Geschrieben am 17. September 2011 von für Bücher, Crimemag

Horst Seidenfaden: Die Akte Tristan – ein historischer Kriminalfall aus der NS-Zeit

Thriller aus dem SA-Milieu

– Mit dem zeithistorischen Krimi „Die Akte Tristan“ begibt sich der Kassler Autor und Journalist Horst Seidenfaden auf heikles Terrain: Der Killer ist ein kaltblütiger Gestapo-Mann, das Opfer ein vermögender Karriere-Nazi und die von beiden umworbene junge Martha beim Bund deutscher Mädchen. Ein Buch, das uns beinahe durchgerutscht wäre. Sebastian Knauer hat sich ihm angenommen:

Erst 60 Jahre später kann die Kassler Kripo nach Hinweisen der rachesüchtigen Ex-Nazis ein rätselhaftes Verbrechen in der eignen Stadt aufklären.

Es sind die genau beobachteten Details in diesem historischen Krimi, die immer wieder überraschen. Nach den erfolgreichen Krimis deutscher Verlage mit regionalem Bezug hat offenbar auch die braune Zeitgeschichte das Genre erreicht.

So wird auch in der hessischen Stadt Kassel die Machtergreifung von Adolf Hitler bejubelt, der sein Versprechen, den Menschen wieder Arbeit zu verschaffen, hält. Jetzt sollte auch in Kassel gegen „jüdische Einflüsse“ auf der Königstraße Richtung Oberste Gasse marschiert werden. Der „SS-Trupp blutjunger Kämpfer in den braunen Hemden“ kam allerdings nur verzögert voran. Denn „auf dem Kopfsteinpflaster der Straßen lagen überall Überreste von Pferdeäpfeln“, auf denen „sich schlecht marschieren“ ließ.

Kassel ist überall

Taugt das Grauen des Dritten Reichs für einen profanen Krimi-Plot? Der Kassel-Kenner Horst Seidenfaden, im Hauptberuf Chefredakteur der führenden Lokalzeitung Hessische Allgemeine, will dafür mit seinem Buch den Beweis antreten. Sein Werk changiert dabei zwischen einem patriotischen Städteführer durch das nationalsozialistische Kassel und einer provinziellen Ermittler-Story. Der auswärtige Leser würde sich manchmal etwas weniger Lokalstolz wünschen, wenn beispielsweise die weggebombte und später wegsanierte Altstadt oder große Kassler wie der TV-Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt gelobt werden. Durch Recherchen in den städtischen Archiven und bei Zeitzeugen hat der Autor jedoch wieder einmal die bundesrepublikanisch übliche Verdrängung der eigenen Stadtgeschichte offengelegt.  Vom Kassler „Ehrenbürger Adolf Hitler“ bis zur Eintragung ins Goldene Buch der Nazi-Größen wie Herman Göring als auch dem Versprechen Kassel zum „Muster-Gau“ des Naziregimes zu machen bis hinein in die stille Zustimmung zum  Abtransport der jüdischen Mitbürger – Kassel ist überall.

Tristan

Die heutige Kommissarin Anja Dunkelmann, die schon in den beiden vorangegangenen Kriminalromanen Seidenfadens ermittelte, bekommt einen Hinweis auf einen Zeitzeugen aus dem Altersheim. Bevor der Tod kommt, will ein alter Mann noch die Geschichte eines grausamen Verbrechens aus dem Dritten Reich erzählen. Es geht um den Mord an seinem besten Freund, den er unter der Folter der Geheimen Staatspolizei durch einen Kopfschuss töten musste. In einem Geflecht aus korrupten Parteibonzen, Karriereabsichten eines Mitläufers, Säuberungsaktionen im homosexuellen SA-Milieu und schließlich materieller Raubzüge gegen vermögende Juden kommt es zum Endkampf von Tristan gegen seinen Widersacher.

Beide überleben als Täter und Opfer das Dritte Reich und richten sich wieder in der bundesrepublikanischen Gesellschaft als angeblich gute Bürger ein. Doch Seidenfadens Figur aus dem Seniorenheim hat mit einer Kopie der verschollen geglaubten Akte Tristan eine tickende Zeitbombe in der Hand.

Am Schluss steht der Gestapo-Killer Tristan, alias Claudio Saalfeld, wegen Massenmord in der Ukraine vor einem ordentlichen Gerichtsprozess – 60 Jahre danach. Und eine Zyankali-Kapsel aus dem Dritten Reich beendet das Leben seines todkranken Widersachers im Seniorenheim des letzen Aufgebots des Führer.

Der Leser profitiert in diesem Krimi von einer ungewöhnlichen Ermittler-Perspektive auf ein verbrecherisches Regime. Und lernt zudem, dass auch SA-Leute Asperin gegen Kopfschmerzen nahmen und nachmittags gerne Schmandkuchen im Büro servierten.

Sebastian Knauer

Horst Seidenfaden: Die Akte Tristan – ein historischer Kriminalfall aus der NS-Zeit. Berlin: B&S Siebenhaar Verlag 2010. 246 Seiten. 14,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Sebastian Knauer.

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