Geschrieben am 29. August 2009 von für Bücher, Crimemag

Ilija Trojanow/Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit

Beeindruckendes Argumentarium wider den Obrigkeitsstaat

Steuern wir auf einen Überwachungsstaat zu? Wer weiß was von uns? Und was geschieht mit diesem Wissen? Wie sinnvoll ist gesunde Paranoia? Juli Zeh und Ilija Trojanow haben einen Realiätscheck vorgelegt. Thomas Wörtche checkt den Check.

„Wehren Sie sich. Noch ist es nicht zu spät.“ So heißt der trotzig-optimistische Schlusssatz eines 149 Seiten langen Essays über das, was Juli Zeh und Ilija Trojanow als Angriff auf die Freiheit anklagen: die Orwellsche Dimensionen, die Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte (so der Untertitel) inzwischen angenommen haben. Zeh und Trojanow beschreiben erfreulich knapp und präzise den ganzen Wahn, der – verstärkt – seit dem 11. September 2001 als „Krieg gegen den Terror“ über uns hereingebrochen ist: in unsere Privatsphäre, in unseren Alltag, in unsere Gesellschaft. Alles, was es vor 9/11 schon gegeben hatte – das Gerede vom „Clash of Civilisations“, das Delirieren von „Leitkultur“, die interessengeleitete Hysterisierung der „Inneren Sicherheit“ etc. hatte mit den Anschlägen auf die Türme das Legitimationsmuster gefunden, das das Wort „Sicherheit“ zu einem übermächtigen Begriff für alles und jedes macht, was immer man für eine flächendeckende Überwachung von Individuen politisch durchsetzen möchte.

Genüsslich nehmen Zeh und Trojanow die ganzen absurden und unfreiwillig komischen rhetorischen Muster auseinander, mit denen uns ständige Videoüberwachung, o­nline-Durchsuchungen und Datensammelwut aller Art als für unser Überleben notwendig schmackhaft gemacht werden soll. Dass wir alle freiwillig unsere Daten (für das Linsengericht läppischer Rabatte und exhibitionistischer Schübe) hergeben, ist dabei eine grimmige Pointe.

Zeh und Trojanow gehen davon aus, dass „Al Qaida“, der „Fundamental-Islamismus“, das „Netzwerk des Terrors“ und ähnliche rhetorisch aufgeblasene Schreckgespenster keinesfalls das Ende unserer Zivilisation herbeiführen können, wenn wir das nicht fröhlich selbst erledigen: Durch vorauseilenden Gehorsam gegenüber den angeblich objektiven Erfordernissen des „Anti-Terror-Kampfes“, durch den frommen Glauben an „christlich-abendländische Werte“, die gegen üble Morgenländer verteidigt werden müssen, durch den selbstverschuldeten Verzicht auf Skepsis, durch die Illusion, „Sicherheit“ sei produzierbar wie jedes andere „Produkt“, und durch den Kinderglauben an einen grundsätzlich und immer benevolenten Staat, und schließlich durch den Glauben an die Kompetenz ominöser „Autoritäten“, die so geheim sind, dass wir sie nicht kontrollieren können.

Grenzüberschreitungen

Mit anderen Worten: Wenn die „Grenzen zwischen Polizei, Militär, Zivilschutz, Sicherheitsindustrie und anderen Akteuren“ verschmelzen wie die Unterschiede zwischen „äußerer und innerer Sicherheit“, dann steht der autoritäre Staat vor der Tür.

Im kleinteiligen Alltagsgetriebe sehen Zeh und Trojanow schon die mentale Vorbereitung. Die herabgesunkene, aber heftig akklamierte „Null Toleranz“-Politik gegen Falschparker und Raucher, die durchgeknallten Ordnungsamts-Spießer, die einen Kreuzzug gegen „sozialschädliches Verhalten“ (Kaugummi wegwerfen, Falschparken, Hunde) führen als ob es wider Massenmord und Genozid ginge und dafür in „Doku-Soaps“ im Trashfernsehen gefeatured werden, all dies ist den beiden Autoren Beleg für eine gefährliche Einvernehmlichkeit größerer Bevölkerungsteile, die das Bequeme und vorgeblich Sichere jederzeit der Freiheit vorziehen.

