Geschrieben am 15. Juni 2016 von für Bücher, Crimemag, Interview

Interview: Sonja Hartl mit James Grady über „Die letzten Tage des Condor“

grady cover Condor 46685„Eigentlich war Condor niemals weg“ – James Grady im Gespräch

mit Sonja Hartl.

Im Jahr 1974 erschien das Debüt von James Grady, ein Spionagethriller über den CIA-Mitarbeiter Ronald Malcolm, der in einem verdeckten Büro in Washington D.C. arbeitet und die Handlung von Kriminal- und Spionageromanen analysiert. Eines Tages verlässt Malcom für eine Mittagspause das Büro – und in seiner Abwesenheit werden alle anderen Mitarbeiter ermordet. Also wählt Malcom eine Notfallnummer, nennt seinen Codenamen, und schon steckt „Condor“ mitten in einem Spionagedurcheinander, dass die Paranoia der Post-Watergate-Jahre widerspiegelt. Aus dem Buch „Die sechs Tage des Condor“ wurde der Film „Die drei Tage des Condors“ und Robert Redford machte die Figur des CIA-Agenten weltberühmt. Es folgten weitere Bücher und kleine Auftritte in Gradys Werken. 40 Jahre später, in „Die letzten Tage des Condor“ ist Condor wieder zurück in Washington D.C., arbeitet in der Public Library und sortiert Literatur. Doch die Welt ist eine andere geworden, Tonbandgeräte und Drogengeschäfte sind kaum mehr die einzigen Unsicherheiten, vielmehr agieren Geheimdienste auf einem kaum zu überblickenden Feld. Die größte Unsicherheit liegt indes in Condor selbst: Er weiß nicht, woran er sich erinnert, was passiert ist und was er sich einbildet. Und doch soll er aus dem Weg geräumt werden.

 Frage: Warum kehrt Condor zurück?

James Grady: Eigentlich war Condor niemals weg. Er ist immer in den Nebeln gewesen, in denen Werke entstehen, und vor den „Letzten Tagen des Condor“ tauchte er in einigen Erzählungen und im am Rand – als „walk on“ – beispielsweise in „Mad Dogs“ auf.

Wie würden Sie seine Veränderungen in den Jahren beschreiben? 

James Grady: Aus einem naiven Regierungsbeamten für Recherchearbeiten wurde ein vollwertiger, aktiver, verdeckt arbeitender Agent – aus einem Bücherwurm wurde ein Straßenköter. Er verlor seine Unschuld und Naivität am Ende der 1970er Jahre, wurde zynisch und ein altgedienter Spion in den 1990er Jahren und im 21. Jahrhundert wurde er verrückt – buchstäblich wahnsinnig. Nun, im dritten Akt seines Lebens, hat ihn die moderne Medizin wieder „funktionstüchtig“ gemacht und in die Welt zurückgeschickt – mit wenigen verlässlichen Erinnerungen an seine Vergangenheit, aber einem Bewusstsein, dass er von Dämonen und Geistern gejagt wird. Dabei zieht sich durch sein Leben, dass er versucht, einen moralischen Kern in einer vom Grund auf unmoralischen Welt aufrechtzuerhalten.

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Sie hören es bestimmt oft, aber auch meine erste Begegnung mit Condor war durch den Film mit Robert Redford. Hat die filmische Interpretation dieser Figur Ihre Entwicklung der Figur beeinflusst?

James Grady: Keinem Autor wurde durch einen Hollywoodschauspieler, der seine Romanfigur „wird“, mehr Ehre zuteil als mir. Robert Redford hat meine Figur genommen und ihm Größe und Klasse gegeben, die über meine Worte weit hinausgehen. Robert Redford hat meinen Condor zur Ikone gemacht. Als ich „Die letzten Tage des Condors“ geschrieben habe, habe ich die Quintessenzen von Redfords und meiner entwickelten Figur in dem Condor des Buches zusammengeführt. Es war schwierig, aber ich bin sehr froh, dass ich diese Herausforderung überhaupt hatte.

Auch in den „letzten Tagen des Condor“ gerät wieder eine unbeteiligte Frau in den Schlamassel. Wie würden Sie diese Beziehung beschreiben?

James Grady: Merle hat eine Vergangenheit als heimliche Geliebte, die letztlich von ihrem einflussreichen Geliebten betrogen wird, daher haben sie und Condor in gewisser Weise einen Hintergrund aus Geheimnis und Betrug. Condor sieht in Merle eine Verkörperung der Liebe, auf die er – wie wir alle – hoffen. Merle sieht Condor als eine zweite Chance, eine Brücke, wenn man so will, von dem einsamen, mittelalten Leben, das sie führt, zu etwas mehr – obwohl sie keine Chance bekommen herauszufinden, was dieses „mehr“ sein wird.

Es gibt in Ihrem Roman viele Anspielungen, aber eine interessiert mich besonders. Was hat es mit der rothaarigen Frau auf sich?

James Grady: Meine fiktionalen Werke hängen zusammen, unabhängig vom Genre oder der Ära, daher finde ich – oder besser gesagt: finden die Anspielungen gewöhnlich ihren Weg ohne eine bewusste Entscheidung in meine Prosa. Figuren können am Rand als „walk ons“ auftauchen, ohne dass die meisten Leser und meistens sogar meine Verleger merken, dass sie schon in Büchern erschienen sind, die ich vor Jahrzehnten geschrieben habe. Daneben gibt es – selten – auch Charaktere, die Doppelgänger aus meinem tatsächlichen Leben oder einer Frau sind, die ich an einer Straßenecke in München gesehen habe, eine Fremde, deren Ausstrahlung ich kurz erahnte, bevor sie weg war. Und die rothaarige Frau … nun, sie ist, wer sie in „Die letzten Tage des Condors“ ist.

