„Kommerziell“ ist oft in aestheticis ein Schimpfwort. Mainstream auch. Aber alle Autoren möchten kommerziell erfolgreich sein. Kriminalliteratur ist zur Zeit erfolgreich und Mainstream, aber das ist auch nicht wieder jedem recht. Henrike Heiland untersucht diese seltsame Dialektik …
„Nee, die sind mir jetzt zu kommerziell.“ – Vom bösen Mainstream
Von Henrike Heiland
Ich weiß noch, damals, als das bei mir mit dem Vinyl kaufen anfing – wie alt war ich da, dreizehn, vierzehn – was haben wir auf dem Schulhof Bands und ihre Alben diskutiert. Da galt es noch, alles von einer Band zu haben. Inklusive Bootlegs, Soloalben einzelner Mitglieder, bis zur Unhörbarkeit kopierte Demotapes aus sagenumwobenen Zeiten vor dem ersten Plattenvertrag. Kaum etwas war wichtiger. Und kaum eine Enttäuschung war größer, wenn die so heiß geliebte, auf dem Schulhof und unter älteren Geschwistern als Geheimtipp gehandelte Combo im Radio gespielt wurde, weil sie einen Hit gelandet hatte. Also, einen richtig großen Hit, so dass die echt peinlichen Typen, denen man in der Pause nicht mal Hallo gesagt hätte, weil sie nur die Kommerzkacke hörten, mit einem Mal wussten, wessen Schriftzug man sich mit Edding auf Mäppchen/Sporttasche/Jeansjacke gepinselt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war die Band meist für die Fans der ersten Stunde gestorben. „Nee, die sind mir jetzt zu kommerziell“, hieß es dann mit größtmöglicher Verachtung. Wir hörten schließlich Independent. Underground. Keinen Mainstream. Mainstream war böse. Musik war eine Aussage, Musik verband, und die Verbindung sollte bitteschön etwas sehr Exklusives haben.
Hey, wir waren in der Pubertät und auf der Suche nach Identität. Wir dachten keine Sekunde daran, dass die Damen und Herren Musiker auch Geld verdienen mussten. Und heute sind ein paar der Helden, die damals so gar nicht kommerziell waren, brave Büroangestellte, wenn es ganz blöd gelaufen ist. Weil sie ja, wie gesagt, von irgendwas leben mussten, und von der Musik leben, das hat nun mal nicht geklappt. Tja. Hätten wir gewusst, dass zehn Jahre später der Sänger von X Girokonten einrichtet oder der Gitarrist von Y Audis verkauft, hätten wir uns dann drum gerissen, an die Kopie der Kopie der Kopie des Demotapes zu kommen? Ich weiß es nicht. Wir waren schon arg versnobt, damals. Kunst war Leiden und Einsamkeit und Qual, und das drückte sich im Sound und in den Texten aus, verdammt, so gehörte das nun mal. Gibt ja bis heute genügend Beispiele, dass Geld und Erfolg die Künstlerseele plattmachen, nicht wahr.
Das lässt sich natürlich auch auf alle andere Bereiche des Kulturschaffens anwenden, und in diesen anderen Bereichen trifft es genauso (wenig) zu wie in der Musik. Schaut man sich die Bestsellerlisten des Literaturbetriebs an, verirrt sich schon auch mal eine Hustvedt unter die Verwesungen, Schändungen und Winterkartoffelknödel. (In der gut sortierten stationären Buchhandlung wie auch bei jedem Filialisten wären einige Regalmeter dazwischen.) Alles Kommerzkacke? Nee, Moment, wir wollten doch immer, dass der Kriminalroman nicht mehr verschämt in der Ecke stehen muss.

"Just do good work and be focused on your work. Don’t worry about getting famous or rich or signed or anything. Just focus on doing good work and communicating with the people and other things will come as they may." Patti Smith 2007 bei "Later with Jools".
Bestseller gibt es immer …
Erinnern wir uns: Das mit den Bestsellerlisten war mal ganz anders. Da gab es längst nicht so viele Kriminalromane. Schon gar keine deutschsprachigen. Freuen wir uns drüber? Ja! Oder … nein. Also, irgendwie – vielleicht, aber dann doch nicht so richtig. Kommerzieller Erfolg ist ja grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten. Da muss doch was anderes dahinterstecken. Marketingstrategien von den Verlagen, die sich die beste Verkaufsfläche bei Thalia gesichert haben. Schiebung bei amazon.de. Inhalte, die nur flach sein können, sonst würde die Masse nicht zugreifen. Stil, der reißerisch genug ist, um möglichst viele Leserinnen bei der Stange zu halten. Wer in der Bestsellerliste steckt, wurde gepusht, reingedrückt, gemacht. Oder so ähnlich.
Das Jammern der Autoren
Ach, das stimmt doch alles nicht. Es gibt schlecht und gut geschriebene Bücher, die Erfolg haben. Genauso, wie es schlecht und gut geschriebene Bücher gibt, die nie Erfolg haben werden. Die einen sagen, ein Buch verkauft sich nur, wenn es gut ist. Die anderen sagen, ein Buch verkauft sich nur, wenn es banal ist. Da sagen die einen dann wieder: Die schlechten Bücher liegen wie Blei. Und die anderen: Die guten Bücher will doch keiner. Alle haben sie recht. Na klar.
