Geschrieben am 2. November 2011 von für Bücher, Litmag

Hubert Winkels (Hrsg.): Klagenfurter Texte – Die besten 2011

Wahre Geschichten

– Wenn Anfang Oktober die ersten Blätter fallen und der Sommer durch ist, wenn die lesenden Köpfe nach Frankfurt schauen und der Wörthersee wieder den Rentnern gehört, erscheint das Jahrbuch zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Gisela Trahms hat es sich angesehen.

Angenehm liegt die Anthologie in der Hand und erfreut durch die Sorgfalt, mit der sie gemacht ist. Auch erweckt eine dezente Danksagung an die Sponsoren des Preises den Eindruck, dass das Buch auf eigene Rechnung dem Schoß des Piper Verlags entsprang und nicht durch Charlotte Roches Gebete. Das erfreut noch mehr.

Neun der vierzehn Texte, die in Klagenfurt vorgelesen wurden, sind abgedruckt und machen knapp 100 Buchseiten aus, umgeben von und geborgen in 130 Seiten Drumherum. Und das muss ja auch so sein, denn „Klagenfurt“ ist kein Textgottesdienst, sondern eine Betriebsfeier, die sich trotz wechselnder Rituale und Teilnehmer gleich bleibt. Dirk Knipphals von der „taz“ drückt das so aus: „Zwei Jahre lang war ich nicht hier gewesen. Ist schon irre, wie gründlich man schon in so einem kurzen Zeitraum Details vergessen kann – und wie massiv sie dann wieder da sind, sobald man sie aufs Neue wahrnimmt.“ Er meint damit beispielsweise die Stimme des Oberkellners in dem Restaurant, wo „man“ sich trifft. Nicht nur in Klagenfurt, sondern in „Klagenfurt“. Ah ja.

Zu lesen sind hier also auch die „Klagenfurter Rede zur Literatur“ (dieses Jahr von Urs Widmer), Auszüge aus den Jurydiskussionen, ein Protokoll der Stimmabgabe und ein Pressespiegel. Soweit sich „Klagenfurt“ zwischen zwei Buchdeckel pressen lässt, ist dies mustergültig geschehen. Gleichermaßen kommen daher jene Leser auf ihre Kosten, die tatsächlich den Erzählungen / Romanauszügen begegnen wollen wie jene, die sich über die Mäkelei der Berichterstatter (streng alphabetisch nach den Zeitungsnamen sortiert, alles ganz gerecht!) über die Jury-Kollegen amüsieren. Harmlos fällt sie aus, insgesamt gesehen, und wird einmal eine gewisse Mattigkeit der Juroren konstatiert, ist sie dank Julihitze gleich entschuldigt. Dem Romanauszug der Preisträgerin Maja Haderlap wird allgemein ohne Enthusiasmus gehuldigt, nur Richard Kämmerlings von der „Welt“ titelt unbeeindruckt gegen so viel korrekte Zustimmung an: „Bachmann-Preis für Haderlap – eine Fehlentscheidung“. Auch das erfreut.

Und die Texte?

Jene besten, „die die junge deutschsprachige Literatur 2011 zu bieten hat“, wie es auf der Cover-Rückseite eher abstoßend heißt? Christine Richard (Basler Zeitung) charakterisiert sie so: „Mitmenschen kommen in den Texten oft nur als Statisten oder Quälgeister vor. Man bevorzugt eine virtuos ausgestattete Selbstbezüglichkeit, perfekt in sich verpackt.“ Das klingt nach Langeweile und also wenig verlockend. Wären da nicht die siebeneinhalb Seiten, mit denen Hubert Winkels das Buch eröffnet. „Vorwort“ betitelt er sie, aber es handelt sich natürlich um ein Nachwort zum Ereignis, im Sauseschritt und von hohem Unterhaltungswert.

Winkels’ Vergnügen am Andeuten, Aufdröseln, Verschlingen und Verflechten des „Klagenfurt“- Sprechens in einem „binnengereimten und -geleimten Raum der Reden“ teilt sich mühelos mit. Während ich las, hatte ich eine sommerlich beschienene Hüpfburg vor Augen: großes Getümmel der Hüpfenden, sprunghafte Wechsel der Ebenen, eine Dauerbewegung ohne gesicherte Platzzuweisung. Alle produzieren „Text über Text über Text“, und die Frage nach dem Außen bleibt außen vor.

Gut, aber von irgendetwas muss doch die Rede sein? Und die Hüpfenden sind doch wohl mehr als Hörende und Sprechende? Ja, ja, versichert Winkels, da sind auch die Körper, die sich der Rede öffnen oder entgegenstellen, kurz: reagieren, beispielsweise mit Lachen. Und das Lachen sei „vielleicht das einzige Außen, das wir denken, wenn wir an Texte denken“. Dann fragt er: „Warum eigentlich?“ Ja, das wüsste ich auch gern.

Denn nicht alle sind so fröhlich. Winkels erwähnt en passant eine „schöne Leserin“, die „fast weinen will“, da die Jury ihren Text zerrupfte. Schön war in Klagenfurt nur die von ihm vorgeschlagene Kandidatin, welche später in der FAS Gelegenheit erhielt, aus dem Keller der Verrissenen wieder emporzuschweben auf jenen Level, wo sie ihren Protektor als Guillotinierten vorführen konnte, dessen „Kopf blutspritzend über den Studioboden rollte“. Heftig, heftig.  Doch das letzte Wort hat dann wieder Winkels, hier nämlich, indem er gelassen und fast schon altersweise kommentiert. Er hüpft eben einfach am höchsten. Und am elegantesten. Und diese Geschichte, seine Geschichte, schlägt jedenfalls die junge deutschsprachige Fiktion.

Gisela Trahms

Hubert Winkels (Hrsg.):  Klagenfurter Texte – Die besten 2011. 240 Seiten. 14,99 Euro.

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