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In Ihrem Buch schreiben Sie über die Nach-9/11-Welt der Geheimdienste. Wie hat sich diese Arbeit in den vergangenen 40 Jahren verändert?

James Grady: Die Welt der Geheimdienste hat sich von einem statischen Kampf zwischen zwei Supermachtblöcken – wenn so man so will NATO gegen den Warschauer Pakt –, in dem der Rest der Welt in den Spannungen zu überleben versucht, zu einer gebrochenen Welt entwickelt, in der die Supermächte selbst versuchen, ihre Identitäten zu entwickeln, militärisch weniger starke Länder sich selbst neu definieren und „nicht-staatliche“ Kräfte wie ISIS mächtige und bestimmende Akteure auf der globalen Bühne geworden sind. Dadurch ist die Welt nun, was vor unseren Fenstern ist, und die Cyber-Welt, die wir auf unserem Bildschirm sehen (und die uns sieht). In beiden Welten es komplexer als jemals zuvor, ein Spion zu sein.

grady mad dogs51gO29P+8ELWie hat das Ende des Kalten Krieges den Spionagethriller verändert?

James Grady: Ich glaube, dass durch das Ende des Kalten Krieges alle Autoren – im Noir, Thriller, Spionageromane, Mysterys, Belletristik – sehr viel härter arbeiten müssen, um die klassischen, fundamentalen Kräfte zu finden, die Fiktionen antreiben. Autoren müssen heutzutage eine größere und lebensähnlichere Komplexität in ihre Charaktere bringen, vorher konnten sie sie schon mit ein paar Kalten-Kriegs-Klischees zum Leben erwecken.

Hat sich die Wahrnehmung der Spionage verändert?

James Grady: Die meisten Menschen empfinden, dass sich die Spionage dramatischer nach 9/11 als nach dem Ende des Kalten Krieges geändert hat. Ich glaube, heutzutage hoffen Menschen überall, dass die Spione, die für die „good guys“ arbeiten, tatsächlich mit dem Aufstieg von „nicht-staatlichen“ Akteuren wie globalen Terroristen, internationalen Drogenkartellen und sogar Gruppen von im Grunde genommen wahnsinnigen politischen oder religiösen Kulten umgehen können und werden.

Die veränderte Welt spiegelt sich in Ihrem Stil wieder – ich mochte es sehr, wie Sie zwischen Perspektiven, Erinnerungen, der Gegenwart und der Vergangenheit springen. In meinen Augen reflektiert dieser Stil das Durcheinander der verschiedenen Geheimdienste und der Welt im Allgemeinen und deutet am Ende bereits sehr eindringlich an, dass letztlich alles darauf hinausläuft, Dinge zu verbinden. Wie haben Sie diesen Stil entwickelt?

James Grady: In ihrer Besprechung von „Die letzten Tage des Condors“ hat die Washington Post meinen Stil mit einer Kreuzung aus George Orwell und Bob Dylan verglichen, das ist ein großes Kompliment. Für mich diktiert jedes fiktionale Werk seinen eigenen Stil, seine eigene Stimme, und in jeder Arbeit versuche ich, den Fluss und die Dichte meines Schreibstils zu verbessern. Ich habe „entdeckt“ dass die Stimmlage von den „letzten Tagen“ mehr aus meiner Tastatur herausfließt als dass ich sie erschaffe. Ich denke, dass sich die Jahre meines Schreibens, des Zuhörens meiner Leser, des Absorbierens der Arbeit meiner Kollegen in Literatur, Film und Rockmusik mit meiner unvermeidlichen persönliche Reife verbunden haben, so dass ich nun mehr als jemals zuvor zustande bringe, wenn meine Finger eine Tastatur berühren.

grady drei_tage_des_condor_dieWie habe Sie für den Roman recherchiert?

James Grady: Seit vier Jahrzehnten habe ich den Blick eines Reporters auf die Welt, so dass meine Recherche überwiegend daraus bestand, spezielle taktische Fragen beantworten zu können – in welche Richtung fährt die U-Bahn, wie bindet moderne Sicherheitsdienste Mobiltelefone in die klassische Arbeit ein usw. Der wichtigste Teil meiner „Nachforschungen“ bestand aber darin, mich zu entspannen, mich der Stimme von Condor und dem Buch in meinem Gedanken zu öffnen und ihnen zu vertrauen, und in der unwiderstehlichsten Prosa, die mir möglich ist, niederzuschreiben, was ich dort gefunden haben.

Wie beeinflusst die Arbeit eines Reporters die eines Autors fiktionaler Werke? 

James Grady: Ein Reporter in Washington zu sein bedeutet, dass ich ständig neuen Ideen, neuen Konzepten und neuen Realitäten ausgesetzt bin. Deshalb muss ich im Gegensatz zu viele anderen Autoren für ein Buch nicht herumgehen und viele neue Informationen sammeln, Ich bin mehr ein wie ein Minenarbeiter oder Zauberer: Ich schwimme in Informationen und „Wirklichkeiten“, aus denen ich meine Geschichten ausgraben und heraufbeschwören kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

James Grady: Die letzten Tage des Condor (Last Days of the Condor, 2015). Thriller. Aus dem amerikanischen Englisch von Zoë Beck. Herausgegeben von Thomas Wörtche. suhrkamp taschenbuch 4685, Klappenbroschur. 367 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen und Videobesprechung.

Offenlegung: Herausgeber dieses Buches ist Thomas Wörtche, der zusammen mit Alf Mayer auch für CrimeMag zeichnet. Auch Zoë Beck gehört zum Haus. Sonja Hartl ist freie Journalistin und wird von den hier Genannten weder bestochen noch verköstigt. Zu ihrem Blog Zeilenkino geht es hier.

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