Geschrieben am 1. Januar 2006 von für Bücher, Litmag

Irvine Welsh: Porno

Spiel’s noch einmal Rents!

10 Jahre danach – Irvine Welsh spinnt seinen Kultroman „Trainspotting“ weiter. Von Markus Kuhn

„Sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Karriere, sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag ja zur Bausparkasse … Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben … Ich habe mich entschieden, mich gegen das Leben zu entscheiden.“

So begann 1996 der Film „Trainspotting“ zum gleichnamigen Roman von Irvine Welsh, der bereits 1993 zum Bestseller geworden war. Dieser Roman über Jugendliche, die lieber nein sagen wollten zum Leben, die sich für Drogen, Alkohol, Gewalt und Exzesse entschieden hatten, wurde zum Kultroman einer Generation; dieser Film ging mit seinen Bildern, Songs und Szenen in die Geschichte der Popkultur ein. Renton, Spud, Sick Boy, Begbie – diese Figuren verkörperten die radikalsten Auswüchse der sinnentleerten Spaßgesellschaft der Neunziger.

Jetzt, etwa 10 Jahre danach, spinnt Irvine Welsh in seinem Roman „Porno“ die Geschichte weiter und erzählt, was aus den Trainspotting-Helden geworden ist. Er beschreibt, wie sie – 10 Jahre älter und kein bisschen weiser – aus Amsterdam, London oder dem Gefängnis in das verrufene Edinburgher Vorstadtviertel Leith zurückkommen, erneut aufeinandertreffen und alte und neue Rechnungen begleichen.

Sick Boy zum Beispiel sucht als schillernder Geschäftsmann und schmierig-charmanter Frauenverführer ständig nach neuen Möglichkeiten, sein soziales und geschäftliches Umfeld zu linken und eine Menge Geld zu scheffeln. Seine neueste Idee: einen Porno produzieren und dabei auf die Liebhaberinnen seines Freundeskreises zurückgreifen.

Begbie hingegen, der versoffene Soziopath mit einer noch extremer gewordenen Gewaltneurose, will nur noch eins: sich an Rents rächen, der sie damals beim größten Drogendeal seines Lebens abgezogen hat. Dieser Erzählstrang – sozusagen eine Fortsetzung des offenen Endes von „Trainspotting“, in dem Renton mit der Beute in eine vermeintlich bessere Zukunft ziehend die britischen Inseln verlassen hat – sorgt für anhaltende Spannung: denn Renton, der von Sick Boy nach Schottland zurückgelockt wird, ahnt noch nicht, dass Begbie längst aus dem Gefängnis entlassen ist. Ein Aufeinandertreffen ist vorprogrammiert …

Geschichten vom Schattendasein in der Vorstadt

Welsh erzählt das alles auf die für ihn typische, beinahe alltagssprachliche, mit viel Working-Class-Slang garnierte Weise, die auch seine bisherigen Romane und Short-Stories ausgezeichnet hat. Die Schimpfwortdichte ist ähnlich hoch, das Schockpotential der Sex-, Drogen- und Gewaltszenen ähnlich radikal. Aus wechselnden Perspektiven erzählt Welsh im Sound seiner Protagonisten vom Schattendasein in der Vorstadt zwischen Pub, Droge, Diebstahl, Betrug und Sex.

Musste man „Trainspotting“ unbedingt fortsetzen? Nicht unbedingt, aber „Porno“ ist trotzdem ein gelungener Roman. Welsh ging es dabei nicht so sehr um das Erfolgsvervielfältigungsprinzip von Fortsetzungsreihen im Kino, sondern darum, die von ihm geschaffenen Kultfiguren weiter leben zu lassen. Weshalb sich nicht nur „Trainspotting-Figuren“ in „Porno“ wiederfinden, sondern auch Juice-Terry, die Birrell Brüder und andere aus seinem meisterhaften, aber weitgehend unbeachtet gebliebenen Vorläuferroman „Klebstoff“ (2001/2002).

Werk für Werk setzt der Schotte Welsh so das Gesellschaftspanorama der Edinburgher Vorstadt fort. „Ich bekomme die meisten Impulse für meine Romane von zu Hause“, erklärt er im Interview. „Ich ziehe durch Edinburgh, schaue, was los ist und lasse mir Geschichten erzählen.“

Kein Zweifel, so wie Welsh kann nur jemand schreiben, der den Alltag ganz genau kennengelernt hat – der aber auch etwas von den traditionellen Qualitäten guter Literatur versteht: lebensnahe Dialoge, mitreißende Plots, vielschichtige Figuren. „Die Charaktere müssen leben“, meint Welsh. „Man darf sie beim Schreiben niemals richten, auch wenn sie Arschlöcher sind.“ Zumindest zehn Jahre Popkulturgeschichte haben die Trainspotting-Jungs deswegen bereits überstanden. Und vielleicht geht’s ja irgendwann weiter. Bisher jedenfalls hat sich das Warten gelohnt.

Markus KuhnIrvine Welsh: „Porno“.
Roman. Deutsch von Clara Drechsler und Harald Hellmann.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2004.
Taschenbuch, 576 Seiten, 12,90 Euro.
ISBN 3-462-03420-0.

21.02.2005