Mit all dem haben Zeh und Trojanow recht. Und es ist beeindruckend, wie klar, deutlich und ohne Jargon man solche Gefährdungen formulieren und als Argumentarium wider den Obrigkeitsstaat aufbereiten kann.

Lautes Schweigen

Allerdings liegt da auch die Achillesferse des Büchleins. Es macht zu früh Schluss mit dem Reflektieren. „Der Staat“ erscheint als das Feindbild, die politischen Eliten des Westens, EU gleichermaßen wie NATO und die ganzen Bündnissysteme. Die aber setzen außer einem etwas abstrakten „Machterhalt“ höchstens rigide ordnungspolitische Ideologien durch. Nur so? Der Kontrollwahn, der sich in riesigen Datenspeichern niederschlägt, und das potenzielle Wissen über die intimsten Details eines jeden Individuums demontieren skandalös die Grundrechte, aber cui bono?

Vom gläsernen Menschen direkt profitieren privatwirtschaftliche, profitorientierte Interessen – Arbeitgeber, Versicherungen, Krankenkassen, Kreditgeber etc. Für sie ergeben die Datenhalden einen Sinn, für sie ist Wissen nicht nur primär politische, sondern vor allem ökonomische Macht, die sich wiederum politische Macht dazukaufen kann. So etwas wie ein Grundvertrauen der Bürger, dass persönliche Daten nicht in „die falschen Hände“ geraten könnten, wäre in der Tat blauäugig. Was von Menschen gesammelt wird, kann von Menschen verkauft und verteilt werden. An den Meistbietenden. Dazu kommt, dass das Outsourcen hoheitlicher Aufgaben als „Deregulation“ seit Jahrzehnten forciert durchgezogen und betrieben wird.

So wie man allmählich beginnt, die Grundrechte als „Verbrecherrechte“ zu denunzieren, neigt man dazu, die wirtschaftliche Funktionalisierung und Nutzung unserer Daten als legitimes Selbstschutzinstrumentarium von Firmen und Konzernen zu verharmlosen. Polizei und Sicherheitsdienste garantieren zunehmend nur noch das friktionsfreie Funktionieren von Gesellschaft in ökonomischer Hinsicht (wenn die Steuerfahndung dem Bankenstandort Frankfurt gefährlich wird, dann werden die Beamten als geistesgestört (früh-/zwangspensioniert) ruiniert und zurückgepfiffen, so geschehen gerade in Hessen, wie wir alle wissen. Sie dienen potenziell lediglich noch als „Hausmeister“ für die Privatwirtschaft und setzen soziale Kontrolle und Befriedung durch. Deswegen wird diese Dimension zunehmend gefährlicher.

Demokratische Kontrolle über Wissen und Information ist in derlei Zusammenhängen nicht mehr möglich, weil nicht erwünscht. Die Politik ist vor der Wirtschaft längst auf die Knie gegangen. Aber auf radikalen Politikwechsel zu hoffen, wäre angesichts des starken Lobbyismus und der konstitutiven Verflechtung der „Organisierten Kriminalität“ mit Politik und Wirtschaft vermutlich die nächste Blauäugigkeit. Zu diesem Thema schweigt der Essay für meinen Geschmack viel zu laut.

Kein Vorwurf an Zeh und Trojanow, aber das leise Unbehagen, dass hier nur das Evidente zum wiederholten Mal pointiert und, von der Prominenz der Autoren beglaubigt, blendend formuliert wird, bleibt eher bestehen. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Thomas Wörtche

Ilija Trojanow/Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn.
Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Essay.
München: Hanser 2009. 171 Seiten. 14,90 Euro.