Aber viel interessanter ist doch: Kriminalliteratur – um endlich mal beim Thema anzukommen – boomt seit Jahren, und was hört man so, wenn man mit Krimiautoren spricht? Gejammer. Man nehme sie nicht ernst, der Erfolg bliebe aus. Ernster als jetzt wurde der deutschsprachige Kriminalroman wohl noch nie genommen, und kommerziell erfolgreicher war er auch noch nie. Die Zahl derer, die neue Verträge für Krimis unterschreiben dürfen, steigt und steigt. Woher also das Geseufze?
Refused – fühlten sich unverstanden und blieben deshalb lieber zu Hause.
Kein bevölkertes Mittelfeld
Vermutlich, weil das gesunde Mittelfeld fehlt. Es dünnt aus, noch bevor es richtig entstanden ist. Dank der großen Ketten, die nur noch bestimmte Titel einkaufen. Die Filialisten müssen ihre Fläche irgendwie finanzieren, und um das möglichst effizient hinzubekommen, werden nur die vielversprechendsten Titel eingekauft. Die großen Verlage drucken zu diesem Zweck extra Kataloge für die Filialisten. Wer da nicht drin ist, muss sich über den netten Buchhändler von nebenan verkaufen, und der hat nun wahrlich deutlich weniger Stellfläche. Da kann man froh sein, wenn man auf seine fünftausend verkauften Taschenbücher kommt, das ist in dem Fall dann schon ein irrer Erfolg. Wird Mainstream also von den Filialisten gemacht?
Ja, nein, vielleicht. Wer in die Sondervorschauen kommt, ist Entscheidung des Vertriebs, nicht des Lektorats, und der Vertrieb überlegt sich, was denn so in welchem Monat gut laufen könnte. Es folgt der Rattenschwanz mit Thalia und Konsorten, und wir wissen ja alle, die Schnellleser und Vielkäufer greifen immer nach den größten Stapeln, und die größten Stapel sind von den Verlagen finanziert. Aber die gute Nachricht: Hugendubel macht immer mehr Filialen zu. Thalia auch. Die Fläche, auf der Bücher verkauft werden, schrumpft. Der Non-Book-Bereich wächst. Weil die Leute nur noch online kaufen und so, heißt es. Also ist amazon.de der böse Mainstreammacher der Zukunft? Eher nicht. amazon.de verdient vor allem mit den Backlist-Titeln. Mit dem, was mal eben nicht so in der Buchhandlung greifbar ist, denn auf die „Sollen wir’s Ihnen bestellen?“-Nummer lässt sich absurderweise kaum noch einer ein. amazon.de ist der Marktplatz für Vergriffenes, Vergessenes, Seltenes. Mainstream verkaufen sie prozentual gesehen weniger als die Filialisten.
Snob as snob can
Und was macht die kleine Buchhandlung? Bleibt hartnäckig snobby, verweigert sich dem Mainstream. Klar, die gängigsten Titel müssen sein, aber da wundert man sich oft genug, warum die Damen und Herren Buchhändler beim Verkaufsvorgang keine Einmalhandschuhe tragen. Das, was da gerade passiert auf dem Buchmarkt, das, was alle in der Branche verunsichert und die Zukunft so düster erscheinen lässt, könnte die Chance für den stationären Buchhandel sein, sich mit der richtigen Mischung aus Mainstream und Underground am Leben zu halten, statt Bestsellern zu misstrauen, sich Genreliteratur innerlich zu verweigern und den Großteil der Ladenfläche mit Gedichtbänden, Künstlerbiographien und Klassikerneuauflagen zu verstopfen. Dazu noch die Sorte Beratung, die man aus den guten alten Plattenläden kennt … und schon müsste der Laden wieder laufen …
Me too
Aber zurück zum Gejammer der Krimiautoren, dass ihnen trotz guter allgemeiner Verkaufszahlen der Erfolg fehlt. „Ich schreib doch auch so wie Dingens, und der ist seit Wochen in der Bestsellerliste“, hört man da oft genug. Der nächste Gedanke, still und leise im Schreibkämmerchen, ist unweigerlich: „Wahrscheinlich schreibe ich zu kompliziert/simpel/unblutig/poetisch, ich mach das jetzt mal anders.“ Heraus kommt einmal mehr ein Me too-Produkt, das dann doch nicht ganz den Sprung ins Fahrwasser des Vorbilds schafft, und das Gejammer geht weiter. Mon dieu, warum hat es nur nicht geklappt?
