Die Kunst der Kürze
Ian Rankin und die Kurzgeschichte – für Henrike Heiland der perfekte Anlass, eine kompakte, kleine Poetik der Short Story in einer Rezension zu verstecken …
Der Deutsche, heißt es, hat es nicht recht mit der Kurzgeschichte. Die Kurzgeschichte, heißt es, blüht ja mehr so im englischsprachigen Ausland und hat da ihre Wurzeln wie auch ihre Tradition … Romane, heißt es, liest der Deutsche nun mal lieber. So kam es dann wohl, dass sich Ian Rankins deutscher Verlag Goldmann erst kürzlich dazu durchgerungen hat, die Kurzgeschichtensammlungen des Autors herauszubringen, weil, anders als 1992 zum Beispiel, Rankin mittlerweile eine sichere Bank ist, und da er gerade erst mit Rebus aufgehört hat, die Leute aber weiter nach Rebus jaulen, kann man ihnen ja zum Trost ein paar Rebus-Brocken aus dem Archiv hinwerfen. Oder so. Dabei sind Kurzgeschichten so was Tolles.
Üben, üben, üben …
Besonders auch für den Autor. Rankin schwärmt in seinem Vorwort zu Der Tod ist erst der Anfang, wie sehr er die kurze Form schätzt. Da kann er experimentieren. Oder sich eine Auszeit von seinen Serienfiguren nehmen. Kurzgeschichten schreiben diszipliniert auch. Und man braucht erst mal nur eine Idee. Überhaupt ist Kurzgeschichtenschreiben ganz toll, sagt Rankin. Kurzgeschichtenlesen hingegen finden viele deutsche Leser etwas unbefriedigend, weil sie lieber für ein paar Tage oder Wochen am Stück in eine andere Welt abtauchen. Und ganz ehrlich, bei aller Sympathie, oder eher noch: bei allem Enthusiasmus für die Kunstform Kurzgeschichte muss man nach der Lektüre von Eindeutig Mord doch ein bisschen denen Recht geben, die den Roman vorziehen.
Kennt man nämlich Rebus, besonders den späteren – und erfolgreicheren – Rebus, diese komplexe Figur, die sich durch vielschichtige, dicht gewobene Geschichten trinkt, dann erscheint einem der jüngere Rebus ganz fremd, ganz banal, ganz merkwürdig. Merkwürdig aufgesetzt, wenn er wie ein Sherlock Holmes seine tollen Beobachtungen und Erkenntnisse bis zum Schluss für sich behält. Merkwürdig dynamisch, wenn er den noch jüngeren DC Brian Holmes alt aussehen lässt und dieser sich fast in die Hosen macht bei dem Gedanken an Rebus, die Legende. Merkwürdig eindimensional, weil einfach nicht genug Platz für das ist, was in zwanzig Jahren Rebus aufgebaut wurde. Und na ja, kein Wunder eigentlich, die Geschichten entstanden alle vor 1992. Da kannte in Deutschland noch keiner wirklich Ian Rankin, und in Großbritannien erschienen in dem Jahr Band 3 und 4 der Rebus-Reihe, der eigentliche Durchbruch und große kommerzielle Erfolg kam ja auch erst 1997 mit Black and Blue (Das Souvenir des Mörders, Goldmann 2005).
Man könnte also sagen, Eindeutig Mord enthält die Fingerübungen, da sucht Rankin noch seinen Rebus, da spielt er noch rum. In den zwölf Geschichten dreht es sich nicht nur um Mord, wie der Titel vermuten lassen könnte, sondern auch mal um Kunstraub („Monströse Trompete“), Drogen („Aulde Lang Syne“) oder Betrugsdelikte („Frank und frei“). Man bekommt eine schöne Führung durch die Stadt Edinburgh und durch alle sozialen Schichten bis nach ganz oben („Der Gentlemen’s Club“); das Edinburgh Festival („Gut gehängt“) und Hogmanay fehlen nicht, ebenso wenig ein Spiel der Hearts („Not Provan“). Und man muss ja auch dazu sagen, dass es immer noch deutlich mehr Spaß macht, Rankin bei seinen Fingerübungen zuzuschauen, als so manch anderen in seiner vermeintlich größten Blüte zu erleben. Er kann schon was, dieser Rankin, und mal so ganz unter uns: Wenn man diese frühen Geschichten liest, dann weiß man wieder, dass er auch mal irgendwie mit Wasserkochen angefangen hat. Und dass es eben sehr viel mit Handwerk und Übung und Zeitlassen zu tun hat, dieses Wasserkochen. Ehrlich.
