New York – ein Stück deutschamerikanische Geschichte
– New York galt im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Ort der Hoffnung und des Neubeginns für Millionen Auswanderer, vor allem aus Europa. Weniger bekannt ist, dass der Anteil der Deutschen, die den Aufbruch ins Ungewisse wagten, bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts sprunghaft anstieg, mit dem Ergebnis, dass New York bereits im Jahr 1855 mit 154.000 Deutschamerikanern nach Wien und Berlin die drittgrößte deutschsprachige Metropole war. Von Susanna Mende
Wie stark die Deutschen die neue Welt in der Hochphase der Auswanderung zwischen 1840 und den 30er Jahren des 20. Jahrhundert mitgeprägt haben, vermittelt die Historikerin Ilona Stölken in ihrem spannenden, facettenreichen und mit zahlreichen Illustrationen versehen Buch „Das deutsche New York“. Sie scheint außerdem einen Nerv damit zu treffen, besinnt sich die Stadt doch seit ungefähr einem Jahrzehnt ihrer Vergangenheit, zu der auch die deutschen Spuren gehören.
Zahlreiche Namen von Institutionen, Personen und Produkten, die ikonengleich ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind, ohne dass ihr Ursprung vielen bekannt wäre, vermitteln uns eine Ahnung, wie vielfältig und nachhaltig der Einfluss deutscher Emigranten war. Nehmen wir nur Waldorf Astoria, eine amerikanische Luxushotelkette, die gegründet wurde von Johann Jakob Astor aus dem badischen Walldorf. Oder die Biermarke Rheingold: Ursprünglich hieß die Brauerei nach dem Namen des Eigentümers Samuel Liebmann, der 1854 mit seiner Familie aus Württemberg emigrierte. 1883 soll nach einer Aufführung von Das Rheingold in der Metropolitan Opera eine Äußerung des Dirigenten Anton Seidl den Enkel des Brauers zur Benennung einer Biersorte als „Rheingold“ inspiriert haben. Auch der Name Goldmann Sachs, der seit der Finanzkrise schwer in Verruf geraten ist, entstand aus den Namen zweier deutscher Emigranten, nämlich Marcus Goldman aus dem fränkischen Trappstadt, der im Revolutionsjahr 1848 emigrierte, und Joseph Sachs, der aus der gleichen Gegend stammte.
Business und Kultur – die Deutschen mischen mit
Damit sind auch schon zwei Themenbereiche angeschnitten, auf die Stölken ausführlich eingeht. Einmal der Export deutscher Braukunst, die das Bier zu einem „amerikanischen“ Getränk und die Brauer zu wohlhabenden Männern machte.
Und die Musikszene New Yorks, die mehr als alles andere von deutschen Einwanderern mit ihrer Tradition der Hausmusik, des Chorsingens und Konzertwesens geprägt wurde. Die in die USA exportierte Vereinstradition, die einen gewissen deutschen Zusammenhalt garantierte, zeigte sich von Beginn an in der Gründung von Chören und Orchestern, die einen immer höheren Grad an Professionalität erlangten, bis schließlich eigene Vereinshäuser und Versammlungslokale entstanden, wo deutsche Musiktradition gepflegt wurde.
Auch auf die beeindruckende Zahl deutscher Zeitungen und Zeitschriften geht Stölken ein, sowie das große politische Bewusstsein vieler Emigranten, die teilweise als Aktivisten der Märzrevolution in Ungnade gefallen und somit als politische Flüchtlinge in die USA gelangt waren. Dieses Bewusstsein wirkt nach, als es um die Verbesserungen von Arbeits- und Lebensbedingungen der schnell anwachsenden Arbeiterschaft in New York geht, wo auch Deutsche zum Teil Schlüsselpositionen innehatten, sei es als Journalisten, Politiker oder Gewerkschafter.
Kleindeutschland und Yorkville
Ein wichtiges Kapitel ist der Niedergang dieser starken und umtriebigen Gemeinschaft der Deutschamerikaner, die zu einem beträchtlichen Teil über mehrere Jahrzehnte hinweg bis in die zehner Jahre des 20. Jahrhundert ein eigenes Stadtviertel namens „Little Germany“ bewohnten, das in der Lower East Side zwischen Division Street und 14th Street sowie zwischen Bowery und Eastriver lag. Mit zunehmendem Wohlstand zogen jedoch immer mehr Deutsche nach Yorkville, das zwischen Third Avenue und East River an der Upper Eastside liegt, und bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum neuen Einwandererquartier für Deutsche wurde. Dort befindet sich übrigens auch das Gracie Mansion, der offizielle Wohnsitz des New Yorker Bürgermeisters im idyllischen Carl Schurz Park, benannt nach dem ehemaligen Achtundvierziger-Revolutionär Carl Schurz. Bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren dort zahlreiche deutsche Geschäfte zu finden, von denen jedoch nur wenige überlebt haben.
Beschädigter Ruf
Es war der erste Weltkrieg, der entscheidend zum Verschwinden deutscher Kultur aus dem öffentlichen amerikanischen Leben beitrug. Die Ressentiments der Amerikaner gegen die Deutschen bzw. Deutschamerikanier wurde im Verlauf der Kriegshandlungen so stark, dass die selbstbewusst und offensiv gepflegten deutschen Traditionen nicht mehr geduldet wurden und viele Deutsche infolgedessen durch eine stärkere Assimilation ihre Wurzeln zu verbergen versuchten.
Die erzwungene Emigration deutscher Juden während der 30er Jahre sorgte für eine weitere Auswanderungswelle, und Stölken schreibt über deutsch-jüdische kulturelle Aktivitäten wie Verlagsgründungen, Theaterschulen und Treffpunkte deutschsprachiger Intellektueller, aber auch die Entwurzelung vieler, für die eine Entfremdung von ihrer Sprache und Kultur ein Fluch war, der durch den Segen der Rettung nicht kompensiert werden konnte – ein Kapitel deutscher Emigrationsgeschichte, das um ein Vielfaches bekannter ist als alles, was Emigrantenschicksale in den Jahrzehnten davor betrifft.
Auf Spurensuche
Es ist erfreulich, dass Ilona Stölken dem Leser abschließend einen kurzen Überblick über aktuelle Aktivitäten in New York verschafft, die zum Erhalt und zur Sichtbarmachung der deutschen Stadtgeschichte beitragen wollen. Und jeder, der das Buch gelesen hat, wird bei seinem nächsten Besuch den Big Apple mit anderen Augen betrachten.
Susanna Mende
Ilona Stölken: Das Deutsche New York. Hardcover, 24 cm x 27 cm. Verlag Lehmstedt, 2013. 280 Seiten mit knapp 250 Abbildungen. 29,90 Euro.