Was hierzulande fehlt, ist Originalität. Sei es im Plot, im Stil, alles ist möglich. Originalität, die nichts mit irrigen „Im Moment wollen alle blutig/lustig/kinderschändend lesen, also bediene ich mal den Markt“-Überlegungen zu tun hat, sondern mit Authentizität. Und mit Handwerk. Wie viele von den vielen hundert, ja tausend Schreibern haben eine eigene Stimme? Nein, möglichst viele Adjektive und Adverbien auf eine Seite zu klatschen, ist kein Zeichen von gutem Stil. Nur in Halbsätzen zu schreiben und Prädikate wegzulassen ist auch keine Literatur. Die Kulturpessimisten, die jetzt rufen: „Alles ist schon erzählt, alles ist schon gesagt“, sollten sich daran erinnern, dass in der Antike auch bereits damit geunkt wurde.
Der Blick also weg vom Mainstream, hin zu dem, was dem Urheber liegt. Das für sich herauszufinden, ist nicht einfach, im Gegenteil, es ist lange, harte, ewig unterschätzte Arbeit, und es gibt trotzdem keine Garantie, dass sie Früchte auf dem Konto tragen wird. Aber es gibt die Hoffnung. Diese Hoffnung kann so groß oder so klein sein wie bei einem wenig innovativen Me too-Werk, denn wohin der Mainstream fließt und wen er dabei mitreißt, das ändert sich manchmal schneller, als die Verlage ihre Vorschauen drucken können.
… a dedicated follower of fashion …
Schaut man sich einfach mal die Mode an – ebenfalls Kulturgut. Wie schnell sich da was ändert. Wie oft Sachen totgesagt werden, um ein Jahr später neue (alte) Trends zu setzen. Gilt letztlich für alle kreativen Bereiche. Heißt für die Krimischaffenden: Wenn man C&A macht, darf man keine Auszeichnungen erwarten. Wenn man Lagerfeld imitiert, ist man immer nur der, der Lagerfeld imitiert. Wer auf jeden neuen Zug aufspringt, verliert schnell die Richtung. Wer aber weiß, was er/sie tragen kann, sich die Sachen also auf den Leib schneidert, hat immer gewonnen. Dahin zu finden, braucht Zeit und Geduld und Experimente und Übung, man holt sich ein paar Mal eine blutige Nase, weiß aber irgendwann, was man kann und was nicht. Und wer dort angekommen ist, mag in einem Jahr out sein, im nächsten ganz vorne mit dabei. Diejenigen, die ganz klar sagen: „Ich mach mein Ding“, die hört man irgendwie nie jammern. Egal, ob sie zwei- oder zwanzigtausend Bücher verkauft haben.
Zielgruppe?
Es ist doch so: Wenn wir zum Beispiel die Winterkartoffelknödel und den Sommer ohne Männer in der Bestsellerliste haben, liegt offenbar beides im Trend. Aber haben beide Bücher dasselbe Publikum? Das gilt auch für Titel innerhalb des, ähm, Krimigenres, whatever that means. Wer die Beckettsche Verwesung gerne mag, steht möglicherweise nicht so auf die Knödelsuppe und umgekehrt. Man muss einfach verstehen: Hier geht es nicht um Konkurrenz, sondern darum, das richtige Publikum für sich zu finden. So.
Mainstream, um den Bogen zu kriegen, Mainstream ist keineswegs böse. Mainstream, sehen wir es doch mal von dieser Seite, finanziert die Buchhandlungen und ermöglicht dem engagierten Buchhändler, sich auf der Restfläche mit weniger mainstreamigen Titeln auszutoben. Das ist gut! Das muss so! Lieber stationärer Buchhandel. Traut Euch also mehr Mainstream, wir alle sehen es Euch nach, abgesehen davon, dass sich ganz tolle Bücher in den Strom verirren! Liebe Krimiautoren: Mainstream ermöglicht es, dass mehr Menschen, die schon immer mal einen Krimi schreiben und veröffentlichen wollen, damit rauskommen, weil Krimi in diversen Erscheinungsformen – ob sie uns im Einzelnen schmecken oder nicht – Mainstream ist. Mit der Flut an Werken, bei denen man um die gefällten Bäume trauert, werden auch einige Perlen hochgespült, ein weiterer Vorteil, oder nicht? Auch, wenn es die Masse wiederum erschwert, diese Perlen zu finden, aber man kann sich ja informieren. (Da ist er wieder, der stationäre Buchhandel und die Nische, die er bitteschön besetzen sollte.) Mainstream bedeutet auch, dass die Leute, die in dem Strom nicht untergehen, ihr Geld verdienen. Vielleicht werden nicht alle reich, aber ein paar mehr können davon leben. Und das ist doch nun nichts Schlechtes. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, hätte ich dem Sänger von X und dem Gitarristen von Y schon gewünscht, mit dem ein- oder anderen Hit reich zu werden. Mainstream heißt auch immer, dass es viele gibt, die dagegen antreten, die Underground machen, die Originelles/Originäres schaffen, die sich um die Ecken und Kanten kümmern, und zwar nicht, um diese rund zu schleifen. Wir brauchen den Mainstream, um uns an der Massenhysterie zu reiben, um den ganzen Kreislauf am Leben zu erhalten. Mainstream, und das möge zum Schlusswort führen, ist gar nicht böse. Gut, dass den jemand erfunden hat.
Henrike Heiland
Homepage von Henrike Heiland