… und gewinnen
Unter diesem Aspekt ist der zweite Kurzgeschichtenband Der Tod ist erst der Anfang, im Original 2002 erschienen, natürlich viel interessanter. Hier tummeln sich zweiundzwanzig Geschichten, auf dem Cover gleich schon als „Meisterwerke der Spannung“ deklariert, und die zeigen endlich, was Rankin mit Experimentieren meint. Er geht nicht nur weg von Rebus, er geht auch mal raus aus Edinburgh, und vor allem, ganz wichtig, raus aus der Ermittlerperspektive.
Da erzählt in „Eddie hat Besuch gehabt“ der Auftragskiller vom perfekten Mord, in „Pornovideos“ der Lehrer von seinem perfiden Plan, sich seiner Frau zu entledigen, da fiebert man in „Rennen wie Herbert“ mit dem leitenden Kurator der Tate Gallery mit, ob er sich nun vor oder nach einer Abendveranstaltung das Leben nehmen soll, und in „Ein tiefes Loch“ begleitet man einen nicht ganz so übermäßig intellektuellen Straßenbauarbeiter auf seiner Irrfahrt mit Leiche im Kofferraum durch London. Und zwischendurch immer wieder Rebus, immer wieder die Stones, sonst würde wohl doch was fehlen.
Aber es ist ein älterer Rebus, das macht viel aus. Die einzelnen Geschichten sind dabei nicht unbedingt länger als im ersten Band, aber man merkt, wie Rankin über die Jahre gefeilt und geschnitzt, sich immer weiter verbessert und nach vorne gearbeitet hat, wie er gelernt hat, seine ungewöhnlichen Sprachbilder, die jeden Übersetzer zur Verzweiflung bringen, zu perfektionieren.
Der Tod ist erst der Anfang macht so richtig viel Spaß, ohne Frage, es ist ja immer ein Vergnügen, dabei zuzusehen, wie sich ein Autor austobt. Und wenn man das alles dann mal in einen größeren Kontext stellt, also nicht nur werkimmanent betrachtet, juckt es einen in den Fingern, sämtlichen Autoren, erfolgreich oder nicht, quasi zwangsverpflichtend aufzuerlegen, pro Jahr mindestens drei Kurzgeschichten zu schreiben, aber so richtig mit dran arbeiten und immer schön was wegkürzen und noch einmal ran und die Dialoge polieren, bis es kracht. Das macht nicht nur Rankin vor, das ist nun mal nicht umsonst eine eigene Gattung, nicht nur ein Roman in zu kurz geraten. Und, lieber deutscher Romanleser, mal so was Kurzes zur Abwechslung, das geht auch, da kann man auch richtig gut abtauchen. Probieren Sie’s mal.
(PS: Liebe/r Übersetzer/in, ich weiß nicht, wer von Ihnen es war, aber warum schreiben Sie denn „das Coke“? Sagt man nicht mehr „die Cola“ zu dem Zeug? Das interessiert mich wirklich.)
Henrike Heiland
Ian Rankin: Eindeutig Mord. (A Good Hanging and Other Stories, 1992)
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini.
München: Goldmann 2008. 318 Seiten. 7,95 Euro.
Ian Rankin: Der Tod ist erst der Anfang. (Beggars Banquet, 2002) Stories.
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini und Juliane Gräbener-Müller.
München: Goldmann 2010. 477 Seiten. 8,95 Euro.
© Studio Werner Pawlok