Geschrieben am 29. Mai 2004 von für Bücher, Litmag

Henry Miller: Frankreich. Land der Erinnerung

Beschwörende Hommage

Mit seinem 1934 in Paris erschienenen und in Amerika lange Zeit indizierten Roman „Wendekreis des Krebses“ begründete Henry Miller seinen literarischen Ruhm. Ekstatisch, tabulos, intellektuell, obszön und poetisch erzählt der puritanisch erzogene Amerikaner hier von seinen glühenden Pariser Tagen und Nächten. In seinem neu übersetzten Erinnerungsbuch „Frankreich“ können wir ihn nun aus rein autobiographischer Perspektive noch einmal in diese bewegte und bewegende Zeit begleiten.

Niedergeschrieben wurden diese Erinnerungen während des Zweiten Weltkriegs, quasi im amerikanischen „Exil“, denn „Frankreich war für mich Mutter, Geliebte, Heimat und Muse“ geworden, „eine Heimat, die ich gefunden und wieder verloren hatte“.

Geliebtes Frankreich, langweiliges Amerika

Millers mit Photographien von Henri Cartier-Bresson begleitetes Erinnerungsbuch ist eine einzige Hommage an Frankreich – an seine Kultur, seine Landschaften, seine Kulinaria und Frauen. Schon der Blick auf einen großen Metroplan mit den Namen der einzelnen Stationen reicht aus, um Miller in Erinnerungen schwelgen zu lassen und „ein einziges glitzerndes Netz bebilderten Entzückens“ zu entwerfen. All das steht im diametralen Gegensatz zu der aus seiner Sicht geist- und kulturlosen „Eintönigkeit, Sterilität und Langeweile Amerikas“.

Für Miller ist das in diesen Tagen gern so benannte „alte“ Europa eindeutig „Mittelpunkt und Wirbelkern dieser sich ständig verändernden Welt“, und Amerika – welch Hohn aus heutiger Sicht – „allem Anschein nach dazu bestimmt, die Rolle des Stoßdämpfers zu spielen, reagiert nur; hier werden keine Bewegungen erzeugt oder in Gang gesetzt, die das Gleichgewicht der Welt zerstören oder wieder herstellen …“

Fehlende Atmosphäre

Nicht ohne Pathos beschwört Miller immer wieder eine französische „Welt rabelaisscher Schönheit“, in der er mit seinen Dichter- und Künstlerfreuden trotz bitterer Armut das Leben bis zur Neige auskostete. Doch entgegen aller Beschwörungen gelingt es ihm in seinem Erinnerungsbuch nur selten, diese Atmosphäre auch tatsächlich auferstehen zu lassen. Stattdessen verliert er sich zunehmend in metaphysischen Betrachtungen über den Krieg und den Frieden, über Schuld, Vergessen und Erinnern.

So empfiehlt sich statt Millers „Erinnerungen“ doch eher der erneute Griff nach seinem autobiographisch gefärbten, aber literarisch funkelnden Kosmos des „Wendekreises des Krebses“, in dem sich so herrliche Sentenzen finden lassen wie: „Die Welt um mich löst sich auf, lässt da und dort Zeitfetzen zurück. Die Welt ist ein Krebs, der sich selbst auffrisst …“

Karsten Herrmann

Henry Miller: Frankreich. Land der Erinnerung. Mit Photographien von Henri Cartier-Bresson. Schöffling & Co 2004. 199 Seiten. 19,90 Euro.