Blasser Traum
Jakob Hein erweist sich in seinem schmalen Roman als ein ganz und gar unspektakulärer Erzähler, der seine ruhig dahinströmende Prosa mit sublimen Witz und einer angenehmen Selbstironie grundiert.
Jakob hat einen großen Traum: New York. Jakob hat aber auch ein großes Problem: Er lebt in der DDR und die verlockende Stadt mit der Freiheitsstatue scheint für ihn frühestens im Rentenalter erreichbar. So bleibt der Traum fern, wird aber emsig mit geheimen Lektüren unter der Bettdecke, einem Pullover mit dem Aufdruck „n.y.c.“ sowie englischen Wörtern genährt, die er lutscht „wie köstliche Bonbons“.
Während Jakob Hein in seinem viel gelobten Debut „Mein erstes T-Shirt“ vom ganz normalen Wahnsinn einer Ost-Jugend in den 80ern erzählte, öffnen sich in seinem neuen Roman nach dem Mauerfall die Grenzen und lassen Jakobs Traum unvermutet schnell Wirklichkeit werden: Mit äußerst knappem Budget und einer Reisetasche, „nicht größer als ein Kopfkissen“, steigt der kaum Achtzehnjährige mit einem „one way ticket“ in einen Flieger nach New York.
Doch statt die große Freiheit auszukosten und sich abenteuerlustig in das brodelnden Metropolen- und Szene-Leben zu stürzen, beschleicht dem vor sich hin gammelnden Ich-Erzähler hier schon bald das „Gefühl schmutziger, unerfüllter Leere“. Ziellos zappt er sich durch die TV-Programme und irrt durch die symmetrischen Straßen der Stadt – bis er einen Job in einem Frühstücks-Café und ein winziges, fast unbezahlbares Zimmer in einer rotierenden WG findet. Der große Traum von Amerika ist so auf dem Boden des ganz und gar Alltäglichen gelandet und Jakob Hein erzählt in heiter-melancholischen Episoden von den hier herrschenden „Formen menschlichen Zusammenlebens“.
Von New York führt ihn sein Weg weiter nach Florida und Kentucky, wo er einen Vortrag über die ostdeutsche Jugendkultur hält, eine glücklose Affäre mit Joe beginnt und als Partyspaß schlafende Rinderkolosse auf den endlosen Weiden umkippt. Im kalifornischen Richmond kommt die Reise trotz emsiger Verkupplungsversuche seiner skurrilen Vermieterin Pamela zum einsamen Stillstand und nach Deutschland „zurückzukommen war, wie in einen Traum hinein aufzuwachen.“
Jakob Hein erweist sich in seinem schmalen Roman als ein ganz und gar unspektakulärer Erzähler, der seine ruhig dahinströmende Prosa mit sublimen Witz und einer angenehmen Selbstironie grundiert. Doch letztlich fehlt seinen ganz alltäglichen Begegnungen und Beobachtungen der überraschende, verblüffende und zündende Moment – und so sind sie schnell gelesen und ebenso schnell auch wieder vergessen.
Karsten Herrmann
Jakob Hein: Formen menschlichen Zusammenlebens. Piper, 151 S., 12,90 Euro.