgang mit den Namens-Initialien HCE (von Earwick), die wie beim Scrabble munter zusammengewürfelten und zu anregenden Ratespielen verleitenden Buchstaben – all das ist hier schon hübsch angelegt und macht Appetit auf mehr. Rathjen bietet zu HCE (statt „Here Comes Everybody“) das flotte „Hier Chauffiert Einjeder“ an, was vielleicht auf das munter-mobile Navigieren durch das gigantische Buchstaben-Labyrinth von James Joyce verweisen soll. Schade, nur dass sich im Text kein Kürzel „EWDNS“ fand: Denn „Er Wollte Doch Nur Spielen“ – mit Wörtern, Bedeutungsnuancen und ambivalenten Anspielungen – das drückt dieses Gestaltungsprinzip ja ebenso präzise aus.

Auf einer ganz profanen Ebene vergangener tatsächlicher Ereignisse muss der besondere Stellenwert hervorgehoben werden, den das Dubliner Finns Hotel für Joyce hatte: Hier arbeitete die aus Galway stammende Nora Barnacle, die Joyce im Juni 1904 kennenlernte und später heiratete, als Zimmermädchen. Er war schnell schwer verliebt, hatte sich ursprünglich für den 14. Juni mit ihr verabredet, doch sie versetzte ihn und so wurde das erste Date auf den 16. Juni verlegt, was auch klappte – es ist der bekannte Ulysses-Bloomsday. So viel zum real existierenden historischen Hintergrund von 1904, für den Finns Hotel die Kulisse bildet.

James JoyceDas Plätschern des Liffey, im „Wake“ als munteres verbales Raunen zu vernehmen, ist auch in Finns Hotel präsent. Hier fokussiert sich Joyce auf den mythischen Helden Finn McCool und kapriziert sich auf Traumsequenzen, die sich auf historische Epochen und Figuren der irischen Geschichte beziehen. Die sollen aber keineswegs den ohnehin schon prächtig entwickelten Hang zum Größenwahn irischer Mythenforscher und Historiker verstärken, sondern spielerisch-ironisch mit diversen Episoden umgehen und durch den Kakao ziehen. In Kapiteln, die „Der irische Chinchinjoss“, „Freundschaft mit Fischigem“, „Issy und der Drache“ oder „Ich poste Euch zu“ heißen, werden Figuren und Situationen kurz angesprochen und zum Aufflackern gebracht, die dann mit bunter Phantasterei weiterentwickelt werden: So hangeln wir uns vom „topseitigen Joss-Pidgin-Kerl Berkeley, Erzdruise des irischen Chinchinjoss“ zu König Leury mit seinen feurigen Locken, vom „kleinen Fremdling Kevineen“, der ins Tal der Tränen geschwommen war und sich dann daran ergötzte, „wannennachts mit dem Schwamm Schabernack zu treiben“, zur Dame Anna Livia Plurabella, die sich in einem Brief an die „liebe Majestät“ dafür einsetzt, das krass-unsittliche Verhalten ihres Gemahls ALP Earwicker zu entschuldigen: „Ich nehme mir diese Freiheit mich der Erwartung hinzugeben daß die Wolken sich bald auflösen werden in Vorausschau auf den famosen Tag wo wir hatten und will obiges Sendschreiben nunmehr beschließen mit besten Danken und meinen tausend Segnungen eurer großen Gütigst wegen und der ganzen Mühewaltung auf sich genommen für selbst und teuerliebsten aller Gatten der ich euch treu sein will bis ans Ende meiner Tage solang er ein Faß voller Bass hat mit Liebe zur Majes und alle zuhaus in den aufrichtigen Hoffnungen ihr werdet schon bald euch höchst vollständigen Durchsiucht desselbigen erfreuen“. Wir erfreuen uns jedenfalls an dieser brisanten, beißenden Satire und danken, angesichts der aktuellen satirischen Boom-Periode mit dem Gruß „Je suis James Joyce“.

Diese Epiclets verabschieden sich vom traditionellen Erzählstil der frühen „Dubliners“-Kurzgeschichten mit ihrem betulichen Familien-Ambiente – was ja nach dem sprunghaften, assoziationsreichen „Ulysses“ wahrlich nicht überraschen kann. „Finns Hotel“ funktioniert ohne einen chronologisch-linear verlaufenden Plot, ohne penibel entwickelte Kausalzusammenhänge, aber mit großem Spaß am Montieren verblüffender Wortkaskaden und Assoziationsketten. Der Joyce-Spezialist Fritz Senn („Nichts gegen Joyce“) spricht ja sogar vom „Unsicherheitsprinzip“, das auf der skeptischen sokratischen Tradition basiere und eine dementsprechende Ausdrucksweise verlange: „Und so wird der mögliche Einwand auf der Stelle eingearbeitet und verändert die Aussage, noch bevor sie vollendet ist (dem Ganzen kommt ohnehin kein Ende zu und demgemäß fließt der Schlusssatz in den Anfang ein: ein gültiger Schluss ist nicht statthaft“). Was Senn über die Technik und den Stil im „Wake“ befindet, gilt ebenso für die Vorstudie „Finns Hotel“: Auch dieser Text „stößt sich beharrlich am linearen Ablauf der Sprache und sucht ihn zu vereiteln, indem er etwa der polyphonen Natur der Musik nacheifert. Das Lesen wird zum tastenden Absichern des Geländes. Neu daran ist die Erkenntnisverzögerung mit oft rückwirkender Bedeutungsveränderung“.

Keine Frage: „Finns Hotel“ ist der perfekte, entspannende Text zum Einstimmen und Vorglühen, um dem verspielten, enigmatischen Meisterwerk „Finnegan´s Wake“ irgendwie auf die Schliche zu kommen. Daher sei hier schon mal eine Kostprobe aus der bekannten HCE-Passage („Here Comes Everybody“) aus dem „Wake“ angeboten, die nach der „Finns Hotel“ Kurzlektüre zur leichten und verlockenden Übung werden sollte:

„Yet may we not see still the brontoichthyan form outlined aslumbered, even in our own nighttime by the sedge oft the troutling stream that Bronto loved and Brunto has a lean on. Hic cubat edilis. Apud libertinam parvulam. What if she be in flags or flitters, rickierags or sundyechosies, with a mint of mines or bagger a pinnyweight. Arrah, sure, we all love little Anny Ruiny, or, we mea nto say, lovelittle Anna Rayiny, when unda her brella, mid piddle med puddle, she ninnygoes nannygoes nancing by. Yoh!“

Peter Münder

James Joyce: Finn’s Hotel (Finn’s Hotel, 1923, 2013). Hrsg. von Danis Rose. Mit einer Einführung von Seamus Deane. Übersetzt von Friedhelm Rathjen. Suhrkamp 2014. 103 Seiten. 17,95 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Fritz Senn: Nichts gegen Joyce (Joyce Versus Nothing). Aufsätze 1959-1983. Haffmans Verlag, Zürich 1983. 319 Seiten.
Jean Paris: James Joyce. Rowohlt Monografie. Reinbek 1961.
Foto: gemeinfrei, Quelle.

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