Mit vollen Segeln gelebt
„Die Großartigkeit dieses Buches“, so der vielbelesene triestiner Schriftsteller Claudio Magris, „hat bislang noch nicht die ihr gebührende Beachtung und internationale Würdigung gefunden.“
Dass die „Bekenntnisse eines Italieners“ von Ippolito Nievo im deutschen Sprachraum bis jetzt wenig oder überhaupt nicht bekannt waren, mag an den bisherigen Übersetzungen des Buches gelegen haben. Man konnte diesen Riesenroman nur in gekürzten, vorallem aber schrecklich verstaubt übersetzten Fassungen lesen. Die unter dem irreführenden Titel „Pisana“ bei Suhrkamp erschienene Fassung von Charlotte Birnbaum ließ diesen so ungemein lebendigen, temporeichen, auch ironischen Roman als einen schwer genießbaren ‚Historienschinken‘ erscheinen. Entsprechend konnte man das Buch in den letzten Jahren allenfalls noch irgendwo in den Ramschantiquariaten finden. Bekannt jedoch wie etwa „Die Brautleute“ des Zeitgenossen Alessandro Manzoni , wurde der Roman von Ippolito Nievo bei uns nie. Jetzt aber gilt diese Ausrede nicht mehr, denn Barbara Kleiner hat mit großer Sorgfalt und Sprachkenntnis eine Übersetzung der „Bekenntnisse“ erarbeitet, die für viele Jahre Massstäbe setzt. Und auch die sehr liebevoll Gestaltung der Edition in zwei kleinen ‚Manesse‘-Bänden verdient großes Lob. Aber vielleicht wird trotz dieser Elogen jeder interessierter Leser vor den Dimensionen des Buches zunächst zurückschrecken: fast 900 eng bedruckte Seiten, aufgeteilt in zwei dicke Bände. Auf diese Lektüreanforderungen muß man sich erst einmal einstellen bevor man sich entschließt, die „Bekenntnisse“ von Ippolito Nievo zu lesen.
„Ich wurde am 18. Oktober 1775, dem Tag des Evangelisten Lukas, als Venezianer geboren; und ich werde, so Gott will, als Italiener sterben, wenn es der Vorsehung, die geheimnisvoll in der Welt waltet, gefällt.“ Sofort in den ersten Zeilen spannt Nievo den Bogen von Geburt bis zum Tod seiner Hauptfigur Carlo Altoviti. Auf der Burg Fratta, in der Terraferma, dem Hinterland Venedigs , gelegen, verbrachte Carlo Aldoviti die ersten Jahre seines Lebens und hier stirbt er auch nach einem langen Leben voller Schlachten für das Vaterland und Eroberungskämpfen im ganz privaten Revier geliebter Frauen. In den Schilderungen der großen und kleinen Raufereien und Stellungskriegen um die Einheit Italiens kann man sich schon einmal verlieren. Besonders der zweite Band stellt da die Geduld des Lesers oft auf harte Proben. Aber man kann den Roman ja auch, wie es Klaus Harpprecht in seinem den Roman langsam ausklingen lassendem Nachwort schreibt, „als die flammende, todtraurige, strahlend glückliche Liebesgeschichte“ lesen. Den Leser möchte man kennenlernen, der nicht von dem langen Dialog zwischen der sterbenden Pisana und dem verzweifelten Carlo gerührt wird. Das ist, um in ein anderes künstlerisches Genre auszuweichen, große Oper voller Gefühle, Dramatik, Schmerz und Trauer. „Mit jedem Augenblick wurden Pisanas Atemzüge seltener und mühsamer; sie drückte meine Hand immer fester und schenkte nacheinander jedem von uns ein Lächeln; doch auf mir ruhte ihr Blick länger und inniger.“
Damit ist der Roman jedoch noch nicht an sein Ende gelangt. Carlo steuert jetzt „im allmählichen Verfall auf das Alter zu“, ohne Pisana und nur noch gestützt von seinen Erinnerungen, den „Bekenntnissen eines Italieners“ am Ende eines mit vollen Segeln gelebten Lebens. „Mit meiner Lebensgeschichte“, heißt es einmal an irgendeiner Stelle inmitten des breiten Erzählstroms, „verhält es sich, glaube ich , wie mit der allen anderen Menschen. Einsam nimmt sie ihren Anfang in einer Wiege, tritt sodann hinaus unter die unendliche Vielzahl der menschlichen Schicksale, verlicht und vermengt sich mit ihnen, um schließlich einsam und reich einzig an Schmerzen und Erinnerungen der Ruhe des Grabes zuzustreben.“
Man wird durch die Lektüre von Romanen kein anderer Mensch, aber man kann neue ästhetische Masstäbe gewinnen und vielleicht wird man auch den vielen Scharmützeln des Lebens gegenüber etwas gelassener.
Die „Bekenntnisse eines Italieners“ von Ippolito Nievo in der deutschen Übersetzung von Barbara Kleiner sind in diesem Sinne ein großes Geschenk.
Carl-Wilhelm Macke
Ippolito Nievo: Bekenntnisse eines Italieners. Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner. Nachwort von Klaus Harpprecht. Manesse Verlag 2005
Band 1 / 896 S./ 26,90 Euro
Band 2/ 800 S./ 26,90 Euro
oder zusammen: Band 1 & 2: 1679 Seiten / 53,80 Euro